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Libanon
Müllkrise - eine tickende Zeitbombe

In der libanesischen Hauptstadt Beirut türmt sich der Müll zu Bergen auf, denn die größte Deponie des Landes wurde vor Wochen geschlossen und der Unrat seitdem nicht mehr abtransportiert. Es geht um Tausende Tonnen täglich. Libanons Müllkrise ist eine tickende Zeitbombe: für die Umwelt - und auf politischer Ebene.

Von Juliane Metzker | 05.10.2015
    Müllberge in der libanesischen Hauptstadt Beirut.
    In der libanesischen Hauptstadt Beirut stapelt sich der Müll. (AFP / JOSEPH EID)
    "Trage ich nicht ein wunderbares Parfum?", scherzt Estefan. Der 50-jährige Libanese braucht seinen schwarzen Humor für das, was er jeden Tag nur noch mit Atemschutzmaske ertragen kann: einen riesigen Müllberg direkt vor der Haustür. Wie ihm ergeht es vielen seitdem die größte Mülldeponie im Libanon schloss. Erst blieb der Abfall wochenlang auf den Straßen liegen, dann richtete der Staat provisorische Müllhalden ein; auch in Wohngebieten. Die Müllkrise im Libanon - ein Sommeralbtraum, weswegen Tausende Libanesen unter dem Slogan "Ihr Stinkt!" gegen ihre unfähige Regierung auf die Straße gingen.
    Libanons Müllkrise ist ein tickende Zeitbombe, nicht nur auf politischer Ebene, sondern vor allem für die Umwelt. Nadine Mazloum ist Lokaljournalistin und Umweltaktivisten. Seit Beginn der Müllkrise ist sie auf der Jagd - nach illegalen Müllablageplätzen wie hier an einer Autobahn in den libanesischen Bergen.
    "Der Müll hier kommt wahrscheinlich aus den Gemeinden am Ende dieser Autobahn. Der Abfall wird einfach an gesonderten Orten wie diesem hier abgeladen. Besonders viel wird in unberührte Waldstücke gebracht und dort verbrannt."
    Bis zu 4.000 Tonnen Müll werden täglich irgendwo abgeladen oder verbrannt. Der toxische Gas-Cocktail durch brennenden Abfall ist gefährlich. Bereits jetzt klagen Anwohner über Fieberkrankheiten und Atemprobleme bis hin zu Cholera-Erkrankungen. Auch Mazloums Müll-Jagd rächte sich an ihrer Gesundheit: Sie bekam eine Lungeninfektion.
    "Ich habe nicht nur Leute getroffen, die wegen der Müllkrise auch unter einer Lungeninfektion leiden. Tatsächlich verlassen viele Menschen sogar ihr Zuhause, wenn sie Kleinkinder haben. Um den Müll zu entkommen, ziehen sie bei Verwandten in den Bergen ein."
    Müll-Mafia, Elektrizität-Mafia, Wasser-Mafia
    Dass der Abfall zu einem nationalen Problem wurde, hat viele Gründe: ein dürftiges Management, in dem nicht einmal acht Prozent des Mülls recycelt wird, mehr Abfälle durch über eine Millionen syrische Flüchtlinge im Land. Doch vor allem ist es die Profitgier: An allem, was im Libanon nur in Maßen vorhanden ist - Wasser, Elektrizität, Mülldeponien - verdienen einige wenige gutes Geld.
    "Es gibt eine Müll-Mafia, eine Elektrizität-Mafia, eine Wasser-Mafia - die natürlichen Ressourcen des Landes werden ausgenommen, denn wir leben mehr in einer Oligarchie als in einer Demokratie. Hier teilen sich die Machthaber den Müllkuchen untereinander auf und versuchen daraus Profit zu schlagen."
    Der Müll landet auch im Meer. Braunes Wasser rauscht in Wellen an den Strand in Beirut. Auf dem sogenannten Ocean-Health-Index, ein Gradmesser für sauberes Meerwasser, hat der Libanon weltweit mit die schlechtesten Werte. Auch der Bürgerkrieg und der Krieg mit Israel 2006 haben dazu beigetragen. Umweltorganisation schlagen deshalb seit Jahren Alarm:
    "Ich weiß nicht, wie viele natürliche Ressourcen wir noch haben. Vom Wasser bis zur Luft ist alles verunreinigt. Wir versuchen, das rückgängig zu machen, aber tatsächlich ist alles bereits von Grund auf verseucht."
    Ressourcen-Management in Konfliktregionen
    Mario Goraieb arbeitet für die libanesische Umweltorganisation ArcEnCiel. Was Aktivisten wie er längst begriffen haben: Im Nahen Osten braucht es auch mehr Umweltbewusstsein für den Frieden - die Grundlage des sogenannten Environmental Peacebuildings. Ein einfaches Konzept, schwer in der Umsetzung: Es ist eine Art Ressourcen-Management in Konfliktregionen, denn klar ist, wo natürliche Ressourcen schwinden, entsteht Nährboden für neue Spannungen und Konflikte.
    "Müll-Management ist eine Kultur. Das passiert nicht von heute auf Morgen, denn die Menschen kennen diese Kultur nicht. Also müssen wir Schritt für Schritt mit ihnen gehen, um sie an das Konzept der Nachhaltigkeit heranzuführen. Was wir jetzt gleich brauchen ist ein Notfallplan, um die Umweltverschmutzung zu stoppen."
    Doch die Zeit wird knapp: In ein paar Wochen beginnt die Regenzeit im Libanon. Bleibt der Müll auf den Straßen, in Flussbetten und in den Wäldern liegen, könnte das das Grundwasser verunreinigen und auf diesem Wege in die libanesischen Haushalte gelangen.