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Kunstwerke eines "Bastlers"

Der amerikanische Künstler Tom Sachs prangert seit den 90er-Jahren die Herrschaft der Edelmarken und die Konsumzwänge an. In einer ehemaligen Nähmaschinenfabrik in Downtown Manhattan arbeitet der passionierte Bastler inzwischen mit einem großen Team zusammen.

Von Sacha Verna | 19.08.2012
    Wer im Studio von Tom Sachs etwas Wichtiges mitzuteilen hat, klopft auf ein buntes Xylofon von Fisher-Price und verkündet via Telefon über Lautsprecher, was ansteht.

    Eine Lieferung Sperrholz ist eingetroffen. Oder: Appell zum obligatorischen Gemeinschaftsturnen in fünf Minuten. Oder: Besuch.

    Tom Sachs Studio befindet sich in einer ehemaligen Nähmaschinenfabrik Downtown Manhattan, wo Chinatown, Little Italy und Soho aufeinandertreffen. Hier stellen dreizehn Assistenten unter der Aufsicht des 46-jährigen Künstlers jene Werke her, für die Sachs berühmt geworden ist: Das Modell eines deutschen Konzentrationslager aus Verpackungsmaterial von Prada. Überdimensionierte Hello Kitty-Figuren. Le Corbusiers Traumhaus aus Styropor. Sachs packt Symbole der Konsumkultur neben kopierte Kulturgüter und verbindet Massenmord mit Mode.

    "Es fing damit an, dass ich Dinge herstellte, die ich mir nicht leisten konnte oder die es nicht gab. Mit der Zeit wurde ich gieriger und ehrgeiziger und wollte mehr und größere Dinge. Das Machen von Objekten empfinde ich als therapeutisch. Man braucht ein gewisses Talent dazu und das erfüllt mich mit Befriedigung."

    Man betritt Allied Cultural Prosthetics, wie Tom Sachs seine Kunstfabrik nennt, durch eine blitzblanke, wenn auch dürftig eingerichtete Küche. Links davon liegt ein zurzeit leerer Ausstellungsraum. Dahinter und darüber das umfangreiche Materiallager und Büros. Darunter die Werkstatt, in der hauptsächlich junge Menschen mit eigenen künstlerischen Ambitionen schweißen und hämmern und sägen. Sachs Privatstube erreicht man über eine Holzleiter. Ein Zimmerspringbrunnen plätschert vor sich hin. Auf einer Werkbank liegen Teile eines Ghettoblasters. Weitere Boom Boxen in allen Größen und Variationen sind in dem Raum verteilt. Daran bastelt Tom Sachs gerade herum. Denn als Bastler, als "bricoleur" versteht er sich. "Bricolages", Basteleien nennt Tom Sachs seine Skulpturen:

    "Ich verbrachte zwanzig Jahre damit, ein schlechter Schüler zu sein. Als ich zu basteln anfing, begann ich mich besser zu fühlen."

    Eben hat Tom Sachs "Space Program: Mars" abgeschlossen. Ein gigantisches Projekt, für das Sachs eine komplette Mars-Expedition inszenierte, neben der das High-Tech-Wägelchen "Curiosity", das derzeit auf unserem Nachbarplaneten herumkurvt, erbärmlich aussieht. Drei Jahre lange haben Sachs und sein Ensemble an diesem Werk für die New Yorker Park Avenue Armory gearbeitet. Dass es sich bei den Möglich-Machern um "wir" handelte, nicht um "ich", wird Tom Sachs nicht müde zu betonen:

    "Es herrscht ein Jihad gegen die Vorstellung des Künstlers als Team. Die Leute wollen, dass ein Künstler eine mystische Figur ist, ein Schamane, ein Superheld, viel besser als alle anderen. Aber hinter jedem Bob Marley steckt ein Lee Perry. Hinter jedem John Lennon ein George Martin. Was ich tue, tue ich mit Hilfe meines Teams. Ich betrachte mein Team als Verstärker, als Erweiterung meines Hirns. Zusammen können wir viel mehr erreichen als alleine."

    Im Augenblick werkelt Tom Sachs noch allein an den Ghettoblastern herum. Er baut welche nach und modifiziert andere. Aber es sei noch zu früh, um darüber zu sprechen, sagt er. Dann fügt er hinzu, dass eine neue Idee manchmal mit einer Zeichnung beginne. Manchmal auch nicht. Und schließlich verrät er doch ein bisschen mehr:

    "Ich begann mit diesen zwei Ghettoblastern und diesen zwei Lautsprechen und dem Mischpult da drüben. Das habe ich weiß bemalt. Ich habe das alles auf dem Boden zusammengeschoben und dann dieses Stück Holz zurechtgesägt, auf dem jetzt die Flaschen stehen und an dem die Kettensäge hängt. Hier kam die Zeichnung, nachdem ich die Dinge beisammen hatte."

    Anders bei dem Objekt, zu dem Tom Sachs nun hinüber geht und das einer platt gewalzten Rakete vor einer Satellitenschüssel gleicht:

    "Ich wollte ein Raumschiff mit einer Kochplatte aus Teflon und einer Flamme, um darauf Speck zu braten, und eine Flasche, die das Fett auffängt. Davon habe ich zuerst eine Skizze gemacht. Dann habe ich diesen Schirm gebaut, um die Hitze zu reflektieren."

    Auf die Bemerkung, es gäbe einfachere Arten, Speck zu braten, reagiert Tom Sachs mit einem Vortrag über das Potenzial des gesammelten Speckfettes als Energiequelle. Das führt ihn zu den grundsätzliche Werten, denen er mit seinen Werken Ausdruck verleihen will:

    "Wenn Sie sich Ihr Aufnahmegerät oder Ihr Telefon anschauen, sehen Sie fünfhundert Jahre Handwerkskunst, die es darauf anlegt, alle Spuren des Handwerks zu tilgen. Wir hingegen zeigen die Schweißnaht, die Schrauben, alles. Diese Art der politischen Transparenz vertrete ich beharrlich. Unsere Konsumkultur basiert auf versteckten Mechanismen, auf Werbung, die unser Handeln und Denken steuert, ohne dass wir uns ihrer bewusst sind. Mein Werk soll Ihnen zeigen, wie es gemacht ist und wie es funktioniert. Es soll mein Team zeigen, mich als Individuum, unser Ethos."

    Dass er auch einfach Spaß daran hat, seinen Lebensunterhalt mit Bastelarbeiten in großem Stil zu verdienen, bestreitet Tom Sachs gar nicht. Im Gegenteil: Seinen toten Fingern werde man seine Leimpistole entwinden müssen:

    "Pry my glue gun from my cold dead fingers."