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Kritik an US-Studie
Machen Krisenzeiten die Sprache negativ?

Ob wir in Krisenzeiten leben, lässt sich auch an der Sprache ablesen - das behaupten US-Forscher, die die Verwendung von positiven und negativen Begriffen untersucht haben. Der Berliner Linguist Anatol Stefanowitsch sieht das anders. Es reiche nicht, Wörter zu zählen, man müsse immer den konkreten Kontext berücksichtigen, sagte er im DLF.

Anatol Stefanowitsch im Gespräch mit Karin Fischer | 29.11.2016
    Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch
    Laut einer amerikanischen Studie beeinflussen Krisenzeiten die Entwicklung der Sprache. Negative Zeiten kreieren mehr negative Wörter, so die These. (dpa / picture-alliance / Ben Stefanowitsch)
    Karin Fischer: Dass wir in schlechten Zeiten leben, machen Psychologen von der Universität Michigan daran fest, dass negative Begriffe in der Sprache zunehmen. Wörter wie "Angst" oder "Hass" und die Häufigkeit ihres Vorkommens in Büchern, erklären sie in einer Studie im Fachmagazin "PNAS", sind ein Indikator für reale Krisen. Dafür haben die Forscher alle von Google Books digitalisierten Werke, die zwischen 1800 und 2000 erschienen sind, per Computer durchforstet. Und dazu das gesamte Archiv der New York Times, das auch bis 1851 zurück digitalisiert wurde. Ihre These: Gute Zeiten werden von positiveren Wörtern begleitet; je mehr negative Wörter, desto mehr Krise. Anatol Stefanowitsch ist Linguist und Sprachforscher an der Freien Universität Berlin und auch in solchen Analyseinstrumenten bewandert, Herr Stefanowitsch, halten Sie die Ergebnisse einer solchen Untersuchung für aussagekräftig?
    Anatol Stefanowitsch: Eine einzelne Studie kann natürlich nie aussagekräftig sein. Das kann man der Studie vielleicht nicht vorwerfen. Aber diese spezielle Studie, würde ich sagen, hat zwei Probleme. Zum einen zeigt sie ihr Ergebnis nur anhand des Google-Books-Korpus und nicht anhand der "New York Times". Für die "New York Times" lässt sich diese negative Tendenz gar nicht nachweisen, wenn man in die Studie genau reinguckt. Und das Google-Books-Korpus wird nur bis zum Jahr 2000 mit einbezogen. Wenn man da jetzt spaßeshalber mal positiv und negativ bewertete Adjektive selber eingibt und sucht - das ist ja ein Web-Interface, wo jeder selber mal gucken kann -, dann merkt man, dass nach dem Jahr 2000 tatsächlich die positiven Wörter wieder sehr stark ansteigen. Von daher ist hier durchaus die Gefahr, dass eine zeitweise zufällige Schwankung hier als allgemeine Tendenz dargestellt wird.
    Fischer: Wer immer nur Nachrichten hört, glaubt, die Welt bestehe nur aus Kriegen, Krisen und Katastrophen. Die Welt in diesem Rahmen der Nachrichten sieht ganz schön schlimm aus, vermutlich aber schon, seit es Nachrichten gibt. Müsste man nicht ganz genau den Rahmen bedenken, innerhalb dessen eine solche Analyse stattfindet?
    Stefanowitsch: Genau. Das tun die Autoren auch zusätzlich zu diesem allgemeinen Ergebnis und da ist die Studie eigentlich auch überzeugender. Die zeigen nämlich einmal neben diesem allgemeinen Abwärtstrend, an den ich nicht so ganz glauben mag, Schwankungen in der Positivität und Negativität der Sprache, und die korrelieren sie mit kriegerischen Auseinandersetzungen als ein Testbeispiel und da zeigt sich eine Korrelation. Bei Kriegen mit vielen Toten und Verletzten, da wird die Sprache negativer. Sie zeigen auch, dass mit ökonomischen Krisensituationen die Sprache negativer wird, und sie korrelieren das auch noch mit dem allgemeinen Glücksindex. Das ist so ein Index, der psychologisch erhoben wird. Immer wenn die Gesamtstimmung in der Bevölkerung schlechter ist, dann wird auch die Sprache negativer.
