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Lauschangriff im Getreidesilo

Getreide in Lagerhallen und Silos hat einen gefräßigen und schwer auffindbaren Feind: Schädlinge. Wissenschaftler der Universität Kassel haben ein Sensorsystem entwickelt, mit dem die Insekten in Getreidelagern an ihren Geräuschen erkannt und geortet werden können.

Von Remko Kragt | 07.03.2012
    Im Labor für Entomologie der Universität Kassel stehen einige Gläser mit trockenem Getreide, Reis und Bohnen. Aber so trocken die Körner auch aussehen, in den Gläsern ist Leben. Raupen, Schaben und Würmer wühlen in den Proben herum. Und wer sein Ohr an eines der Gläser legt, kann sie sogar hören.

    Große, braune Bohnenkäferraupen krabbeln durch die trockenen Bohnen und knabbern darin herum. Insektenkundler Uwe Richter zeichnet diese Geräusche auf. Dafür steckt in den Bohnen ein kleiner Sensor, eine runde Scheibe etwa so groß wie ein Euro, der über ein Kabel mit einem handtellergroßen Aufnahmegerät verbunden ist. Uwe Richter zieht den Sensor an der Schnur aus den Bohnen heraus und steckt ihn in ein anderes Glas um.

    "Und hier haben wir Haferflocken mit Mehlwürmern. Aus den Mehlwürmern wird dann ja der Mehlkäfer, der in Mühlen häufig vertreten ist und auch im Getreidelager. Der Mehlkäfer, auch wenn er Mehlkäfer heißt, frisst auch ganzen Weizen."

    Die Mehlwürmer sind bedeutend leiser. Hier reicht das menschliche Ohr nicht, diese Töne können nur mit einem Verstärker hörbar gemacht werden. Dann aber wird deutlich, dass sie sich ganz anders anhören als die Raupen.

    Alle Insekten und Raupen erzeugen Töne, etwa beim Fressen oder bei der Paarung oder einfach, wenn sie sich bewegen. Uwe Richter analysiert die Frequenzbereiche dieser Töne. Er versucht Nebengeräusche herauszufiltern, sodass nur noch die Töne übrig bleiben, die wirklich von den Insekten erzeugt werden.

    "Die Idee ist halt, dass man ein Frequenzspektrum findet, das speziell ist für eine Art, um dieses dann, wenn man in der Praxis ist, wieder zu finden und zu sagen: Diese Art ist vorhanden."

    Dafür haben die Wissenschaftler eigens die Aufnahmeeinheit mit dem Piezosensor entwickelt. Der kostet nur wenige Cent und kann außerdem zusammen mit mehreren anderen Sensoren mit einer Aufzeichnungseinheit zusammengeschaltet werden.

    "Wenn wir jetzt ein großes Silo haben, zum Beispiel mit einem Durchmesser von 10 Metern und 20 Meter Höhe, können wir dann hingehen und einfach zehn von diesen Dingern hintereinanderschalten, um dann das komplette Silo abzubilden. Und anhand der Position der einzelnen Sensoren und dem empfangenen Signal können wir dann sagen: Auf drei Meter Höhe sitzt jetzt ein Käfernest mit einer gewissen Quantität. Unser Ziel ist halt, dass man auf einem Kubikmeter ein Insekt findet."

    Diese Geschwindigkeit und Genauigkeit überträfe alle bisherigen Möglichkeiten. Bisher entwickelte Methoden sind nicht nur viele langsamer, sondern sie setzen auch voraus, dass bereits viele Schädlinge im Getreide sitzen. Gemeinsam ist ihnen außerdem, dass sie immer nur ergeben, ob Schädlinge im Getreide sitzen, nicht aber wo sie sitzen - geschweige denn, wie viele es sind.

    Die Folge: Um die Schädlinge zu bekämpfen, muss stets der gesamte Getreidevorrat begast, erhitzt oder mit Insektiziden durchsetzt werden. Das wäre nicht nötig, sagt Uwe Richter, denn die Schädlinge verteilen sich zumeist nicht gleichmäßig im ganzen Silo. Vielmehr leben sie in der Regel im Umkreis ihrer Nester. Eine gezielte Bekämpfung einzelner Arten hätte gegenüber den bisherigen Verfahren deutliche Vorteile.

    "Bei uns wäre halt der Vorteil, man könnte sagen, ich habe Insekten und man kann zusätzlich sagen, ich habe eine bestimmte Art von Insekten, sagen wir mal, ich habe jetzt Kornkäfer drin. Dann kann man natürlich die Bekämpfung dann auch anpassen, das heißt, man wählt kein universelles Insektizid, um alle Insekten zu vernichten, was ja auch eine Beeinflussung der Qualität vom Korn natürlich darstellt, sondern man könnte zum Beispiel einen biologischen Antipart nehmen, eine Art Schlupfwespe zum Beispiel, die auf den Kornkäfer angesetzt werden kann. Eine andere Methode, die auch häufig angewendet wird, ist einfach Erhitzen des Getreides. Wenn man natürlich weiß, welches Insekt man hat, kann man halt den Temperaturbereich spezieller auswählen, weil wenn man zu viel das Getreide erhitzt, geht auch ein Qualitätsverlust wieder einher."

    Im Einzelnen müssten diese gezielten Methoden allerdings noch entwickelt werden. Darum habe sich bisher niemand gekümmert, sagt Uwe Richter - mangels Einsatzmöglichkeiten.