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Lerncamp statt Dschungelcamp

Pauken statt Ferien machen und ausruhen: In Sachsen nennt man das "Camp Plus". Mit gezielter Förderung wird Kindern in einem Lerncamp beigebracht, wie man sich motiviert und sich für seine Ziele einsetzt.

Ronny Arnold | 22.02.2011
    "Es ist ein Arbeitsblatt, wo ihr in wenigen Minuten testen sollt, wie gut ihr einen Text versteht. Aufgabe verstanden? Dann wünsch ich euch viel Erfolg - und es geht los."

    Elf Schüler hat Lehrerin Conny Moras in ihrer Vormittagsgruppe sitzen. Deutsch, Englisch, Mathe wird geübt - nicht im immer noch weit verbreiteten Frontalunterricht, sondern ganz locker in kleinen Lerngruppen.

    "Sinn ist, diesen Text jetzt zu lesen und zu verstehen. Und Textverständnis ist bei Schülern immer etwas schwierig, deshalb muss man das viel üben. Es gab heute schon Mathematik, da haben wir Stationen lernen gemacht, Flächenberechnung, Prozentrechnung."

    Allein das Wort Mathematik lässt Jannes am Nachbartisch zusammenzucken. Der 14-Jährige kommt aus Zwickau, geht wie alle anderen hier im Camp in die 8. Klasse und hat in seinem Halbjahreszeugnis einen unangenehmen Vermerk stehen: versetzungsgefährdet. Deshalb ist er hier bei Camp Plus, freiwillig - wie die anderen 50 Jugendlichen auch.

    "Ich will mich in Mathe verbessern, weil in Mathe bin ich zuletzt ziemlich abgerutscht. Meine Klassenlehrerin kam auf mich zu und hat gefragt, ob ich da mitmachen will. Erst war ich nicht so begeistert, aber jetzt finde ich es übel cool und bin froh, dass ich mit hergekommen bin."

    Seit vier Tagen ist Jannes hier im idyllisch an einem kleinen See am Stadtrand von Schneeberg gelegenen Schülercamp. Direkt nach dem Frühstück beginnt seine Lerngruppe, von denen es insgesamt fünf gibt. Jede hat ihre eigenen Betreuer: Lehrer, Sozialarbeiter, Freizeitpädagogen. Gut zwei Stunden wird am Vormittag gelernt, dann geht es nach dem Mittag in die Projektarbeit: Kochen, Musik, Mediengruppe, Bühne und Theater.

    Jannes arbeitet in der Holzwerkstatt und baut mit den Anderen gerade Musikinstrumente für das Abschlusskonzert in ein paar Tagen. Diese Projektarbeit ist für Teamleiter Andreas Edhofer fast noch wichtiger als das Lernen am Vormittag.

    "Wenn wir versuchen, ihnen eine Perspektive aufzumachen, für was sie lernen, müssen sie die Lust und die Motivation am Lernen gewinnen. Und das geht nur über einen ganzheitlichen Anspruch, unsere Projektarbeit. Wir sehen die Freizeit nicht extra, sondern das ist im Konzept mit drin und selbst die Gespräche zwischen Tür und Angel, auf Wanderungen, u.s.w. sind wichtig, weil wir dadurch Blockaden viel besser lösen können."

    Lernblockaden lösen, nach Stärken und Schwächen suchen und dabei Wege finden, wie private und schulische Probleme angegangen werden können. Bildungsvereinbarungen treffen nennt das Andreas Edhofer - die Schüler formulieren klare Ziele, was sie in Zukunft ändern wollen und wie sie das schaffen können.

    "Die meisten Probleme liegen in der Konzentration, in der Ausdauer, Dinge zu bewältigen. Für viele ist Schule kein Thema mehr, die wollen raus in den Beruf, wollen etwas anderes machen. Und deswegen kommen sie in Schwierigkeiten und verstehen nicht, dass sie bestimmte Wissensinhalte lernen müssen. Und wir müssen ihnen die Perspektive aufmachen, für was sie lernen."

    Was den Jugendlichen hier, die vermehrt aus sozial schwachen Familien kommen, vor allem fehle, sei ein positives Selbstwertgefühl - meint Projektleiterin Sabine Haimann.

    "Wenn man versetzungsgefährdet ist, hat man schon eine Menge Misserfolge gehabt. Also man sieht sich als Loser. Uns geht es dann erst einmal darum, das Selbstkonzept zu ändern. Das heißt sich selbst überhaupt wieder etwas zuzutrauen. Weil das ist die Grundvoraussetzung, wieder Erfolg zu haben."

    Seit vier Jahren läuft Camp Plus in Sachsen, jeweils ein halbes Jahr - und kostet für etwa 150 teilnehmende Schüler gut 500 Tausend Euro. Das Geld wird allerdings nicht nur für das zweiwöchige Camp ausgegeben, sondern vor allem für eine intensive Betreuung danach. Denn Lehrer und Sozialpädagogen betreuen die Schüler bis zu den Sommerzeugnissen weiter - reden wenn nötig mit den Eltern oder in Ausnahmefällen auch mal mit dem Jugendamt. 80 Prozent der versetzungsgefährdeten Jugendlichen schaffen so am Ende den Sprung in Klasse 9. Für Teamleiter Enrico Damme ein Erfolg mit Zukunft.

    "Auf jeden Fall macht das Sinn, gerade in diese Jugendlichen zu investieren. Weil wenn wir die verlieren und nicht kriegen, und jetzt ist gerade noch die Chance in der 8. Klasse, eigentlich müsste man sogar noch ein bisschen eher anfangen; das sind sozusagen die Leute, die morgen auf der Hartz-IV-Wartebank sitzen. Und deshalb kämpfen wir auch um jeden, das der sich wieder besser in das Schulsystem einfügt."

    So wie um Jannes, der gerade mit Hammer und Meisel "Barca", seinen Lieblingsverein Barcelona, in einem Hohlblockstein verewigt. Und was ist nun besser: Projektarbeit hier oder Schulbank drücken zu Hause? Wirklich lange überlegen muss der 14-Jährige nicht.

    "Etwas praktisch zu arbeiten macht mehr Spaß finde ich. Im Team zu arbeiten ist mal was anderes. Wir sind schon richtig gute Freunde geworden, also ich finde es hier gut."