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Kunst per Post

Der öffentliche Raum als Kunstgalerie: Das ist die Idee von Christian Weiss. Der Nürnberger stellt Kunst als Paketsendung zu. Und das sogar, wenn sie niemand bestellt hat. Das Projekt hat er vor zwei Jahren ins Leben gerufen.

Von Andi Hörmann | 07.09.2012
    Styroporschutzecken und Zellophanfolie - Christian Weiss verpackt gerade zwei Handflächen große Bilder - Öl auf Kupfer - so, dass sie sich auch gut werfen lassen.

    "So etwas wird in Luftpolsterfolie verpackt, wasserdicht verklebt und dann kommt es noch in einen Karton rein. Das Anschreiben, das dabei ist - das Bekennerschreiben - ist dann noch mal in so einem Zippbeutel, in so einer Folie, mit eingelegt. Und dann kann man das wirklich werfen. Also, die wenn aufschlagen, in einem Hinterhof zum Beispiel, da würde gar nichts passieren."

    Nach seinem Diplom an der Kunstakademie Nürnberg hat sich Christian Weiss selbst zum Galeristen ernannt. Seine Galerie: Der öffentliche Raum. Unter dem Namen "Postwurf.org" stellt er ungefragt Anwohnern, Sammlern und Museen in einer Nacht- und Nebelaktion Kunstwerke zu - Gemälde, Filme, Skulpturen.

    "Das ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Kunstmarkt und dem Thema Galerie. Ich benutze die Galerie oder das Handeln eines Galeristen als mein Performancemodul. Es sind auch schon Dinge nie wieder aufgetaucht. Ich behalte mir das vor, einmal nachzufragen. Aber es gibt Leute, die sind nicht da oder der Hausmeister hat es mitgenommen oder es ist irgendwie einfach weg. Das Opfer ist immer mit dabei. Potenziell."

    "Postwurf" - der Name ist Programm: Über den Zaun, in den Garten eines Grundstücks, wird die gut verpackte Kunst im besten Fall auch geworfen. Das Zustellen: ein performativer Akt. Eben Kunstvermittlung durch Performancekunst. Immer aber mit freundlichem Anschreiben:

    "Ich packe das mal hier aus, aus diesem wasserdichten Plastikbeutel. 'Sehr geehrter Rezipient, Postwurf.org stellt Ihnen mit dieser Wurfsendung die Partitur zu einem dreisätzigen Gitarrenwerk "Triptychon" zu. Der Komponist und Interpret wird nur Käufern der dazugehörigen Performance, zum Beispiel in Form eines Hauskonzertes, offenbart.' Ich muss ja versuchen, ein guter Galerist und Kunstvermittler zu sein, deswegen werfe ich auch immer wieder an Adressen, wo ich einen Tipp bekommen habe: Da wohnt ein Kunstsammler. Oder in einem schönen Villenviertel. Aber dann wird mir oft der Vorwurf gemacht: Ich bin genau so hermetisch wie das Museum. Elitär. Und deswegen machen wir jetzt auch schon Pläne für Tanztheater-Aufführungen in Treppenhäusern in Vorstadt-Gebieten, wo die Leute keinen Garten haben, sondern im Hochhaus wohnen. Es kann jeden treffen."

    "Das ist ein bisschen provozierend: Kunstwerke in irgendjemand seinen Garten schmeißen. Das finde ich eine super Form. So irritierend."

    Cyrena Dunbar, Sängerin der Nürnberger Elektro-Pop-Band Wrongkong, ist ausgebildete Tänzerin und studiert noch an der Kunstakademie Nürnberg. In einer Videoarbeit sieht man sie vor einer Wasserfontäne in einem Brunnen tanzen. Die DVDs hat sie mit Christian Weiss potenziellen Käufern persönlich zugestellt.

    "Man wusste auch nicht genau: Sind die Leute daheim? Wie soll man das werfen? Kann man das überhaupt werfen? Oder ist da ein kleiner Briefkasten? Es ist jedes Mal eine andere Situation. Ich habe leider bis jetzt noch keinen Wurf gemacht, wo ich tatsächlich über einen Zaun werfen konnte. Ich hoffe, dass ich das irgendwann machen kann."

    Überfallartig, überraschend und ungewöhnlich - Die Zustellung von Kunst durch die Paketsendungen von Christian Weiss sind mutig und vielleicht auch ein wenig aufdringlich. Doch sicher auch eine zeitgenössische und humorvolle Art des Bilderstürmens: Raus mit der Kunst aus den Hochkultur-Tempeln, rein in den öffentlichen Stadtraum. So wird die Kunstvermittlung selbst zum Kunstwerk. Und Christian Weiss denkt vielleicht auch die Tradition von Mail-Art weiter: Kunst analog zustellen und die Aktion digital dokumentieren - mit Bildern, Videos und Tonspuren in sozialen Netzwerken und natürlich auf der Internetseite Postwurf.org