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Kunstfund
Umgang mit Gurlitt-Bildern eine Frage von allgemeinem Interesse

Die Frage sei doch, ob "geraubte Kunst weiter im Besitz einer Familie von Kriminellen" bleiben dürfe, sagt der Publizist Rafael Seligmann. Seine Forderung: Eine klare Haltung der Regierung und Gesellschaft, um diese Bilder wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

19.11.2013
    Christine Heuer: Weit mehr als tausend Bilder, viele davon galten als verschollen, 590 Werke sollen darauf untersucht werden, ob sie Juden in der NS-Zeit geraubt worden sind. Wiedergefunden wurde all das in der Wohnung eines alten Mannes in München-Schwabing, und zwar schon im Februar letzten Jahres. Der Mann heißt Cornelius Gurlitt, die Kunstsammlung hat er von seinem Vater geerbt, der in der NS-Zeit mit Werken der Klassischen Moderne handelte, auch mit sogenannter entarteter Kunst. Und an diesem Wochenende nun hat der Sohn erstmals öffentlich über die Sammlung gesprochen, wie sie von den Behörden beschlagnahmt wurde und was er mit ihr vorhat, sollte er sie wiederbekommen. "Freiwillig", sagt Cornelius Gurlitt wörtlich, "gebe ich nichts zurück."
    Am Telefon ist der jüdische Schriftsteller und Publizist Rafael Seligmann. Guten Morgen.
    Rafael Seligmann: Guten Morgen!
    Heuer: Alle Welt redet und rätselt über den Fall Gurlitt. Wie wird darüber in der jüdischen Gemeinde gesprochen?
    Seligmann: Da wird genauso gesprochen und debattiert wie woanders. Die entscheidende Frage ist – und ich glaube, das ist keine jüdische Frage, und darum zerbreche ich mir nicht den Kopf, was in der jüdischen Gemeinde debattiert wird: Wenn man die deutsch-jüdische Symbiose, das deutsch-jüdische Miteinander ernst nimmt als Teil der deutsch-jüdischen Geschichte, als Teil der deutschen Geschichte, dann darf man sich eben nicht auf Holocaust-Feiern und Gedenkfeiern beschränken, so wichtig das ist, sondern muss das heute leben. Diese Bilder symbolisieren das für mich. Das sind Werke von Juden, von Nichtjuden, in jüdischem Besitz, in nichtjüdischem Besitz gewesen, geraubt, entartet, erzwungen. Was machen wir heute damit? Sehen wir es als Teil der deutschen Kulturgeschichte an, oder drängen wir es wieder in die Ecke, das ist jüdisch, das ist ein jüdisches Thema, damit soll sich der Zentralrat auseinandersetzen. Nein! Es ist eine Frage von allgemeinem Interesse.
    Heuer: Und doch betrifft sie viele Holocaust-Überlebende und deren Erben, denn diesem Personenkreis wurden ja viele Kunstwerke abgenommen und für einen Appel und ein Ei mussten sie das verkaufen. Kennen Sie selber Menschen, die versuchen, an diese sogenannte Raubkunst, die ihr Eigentum ist, wieder heranzukommen, ihr Eigentum zurückzubekommen?
    Seligmann: Ich kenne zwei Fälle. Die will ich jetzt aber nicht schildern. Das sind Bekannte oder Freunde. Aber wie gesagt: In meinen Augen geht es um viel mehr. Wenn es um das deutsche Bernsteinzimmer geht, dann ist allen klar, das ist deutsches Kulturerbe, Punkt, aus, und das will man wieder zurück haben und da spielt Verjährung und so weiter keine große Rolle. Wenn es um diese Kunst geht – und Beckmann war kein Jude und Dix war kein Jude -, darum geht es gar nicht. Aber lassen wir diese Bilder in der Hand eines offenbar leicht gestörten oder gegenwartsgestörten 80-jährigen Mannes, abgepresste, geraubte Kunst, oder machen wir sie der Öffentlichkeit zugänglich? Um das geht es mir in erster Linie.
    Diese Kunst gehört wieder in die Öffentlichkeit
    Heuer: Herr Seligmann, wie sollte denn diese Kunst der Öffentlichkeit ganz konkret zugänglich gemacht werden?