    Das ist überzeugender; das ist aber irgendwo natürlich auch weniger faszinierend, weil das irgendwie fast trivial ist. Wenn es schlimme Dinge gibt, über die man redet, wird die Sprache negativer.
    "Es gibt ein grundsätzliches Problem"
    Fischer: Aber nun verändern ja einzelne Wörter nicht nur ständig ihren Sinn, sondern sind auch im Kontext überhaupt nur zu interpretieren. "Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache", hat schon Ludwig Wittgenstein gesagt. Wenn die Forscher jetzt nicht nur den Sezessions- und den Vietnam-Krieg, sondern auch positive Entwicklungen, etwa einen Wirtschaftsaufschwung, aus diesen dann vermehrt auftauchenden Wörtern herauslesen wollen, wie geht das?
    Stefanowitsch: Da gibt es ein grundsätzliches Problem, was diese Forschung, die diese Positivitätseffekte in der Sprache nachweisen will, egal ob es jetzt über die Zeit hinweg ist oder in einer bestimmten Situation oder in einer bestimmten Sprachgesellschaft, was diese Forschung immer hat ist das Problem, dass man an einzelnen Wörtern eigentlich sehr schwer Positivität oder Negativität ablesen kann.
    Die Autoren benutzen zum Beispiel als ein positives Wort das Wort "pretty", was wahrscheinlich in deren Vorstellung, oder wenn man es Leuten kontextlos vorlegt, dann heißt es so was wie "hübsch", und das ist natürlich positiv bewertet. Aber "pretty" wird natürlich im Englischen auch verwendet, einfach nur um zu intensivieren, und da kann man auch negative Dinge intensivieren. Man kann auch so was sagen wie "that's pretty sad" oder "pretty terrible" oder "pretty awful", und da würde dieses Wort natürlich überhaupt nicht für Positivität sprechen.
    Und dasselbe gilt eigentlich für fast jedes Wort. Es gibt sicher Wörter, die sind etwas stabiler auch über Kontexte hinweg, was ihre Negativität oder Positivität angeht, aber im Prinzip ist es genau wie Sie sagen: Es hängt nämlich immer vom konkreten Kontext ab und der wird hier immer ignoriert in diesen Studien.
    Wenn Wörter sich verändern
    Fischer: Welche Rolle spielen denn solche Wortanalysen heute in der heutigen linguistischen Forschung, was sind Ihre wichtigsten Erfahrungen oder Ergebnisse?
    Stefanowitsch: Zum Beispiel ist es interessant zu gucken, wie sich die Bedeutung einzelner Wörter verändert. Das ist nicht so spektakulär, da wird man keine internationale Sensation präsentieren können. Aber ein anderes Wort zum Beispiel, was diese Forscher häufig benutzen, um Positivität auszudrücken, ist das Wort "awesome" und das bedeutet tatsächlich im heutigen amerikanischen Englisch vor allem so was wie spektakulär oder überwältigend toll oder so was, aber das hieß früher eher so etwas wie Furcht einflößend.
    Und insofern ist es natürlich interessant, sich zu fragen aus sprachwissenschaftlicher Sicht, wie Wörter von einer negativen in eine positive Bedeutung oder zurück kippen können. Das ist zum Beispiel interessant im Bereich der diskriminierenden Sprache: Warum wird Sprache für bestimmte Bevölkerungsgruppen neutral empfunden zu einer bestimmten Zeit und dann entwickelt sie sich in eine klar negative Richtung. Solche Dinge sind interessant aus sprachwissenschaftlicher Sicht, da muss man sehr genau hingucken.
    Da muss man sich die ganzen Zusammenhänge angucken, in denen diese Wörter auftauchen. Da kann man dann aber auch keine derartig direkten und in diesem Sinne naiven Bezüge zu kulturellen Entwicklungen herstellen. So einfach ist es eben nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.