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Lena Willemark und die Thüringer Symphoniker
Folk trifft Klassik

Lena Willemark gilt als Grande Dame des skandinavischen Folk. Mit ihrer kraftvollen, warmen Stimme und ihrem emotional aufgeladenen Violinspiel setzt die schwedische Musikerin Maßstäbe. In ihren Projekten bewegt sie sich zwischen traditionellem und zeitgenössischem Material, zwischen Jazz und Klassischer Musik.

Von Silvia Handke | 14.04.2017
    Lena Willemark steht mit ausgebreiteten Armen am Mikrophon vor den Thüringer Symphonikern
    Lena Willemark mit den Thüringer Symphonikern: lyrisch und lebendig. (Silvia Hauptmann)
    Wenn sie die Bühne betritt, dann wird es ganz still im Publikum. Denn immer sind die Lieder der stimmgewaltigen Sängerin ebenso tiefgründig wie zeitlos schön. Ob sie die Weite der Natur besingt, das Leben der Hirten oder die Tragik menschlicher Schicksale - ohne Liebe zur Tradition wäre Lena Willemark heute nicht das, was sie ist: eine der bedeutendsten schwedischen Folksängerinnen der letzten 30 Jahre. Mit Violine und Viola begleitet sie ihren Gesang, solistisch oder im Ensemble mit anderen Musikern.
    Dabei kreiert die 'Grande Dame des Folk' eine eigene Klangsprache, für die sie oft eine Brücke vom Folk zum Jazz und zur klassischen Musik schlägt und so unterschiedliche musikalische Idiome zusammenführt. Für ihre Crossover-Projekte schreibt die am Königlichen Konservatorium in Stockholm ausgebildete Musikerin einige Melodien selbst, zuweilen auch Arrangements für kleinere Ensembles. Am liebsten aber präsentiert sie das traditionelle Liedgut ihrer Heimatregion Dalarna in ihrem eigenen Stil, grundierend oder konterkarierend mit emotional aufgeladenem Violinspiel.
    In Skandinavien hat Lena Willemark schon häufiger mit großen Orchestern zusammengearbeitet.
    "Ich finde, ein Orchester kann Musik in ganz verschiedenen Farben und fantastischen Klängen malen".
    Um die Stimmung ihrer Lieder mit Orchesterbegleitung deutlich zu transportieren, kooperiert Lena Willemark mit verschiedenen Arrangeuren. Dann kommt das Orchester ins Spiel. Für das Weltmusikfestival Rudolstadt 2016 hat die Schwedin mit ihrem Duo - dem Cellisten Leo Sander und dem Bandoneonspieler Mikael Augustsson - sowie dem großen romantischen Opernorchester der Thüringer Symphoniker zusammengearbeitet und eine Sammlung zeitgenössischer und traditioneller Lieder aus Mittelschweden auf die Bühne gebracht. Oliver Weder, der Leiter des Orchesters:
    "Türöffner in eine ganz neue Welt"
    "Für die Thüringer Symphoniker ist das Rudolstadt-Konzert immer ein Türöffner in eine ganz neue Welt - und jedes Jahr in eine andere. Ich glaube, schwedische Folklore haben wir noch nie gemacht. Aber alles das, was sich über die Stimme vermittelt, ist für uns leicht. Lena Willemark hat uns viel erzählt über die Lieder. Das heißt, wir wissen, worum es geht, was sich da transportiert in den Stücken. Ich glaube, das ist ganz wichtig, denn es geht hier in erster Linie um Emotion. Also Lena erzählt eine kleine Geschichte, und dann muss man seiner eigenen Intuition vertrauen, um das, was transportiert wird, auch mitzunehmen, denn sonst kommt die Botschaft nicht rüber."
    Zur traditionellen schwedischen Folkmusik gehört natürlich das Fiddle- und Geigenspiel, dazu Hirtengesänge, die auf besondere Art und Weise die weibliche Kopfstimme einsetzen und Polskas. Das sind Tänze, die im 16. Jahrhundert von Polen nach Schweden gelangten. Lena Willemark interpretiert oft auch Stücke, die sie aus ihrem Heimatort kennt.
