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Kunsthalle München
Rokoko mit Leib und Seele

Nach mehr als 30 Jahren gibt es in Deutschland mal wieder eine ordentliche Rokoko-Ausstellung. In der Kunsthalle München hängen Bilder von Heiligen, die ganz eigene Charaktere zeigen. Und wer danach noch nicht genug hat, muss sich nur in der Umgebung umsehen.

Von Julian Ignatowitsch | 26.12.2014
    Symbolbild Putto mit Weizenähren, Schmetterlingen und Stickerei
    Ein Putto - wie auf dieser Aufnahme mit Weizenähren, Schmetterlingen und Stickerei - ist in der Ausstellung "Mit Leib und Seele" in der Kunsthalle München zu sehen. (imago)
    Sinnlich und gleichzeitig etwas arrogant schaut sie drein. Fast schon empört, als wollte sie sagen: "Wo habt ihr mich denn hier hingebracht?"
    Die Heilige Helena, Mutter Konstantins des Großen, hat ihren Platz eigentlich in der Pfarrkirche in Freising-Neustift unweit von München, in einem der Seitenaltäre – und das schon seit über 200 Jahren. Jetzt steht die von Ignaz Günther im 18. Jahrhundert geschaffene Statue im Eröffnungsraum der Ausstellung in der Münchner Kunsthalle. Und sie unterscheidet sich durchaus von so mancher tradierten Darstellung, wie beispielsweise der in der Peterskirche. Eine hochmütige Helena? Laut Kuratorin Ariane Mensger sind solche Zuschreibungen im Rokoko erlaubt.
    "Die Figur tritt einem nicht wie ein Typus entgegen, sondern wie ein Individuum - und das ist auch typisch für das Rokoko. Dass es, ja nicht menschelt, aber dass die Heiligen eigene Charaktere haben. Man kann ihnen verschiedene Eigenschaften zuschreiben, die auch nicht alle nur fromm sind."
    Also gar nicht so unpassend, der Ortswechsel - von der Kirche ins Museum. Dafür sei er aber umso bemerkenswerter:
    "Weil diese Skulpturen noch nie in Ausstellungen präsentiert wurden, das ist wirklich eine einmalige Angelegenheit, aus den Kirchen diese Figuren zu bekommen. Man muss sich auch vergegenwärtigen, dass die Gemeinden jetzt über Weihnachten und Ostern auf diese Skulpturen verzichten werden. Museen hätten uns solche kapitalen Werke nicht ausgeliehen."
    Vor über 30 Jahren gab es zuletzt eine vergleichbare Rokoko-Ausstellung in Deutschland. Auch diesmal wurde sie nur durch die Kooperation mit der Erzdiözese und der Freisinger Pfarr- und Ordensgemeinschaft möglich. Aber wo könnte es besser passen als in der bayerischen Landeshauptstadt? Einem der künstlerischen Zentren des Rokoko, neben Paris und Wien. Und wo, wenn nicht hier, kann man sich wie selbstverständlich ganz den sakralen Aspekten widmen, und das Höfische außen vor lassen, die Grenze ist ohnehin schmal. Die Ausstellung tut gut daran, dass sie sich nicht übernimmt.
    Rokoko in der Münchener Umgebung
    Chronologisch bereitet man Raum für Raum, Künstler für Künstler auf. Angefangen bei den Brüdern Asam. Cosmas Damian und Egid Quirin waren Anfang des 18. Jahrhunderts als Architekten, Maler, Bildhauer und Stukkateure die maßgeblichen Künstlerfiguren in München, sind streng genommen eher dem Spätbarock zuzurechnen, legen mit ihren Innovationen aber die Grundlage für das, was kommt. Was kommt?
    Das ist bei den beiden Hauptvertretern Johann Baptist Straub und Ignaz Günther am besten zu sehen. Zunächst die Rocaille, dieses muschelartige, wellenförmige Ornament, das nicht mehr nur verziert, sondern selbst zur Skulptur wächst - so typisch und gleichzeitig namensgebend für die Epoche. Zu sehen zum Beispiel als Altarvase. Damit verbunden eine spielerisch-beschwingte, teilweise fast schon freizügige, Grundhaltung, die in der Darstellung der Heiligen - von Agathe bis Sebastian - immer anwesend ist. Getreu dem Motto: Glaube verleiht Flügel. Als naive Glaubensglückseligkeit darf das Ganze dennoch nicht missverstanden werden. Putten, ironisierte Heilige und erotische Anspielungen sind auch ein Fanal der Aufklärung, und der Skepsis gegenüber allzu starrer Dogmen.
    "Aber man merkt auch, dass hier so eine Art Endpunkt erreicht ist, den man nicht hätte weiter drehen können. Und das Rokoko endet dann auch ziemlich abrupt und dann bricht der Klassizismus an und die Aufklärung kommt auch nach Bayern. Die Werke des Rokoko wurden stark kritisiert, man hat sie irgendwann nicht mehr sehen können, leider. Und dann gab es einen kompletten Stilwechsel."
    Wer nach der Ausstellung dagegen noch nicht genug hat, der kann in der Region gleich weiter auf Entdeckungsreise gehen. Asamkirche, Amalienburg oder Theatinerkirche sowie zahlreiche ländliche Pfarrkirchen mit ihren Rokokoschätzen sind gleich um die Ecke - auch wenn in den nächsten vier Monaten ein paar Plätze leer bleiben.