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Kunsttempel im Netzhemd

Das Münchner Haus der Kunst ist eine der bedeutenden Ausstellungshallen der Republik. Doch war das Museum 1937 durch die berüchtigte Ausstellung "Entartete Kunst" auch zur Nazischaubude. Zum 75-jährigen Bestehen enthüllt eine Schau nun die wechselvolle wie missbräuchliche Geschichte des Gebäudes – durch Verhüllung.

Von Christian Gampert | 08.06.2012
    Wie feiert man ein Museumsjubiläum? Wie versichert man sich der eigenen Geschichte? Das Münchner "Haus der Kunst" hat für dieses Problem eine einleuchtende Lösung gefunden: man engagiert einen Konzeptkünstler, zum Beispiel den Schweizer Christian Philipp Müller. Der hat der Außenfassade des klassizistischen grauen Gebäudes erstmal ein knallbuntes Negligé, eine Art poppiges Netzhemd übergeworfen, um auf den veränderten Gebrauch der einstigen Nazi-Schauhalle hinzuweisen: damals Hort brauner Ästhetik, heute Tempel der Gegenwartskunst. Müller dreht eine frühere Funktion der Verkleidung quasi um: Ein Tarnnetz nämlich sollte das Haus im Zweiten Weltkrieg für alliierte Bomberpiloten unkenntlich machen, sagt Kuratorin Sabine Brantl.

    "Ab 1942 wurde das Haus der deutschen Kunst getarnt, mit Tarnnetzen und künstlichen Baumkronen auf dem Dach zur Irreführung der Alliierten. Sodass das Haus wie eine Fortsetzung des Englischen Gartens aussah. Und diesen Aspekt der Geschichte nimmt Christian Philipp Müller wieder auf."

    Müller rückt auch den Nachkrieg auf spielerische Weise in den Fokus: Im ersten Ausstellungssaal hängen akkurat ausgerichtete Basketballkörbe von den Wänden. Die Amerikaner, die das Haus nach 1945 für sich entdeckten, tranken hier nicht nur Whiskey, sondern gaben sich auch der körperlichen Ertüchtigung hin.

    "Nach 1945 wurde das "Haus der deutschen Kunst" ja von den Amerikanern in Beschlag genommen. Dieses Gebäude verfügte über sehr sehr große Flächen. Aber auch über eine gut funktionierende Gastronomie. Sodass die amerikanische Militärregierung daraus einen Officers-Club gemacht hat. Mit Restaurants, mit Bars, mit Variéte-Veranstaltungen, aber eben auch mit Sportmöglichkeiten. Und man hat dann in den Ausstellungssälen mit weißer Ölfarbe die Markierungen für ein Basketballfeld angebracht."

    Im Anspielkreis stehen jetzt freilich Monitore, die vom Einmarsch der US-Truppen in München erzählen, und in den Regalen nebenan sind Plakate und Bücher zu sehen, die die nun folgende Heranführung des deutschen Publikums an die klassische Moderne dokumentieren.

    Es gab viel nachzuholen: Die erste große Picasso-Ausstellung in München fand erst 1955 statt (so weit reicht der Erzählrahmen der Schau). Die Konfrontation von Nazikunst und Moderne lösen die Kuratoren ebenfalls überzeugend: die einstmals glorifizierten nazoiden Werke sind längst im Depot verschwunden und werden folglich auf den dort üblichen Gitterwänden präsentiert, während die 1937 verfemte (und im Hofgarten an den Pranger gestellte) "entartete Kunst" nun die Museumswände wieder erobert hat. Während es in der modernen Abteilung aber, aus heutiger Sicht, nur alte Bekannte gibt, Kandinsky, Marc, Hofer, Klee, Beckmann, sind in der Nazisektion durchaus Überraschungen gefällig: Erich Merckers Bild der "Granitbrüche Flossenbürg" von 1941 zeigt scheinbar eine Arbeitsidylle im Steinbruch, aber an der Kleidung der Arbeiter erkennt man dann, dass es sich um Häftlinge eines KZ handelt.

    Überhaupt ist die Auswahl an Nazi-Ästhetik subtil: Es wird klar, dass die Nazis bewusst an etablierte Genres anschlossen, Landschaft, Portrait, Genre, Stillleben, diese dann aber im Sinne des Möchtegern-Malers Adolf Hitler verkitschten (der ja auch der erste Käufer bei den alljährlichen Leistungsschauen war). Ein Seestück von Claus Bergen von 1941 zum Beispiel beleuchtet - wie üblich - den Kampf eines Schiffes mit den Elementen, aber es zeigt eben ein aufgetauchtes U-Boot und heißt: "im Kampfgebiet des Atlantiks". Andere Maler, etwa der Portraitist Rudolf Belling, wurden sowohl in der "Großen deutschen Kunstausstellung" der Nazis als auch bei den "Entarteten" gezeigt – auch das war möglich.

    Im zentralen Saal thematisiert man dann die Pariser Weltausstellung von 1937, wo das "Haus der deutschen Kunst" als vorbildliches Architekturmodell eingeführt und sogar preisgekrönt wurde (übrigens direkt neben dem spanischen Pavillon, der Picassos "Guernica" zeigte); als Schrift-Stele ist Hitlers Rede zur Eröffnung des "Hauses der deutschen Kunst" in voller Länge nachzulesen, und an der Wand sieht man zentrale Aussagen von Hitlers Kunsttheorie. Dort wird wortreich der Stab gebrochen über jene Kunst, die "eine Gebrauchsanleitung" nötig habe. Die Volksgenossen applaudierten, und manche ihrer Nachfahren tun das ja immer noch.