    "Ich bin hardcore traditionell"
    "Geboren bin ich 1960 in einem kleinen Dorf im mittleren Westen Schwedens. Es liegt in Dalarna, nahe der norwegischen Grenze, wo man damals noch auf eine sehr altertümliche Weise lebte. Die traditionelle Musik meiner Heimat habe ich von den Älteren im Dorf gelernt, das Fiddlespiel, das Singen und die Hirtenrufe. Aber es gab auch die musikalische Welt außerhalb und die habe ich durch Radio Luxemburg und den Musikunterricht in der Schule kennengelernt. Das alles prägte meine Kindheit. Ich habe mich dabei sehr früh in die originäre Volksmusik Mittelschwedens verliebt. Sie bildet das Rückgrat all meiner musikalischen Projekte. Ich denke sehr traditionell, man könnte sagen, ich bin hardcore traditionell. Aber ich arbeite auch gern mit anderen zusammen und erzähle meine Geschichten in unterschiedlichen musikalischen Zusammenhängen."
    Der musikalische Kosmos, in dem sich Lena Willemark heute bewegt - zwischen Volksmusik, Jazz und klassischer Avantgarde - hat auch mit den Möglichkeiten einer Musikausbildung in Schweden zu tun.
    "Es war damals nicht möglich am Konservatorium traditionelle Volksmusik zu studieren. Also studierte ich klassische Musik und Pop und wurde Musiklehrerin. Aber in meiner Freizeit spielte ich weiter traditionelle Volksmusik. Dann aber gab es einen Studiengang am Konservatorium, bei dem sich der Einzelne entwickeln konnte, in solistische Richtung. Ich hatte Lehrer außerhalb der Schule und begann mich sowohl in die Volksmusik als auch in die improvisierte Musik zu vertiefen. Hinzu kam natürlich auch die zeitgenössische klassische Musik. Für mich ist jede Musikrichtung, die meine Stimme und meinen Ausdruck unterstützt, interessant. Mich inspiriert auch die Zusammenarbeit mit ganz unterschiedlichen Musikern.”
    Zu lyrischer Musik passt das romantische Orchester
    Ein romantisches Sinfonieorchester bringt Lena Willemarks stimmgewaltige Musik besonders gut zum Tragen, meint Oliver Weder, Leiter der Thüringer Symphoniker aus Saalfeld und Rudolstadt.
    "Wir haben dieses Jahr ein großes romantisches Sinfonieorchester mit dreifacher Holzbläserbesetzung, mit vollem Blech, mit großem Schlagwerkapparat, mit großer Solo-Harfe, Klavier, Celesta, alles was man so braucht. Das ist nicht jedes Jahr der Fall. Aber die Musik, die Lena Willemark macht, ist eine weitgehend doch sehr lyrische Musik, und das passt zum Orchester. Man kann nicht jede Form der Unterhaltungsmusik oder auch der Folkmusik mit Orchester zusammen bringen, aber da, wo es Lyrik gibt, da, wo es Gesangsstimme gibt, da, wo es eine Melodiedominanz gibt, da ist das Orchester gut dabei und es ist natürlich ein enormer Gefühlsverstärker."
    Lena Willemark ist vielseitig interessiert, öffnet sich verschiedenen Traditionen und wendet sich dabei auch Chorälen zu, die mehrere Jahrhunderte und eine weite Reise überdauert haben.
    "Im 12. Jahrhundert haben einige Schweden ihre Heimat verlassen und sich auf Inseln nahe der Küste Estlands niedergelassen. Dort bewahrten sie ihre religiösen Bräuche und Gesänge. Und dann, während der Regierungszeit von Katharina Stuart im 16. Jahrhundert zogen sie weiter in die Ukraine. Einer der kleinen Orte dort ist ‚Gammalsvenskby‘. Als ich vor zwei Jahren dorthin reiste, habe ich acht alte Frauen kennengelernt, ehemalige Nachfahren schwedischer Emigranten, die noch den alten schwedischen Dialekt sprechen. Ich konnte mich mit ihnen gut verständigen, da ich diesen Dialekt selber beherrsche. Es war fantastisch dort."
    Aufnahme vom 8.7.16 beim Weltmusikfestival Rudolstadt
    Diese Sendung können Sie nach Ausstrahlung online nachhören.