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Kriegsverbrechen
Kosovo beschließt Sondertribunal

Das Parlament in Pristina hat beschlossen, im Kosovo selbst ein Sondertribunal für die Verfolgung von Kriegsverbrechen einzurichten. Ähnliche Gerichtshöfe bestehen bereits in Sarajevo und Belgrad. Die Widerstände in Pristina waren enorm.

Von Ralf Borchard | 05.08.2015
    Der Druck der internationalen Gemeinschaft hat nach jahrelangem Hin und Her Wirkung gezeigt. Auch die Partei des früheren UCK-Kommandeurs und heutigen Außenministers Hashim Thaci hat dem Sondertribunal für Kriegsverbrechen mit großer Mehrheit zugestimmt. Das entscheidende Druckmittel von EU und USA lautete: Wenn das Parlament des Kosovo nicht endlich selbst grünes Licht gibt, wird das Tribunal eben vom UN-Sicherheitsrat beschlossen. Das hätte für das junge Land, das sich erst 2008 für unabhängig erklärt hat, entscheidende Nachteile gehabt. Das machte auch Regierungschef Isa Mustafa vor dem Parlament deutlich:
    "Ich bin überzeugt, dass die Genehmigung des Sondertribunals durch das Parlament besser für die Zukunft des Kosovo ist", so Mustafa. "Denn sonst wäre auf Grundlage der UN-Resolution 1244 entschieden worden, mit mehr Gewicht für die Länder, die Kosovo noch nicht als Staat anerkannt haben."
    Aufklärung von Kriegsverbrechen
    Das Tribunal soll vor allem Kriegsverbrechen aufklären, die Kämpfer der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UCK unmittelbar nach Kriegsende im Juni 1999 begangen haben. Nachdem Luftangriffe der Nato die serbische Armee zum Rückzug aus dem Kosovo gezwungen hatten, kam es zu widerrechtlichen Tötungen, Entführungen, sexueller Gewalt und Zwangsvertreibung - so hat es der frühere Schweizer Europaratsabgeordnete Dick Marty in seinem aufsehenerregenden Bericht 2011 beschrieben. Die meisten Opfer seien Serben und Roma gewesen. In einer "Handvoll" von Fällen, wie sich Marty damals ausdrückte, sollen Opfern auch Organe entnommen worden sein. Der US-amerikanische Sonderermittler Clint Williamson hatte die Vorwürfe Martys im Auftrag der EU zweieinhalb Jahre lang überprüft und sie in seinem Bericht 2014 weitgehend bestätigt:
    "Die weitverbreitete, systematische Art dieser Straftaten rechtfertigt eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit", so Williamsons Fazit.
    Die kosovarische Oppositionspartei Vetevendosje, übersetzt "Selbstbestimmung", lehnt das Sondertribunal nach wie vor ab:
    "Dieses Parlament hat schon einmal Nein gesagt zum Sondertribunal, und wir werden das ganze jetzt vor das Verfassungsgericht bringen", so Parteichef Visar Ymeri.
    Doch die Mehrheitsstimmung ist inzwischen eine andere im Kosovo. Selbst dieser frühere UCK-Kämpfer sagt: Lasst uns den Streit um das Sondertribunal endlich beilegen, Schuldige sollen bestraft, die anderen vom Generalverdacht freigesprochen werden:
    "Ich stehe mit meiner ganzen Überzeugung für das Sondergericht. Wäre ich Abgeordneter, würde auch ich mit Ja stimmen, auch wenn ich selbst ganz oben auf der Liste der Verdächtigen stehen sollte."
    Die meisten Kosovaren leben in dem Bewusstsein, dass ihr Land auf die Kooperation mit EU und USA angewiesen ist.
    Schwieriger Zeugenschutz
    Das Sondertribunal für Kriegsverbrechen wird seine Arbeit voraussichtlich Anfang 2016 aufnehmen und dabei zum Teil im Kosovo selbst tagen, zum Teil an einem zweiten, internationalen Standort, voraussichtlich in Den Haag. Dabei geht es auch um den schwierigen Zeugenschutz. Schon in Gerichtsverfahren, die die EU-Rechtsstaatsmission im Kosovo Eulex auf den Weg gebracht hatte, gab es massive Einschüchterungsversuche.
    Viele bisherige Verfahren endeten im Nichts, auch weil die Internationale Gemeinschaft davor zurückschreckte, sich mit den wirklich Mächtigen im Land anzulegen. Das unausgesprochene Argument im Hintergrund: Stabilität geht vor, selbst wenn sie auf zweifelhaften Strukturen gründet. Zwei der Grundprobleme im Kosovo sind, dass die Organisierte Kriminalität großen Einfluss hat, und dass frühere UCK-Kommandeure wichtige Führungspositionen einnehmen, allen voran der langjährige Regierungschef und heutige Außenminister Hashim Thaci. Eine der spannenden offenen Fragen ist, ob auch Thaci persönlich vor dem künftigen Sondertribunal angeklagt wird.