Dienstag, 16. April 2024

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Kunstreihe über Geruch
Der Mond riecht nach Schießpulver

Ob beim Deodorant oder der Autoarmatur: Geruchsdesign ist längst zum großen Wirtschaftszweig geworden. Unlängst hat Geruch auch in der Kunst Anerkennung gefunden. Die Kunst-Reihe "Olfactismus – über den Geruch" im Neuen Kunstverein Wuppertal versucht unter anderem, den Geruch von Mondstaub einzufangen.

Von Peter Backof | 18.04.2016
    Eine Nase riecht an dem Verschluss eines Flakons.
    Der Geruchssinn erobert die Kunstwelt - doch gibt es überhaupt Geruchskunst? (imago/Steinach)
    "Zehn, neun ..."
    Neunundzwanzig kleine NASA-weiße Luftballons und ein ganz großer - "... sieben, sechs ..." - sollen gleich platzen. Live Moon Smelling im Neuen Wuppertaler Kunstverein. Natürlich mit Countdown:
    Apollo Mission: "Five, four, three ..."
    Für Hagen Betzwieser, Künstler dieses Happenings für gut hundert Besucher, ist nicht "one small step for man", dieser eine Schritt von Neil Armstrong bedeutend - "zwei, eins ..." -, sondern das, was der Apollo 16-Astronaut Charles Duke 1972 sagte: Der Mond würde riechen.
    "It smells like gunpowder and has the taste of gunpowder, too. Also er vergleicht es mit Schießpulver und dieser Geruch ist so ein bisschen schweflig. Gute Beschreibung, wie man’s sich vorstellen kann: Es riecht wie eine kalte Silvesternacht, eine Dreiviertelstunde nach dem Feuerwerk."
    Da platzt ein letzter Luftballon; der Besucher meint jedoch, es riecht "nach Gummi, ich glaube, der Mond ist ein großer Luftballon."
    Der Duft von Mondstaub
    Das liegt daran, dass die zwei Milliliter Duft, die Hagen Betzwieser in die Ballons gefüllt hat, sich schnell verflüchtigen. Am zerplatzten großen Ballon wird es deutlicher: Einen intensiven chemischen Geruch, leicht organisch im Abgang, kann man erschnüffeln. Den lässt der Künstler exklusiv in einem britischen Geruchslabor produzieren: Eine Geruchs-Rekonstruktion. Mondstaub hatte sich damals an den Raumanzügen festgesetzt und nach Wiedereinstieg in die Sonde, unter genau diesen räumlichen Bedingungen, könnten die Astronauten etwa das gerochen haben. Interessant, dass Betzwieser Anfragen von naturkundlichen Museen bekommt, die offenbar mitspekulieren wollen, wie es riechen könnte, auf dem Mond.
    Gerüche, eine flüchtige und sehr subjektive Angelegenheit. "Olfactismus – über den Geruch" heißt die sechsteilige Wuppertaler Reihe.
    "So langsam, in den letzten zwanzig Jahren, wird anerkannt, dass Geruch auch Kunst sein kann. Also dass Künstler, die mit Gerüchen arbeiten durchaus auch positiv bewertet werden können in der Kunst", meint Veranstalter Holger Bär. Gerüche sind nun auch wirklich schwer auszustellen.
    "Die Bewertung, die vorgenommen wurde bisher war: Es wurde abgewertet, weil es nicht so wichtig war und es war auch kein Produkt im Sinn von Wertigkeit: Also ein Bild, was man hat, das kann man für viel Geld verkaufen, aber einen Geruch, den kann man nicht für viel Geld verkaufen. Im Kunstmarkt, in den Museen hat er nicht diesen Wert. Es gibt eine große Parfümindustrie, also eine Geruchsindustrie, und die Künstler müssen sich davon separieren, sich anders positionieren."
    Düfte als Thema der Kunst
    Düfte als Thema der Kunst gibt es schon lange. Da ist das berühmte Döschen "Merda d´artista" – Künstlerscheiße – des Italieners Piero Manzoni von 1961, und noch viel früher die Verulkung der Parfüm-Industrie durch Marcel Duchamps, der Flacons mit – ja – Luft drinne anfertigte. Den Schritt zur aktuellen olfaktorischen Kunst aber geht zum Beispiel der Berliner Thomas Rentmeister: Er beschmierte in den letzten Jahren riesige Leinwände mit Nutella und Penatencreme: Man muss die Bilder nicht sehen. Es riecht, schon einen Museumssaal weiter: nach Kindheit, nach Heimat, irgendwie nach Deutschland.
    Gerüche. Als das, was die Kunst ausmacht: In Wuppertal werden die Besucher von "Olfactismus" nach dem "Live Moon Smelling" die Nase in etwas anderes reinhalten können:
    "Etwas vollkommen anderes, das stimmt, was absolut Irdisches, nämlich etwas Essbares. Es wird ein großes Stück Speck sein."
    Der Künstler und Koch Arpad Dobriban wird ein halbes Schwein ausstellen, verwursten, räuchern. Und es geht wirklich darum, wie die Einzelteile dann vor Ort riechen. Zwar nicht direkt ernährungspädagogisch im Ansatz, wird diese Performance mit integriertem Bankett dann aber doch den Unterschied aufzeigen, zwischen Gerüchen, die bei der Hausschlachtung entstehen, und dem, was einem entgegendünstet, wenn man eine Packung Billig-Fleischwurst öffnet und – oh ja – nicht so ganz sicher sein kann, ob die Note organisch oder anorganisch im Abgang ist.
    "Olfactismus" – das ist eine pointierte, kleine Kunstreihe mit Performances, Happenings, Wissenschaftskabarett, abgeschmeckt am Ende mit einem Vortrag, der – wieder ganz spekulativ – Gerüche vergangener Epochen imaginär wieder "erduften" lässt. Warum steht Chanel No. 5 synonym für den Geruch der Moderne? Wie könnte es bei der Morgentoilette des Sonnenkönigs, Ludwig, des 14., gerochen haben, in barocken Zeiten, als es hieß: Katzenwäsche reicht, erstmal ordentlich Parfüm drüber! Eine Kunstreihe, die Spaß verspricht.