    Seligmann: Beispielsweise indem man sie in ein Museum oder in mehrere Museen wieder aufhängt. Die sind ja auch zum Teil aus Museen geraubt worden, zum Teil aus privater Hand gepresst worden. Man hat sich des Herrn Gurlitt und anderer bedient. Die haben auch damit Geschäfte gemacht, wobei es für mich keine Rolle spielt, dass der eine jüdische Großmutter hatte. Ich hatte auch eine jüdische Großmutter. Es ist ein Komplott unter Verbrechern gewesen und Herr Gurlitt hat nach dem Krieg gesagt, das ist vernichtet, und heute spricht man von Verjährung. Nein! Ich finde, diese Kunst, die deutsche Kunst, die teilweise jüdische Kunst ist, aber vor allem ist sie deutsche Kunst, die gehört wieder in die Öffentlichkeit.
    Heuer: Cornelius Gurlitt hat ja an diesem Wochenende gesagt, er werde kein Bild freiwillig herausgeben. Hat er dazu eine moralische Pflicht?
    Seligmann: Selbstverständlich! Und es kommt mir gar nicht so sehr auf seine Befindlichkeit an. Sonst könnte ja jeder, der das Gesetz übertritt oder der das Erbe eines Gesetzesbrechers ist, sagen, ich gebe es nicht freiwillig heraus. Das würde ja den Rechtsstaat ad absurdum führen.
    Heuer: Und wenn er juristisch nicht dazu gezwungen werden kann, was dann?
    Seligmann: Sehen Sie, das Recht ist ja was sehr Wichtiges, aber das Recht entspringt dem Willen der Gemeinschaft. Das Recht wird ja von Parlamenten gesetzt und es ist eine Frage der Allgemeinheit. Darf geraubte Kunst weiter im Besitz einer Familie von Kriminellen bleiben?
    Heuer: Herr Seligmann, verstehe ich Sie richtig? Sie sind dafür, dass das deutsche Parlament ein Gesetz erlässt, das es ermöglicht, zum Beispiel an diese Gurlitt-Sammlung heranzukommen?
    Seligmann: Das braucht man gar nicht. Sehen Sie, es gibt zum Beispiel einen Kommentar in der "Süddeutschen" von Heribert Prantl, der ganz klar sagt, der Vater, Hildebrand Gurlitt, hat nach dem Krieg erklärt, die Bilder und die Gemälde, die Kunstgegenstände wären vernichtet worden, und damit konnte praktisch die Verjährung gar nicht greifen. Insofern kann man die Bilder zurückfordern. Es geht auch gar nicht groß um Erzwingen, aber wenn es einen allgemeinen Konsens gibt der Bevölkerung, der Medien, der Politiker, der Gesellschaft, dann werden diese Bilder ganz normal wieder entweder an die Museen, oder an die Erben der ehemaligen Besitzer gelangen.
    Aus Absicht Wirklichkeit werden lassen
    Heuer: Haben Sie den Eindruck, dass die Politik sich in dieser Frage genug engagiert?
    Seligmann: Bislang höre ich gute Absichtserklärungen des Regierungssprechers, und jetzt wollen wir mal sehen, was in Wirklichkeit geschieht. Es gibt ja den schönen deutschen Spruch, "Es gibt nichts Gutes, es sei denn, man tut es". Die Absicht, der gute Wille ist da, den vernehme ich wohl, und jetzt kommt es darauf an, dass die Gesellschaft sich bewusst wird – und das ist für mich der Kern -, es ist ja deutsches Kulturerbe, und sind wir bereit, das in die Hände eines 80-jährigen Mannes zu spielen oder zu belassen, oder wollen wir der gesamten Gesellschaft, der Bevölkerung wenigstens die Möglichkeit geben, diese Bilder zu sehen, diese Kunstgegenstände. Wenn wir das wollen, dann werden wir das erreichen.
    Heuer: Rafael Seligmann, jüdischer Schriftsteller, Publizist und Historiker – ich habe mit ihm über die Gurlitt-Affäre gesprochen und ich bedanke mich, Herr Seligmann, für das Gespräch.
    Seligmann: Danke, Frau Heuer.
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