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Liebe, Leiden und nervige Lehrer

Das Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main zeigt in einer Ausstellung rund 150 Schülerbriefchen aus den vergangenen vier Jahrzehnte. Die Zettel enthalten Gedanken und Gefühle von Schülern, komprimiert in wenigen Schlagworten oder Federstrichen.

Von Anke Petermann | 07.11.2012
    Willst du mit mir gehen – Ja – Nein – Vielleicht – zum Ankreuzen.

    Berührend und banal zugleich - der Klassiker unter den geheimen Briefchen. 150 mehr oder weniger zerknüllte Instant-Botschaften, geglättet und fein säuberlich gerahmt in einem stilisierten Klassenraum, auf Tischen museal präsentiert – das macht den reizvollen Widerspruch dieser Schau aus. Tinte auf rosa Löschpapier, Kuli auf kariertem Heftausriss – das Material kommt profan daher, der Stil prägnant:

    Ich will nichts von dir – David

    Lakonische Klarstellung von 1992. Oder: die ganze Depression eines Schülerlebens, gebannt in zwei Dreiwort-Ausrufen.

    Ich bin hässlich Ich, nur ich!

    Vor mehr als drei Jahrzehnten fiel dem Nürnberger Realschullehrer Günter Hessenauer diese anonyme Botschaft pubertärer Verzweiflung in die Hände, gekritzelt mit schwarzem Filzstift, leicht verblichen.

    "Da wurde mir klar, dass das ganze Leben der jungen Menschen sich da niederschlägt in diesen Zettelchen, in diesen Objekten der schulischen Subkultur."

    2500 dieser Subkultur-Botschaften kassierte Hessenauer von Ende der 60er-Jahre bis ins neue Jahrtausend teils im Unterricht ein, teils fand er sie danach zerknüllt im Papierkorb. Matthias Rösch, Leiter des Nürnberger Schulmuseums, hat den riesigen Hessenauer-Fundus durchgearbeitet und ausgewertet. Die Hälfte der Zettel beschäftigt sich mit Liebe und Herzschmerz, zuweilen verdichtet zu Weisheiten wie dieser:

    Mädchen sind wie Pilze. Die schönsten sind die giftigsten.

    Tinte auf pinkfarbenem Löschpapier, Mitte der achtziger Jahre. Weitere Hauptthemen: Lehrer, Klassenkameraden, Unterricht.

    - Laangweilig. – Was? Mir nicht – von allen Seiten bekomme ich Zettel.

    Geheimer Hochfrequenz-Austausch unter der Bank - Ausstellungskurator Rösch bilanziert,

    "dass es eine existenziell notwendige Sache ist, sonst würden die nicht trotz Verbots und Strafen so intensiv schreiben. Und man kann auch rausziehen, dass es nicht nur ein soziales Ventil ist, sondern dass da auch wirklich klar definiert bleibt, wer ist mein Partner, zu welchem Netzwerk gehöre ich, was habe ich da für Status."

    Folgende Anfrage einer mutmaßlichen Außenseiterin datiert von 1968, eines der ältesten Ausstellungsstücke.

    Kann ich in der Pause mit Gummihüpfen?

    Ja / Nein – bitte ankreuzen. Antwort:

    Heidi sagt: Nein.



    Auch heute hält sich die Generation Smartphone mit Hilfe von Kurznachrichten und Kritzeleien gegenseitig den Spiegel vor. Die wichtigsten davon hat die Elftklässlerin Mira als Erinnerungsstücke aufgehoben. An der detaillierten Zeichnung eines spitzschnäuzigen Exoten hätten Kunst- und Bio-Lehrer vermutlich ihre Freude.

    Das ist ein Erdmännchen. Die sagen alle, ich sehe aus wie ein Erdmännchen.

    Entdecken Lehrer die Zettelwirtschaft, kann das Folgen haben:

    "Da kriegt man noch mehr Ärger, als wenn die ein Handy einsammeln. Weil wenn man eine fette Lehrerin zum Beispiel auf ein Blatt malt, dann ist das schon böse, wenn die das einsammelt und das sieht. Dann hasst die dich ein Leben lang. Wenn du so ein Handy eingesammelt kriegst, dann ist die die Stunde sauer auf dich, aber die hasst dich dann nicht für immer."

    Frühes Zettel-Trauma. Doch irgendwann ebbt die Zettelkommunikation ab, beobachten die 16-jährige Mira und der 14-jährige Till, und zwar:

    Mira: "Ab der Zeit, wo alle ein Handy haben. Bei uns war das jetzt so ab der Siebten oder in der Achten, aber die Kinder kriegen ja immer früher schon Handys."

    Till: "Ich glaube, ich habe ab der sechsten Klasse oder so keine Zettel mehr geschrieben, weil man einfach sich anders beschäftigen kann, so im Unterricht."

    Entweder mit der großen Bandbreite elektronischer Kleingeräte oder – für manche eine ganz neue Option nach pubertärem Reifeschub - man passt einfach mal auf.

    Mehr Informationen

    Die Ausstellung läuft bis 17. Februar 2013 im Museum für Kommunikation, Frankfurt am Main, Schaumainkai 53, Telefon 069/60600.
    Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 9 bis 18 Uhr, samstags, sonn- und feiertags 11 bis 19 Uhr. Eintritt: 3 Euro, ermäßigt 1,50 Euro.
    Mädchen-Zettel, 6. Jahrgangsstufe, vor 2001
    Mädchen-Zettel, 6. Jahrgangsstufe, vor 2001 (FAU Erlangen-Nürnberg / Georg Pöhlein)