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Linken-Streit "muss nicht zwangsläufig auf eine Spaltung hinauslaufen"

Es gibt bei der Linken "keine belastbaren und tragfähigen Absprachen über eine integrationswillige und integrationsfähige Parteiführung", meint der Hallenser Politikwissenschaftler Everhard Holtmann. Deswegen erwartet er vom Parteitag in Göttingen keine Lösung ihrer Krise.

Everhard Holtmann im Gespräch mit Jasper Barenberg | 02.06.2012
    Jasper Barenberg: Und am Telefon begrüße ich Everhard Holtmann,
    Parteienforscher an der Uni Halle-Wittenberg. Schönen guten Tag!

    Everhard Holtmann: Guten Tag, Herr Barenberg!

    Barenberg: Herr Holtmann, alles oder nichts – ist das die Lage für die Linkspartei?

    Holtmann: Nein, ich denke nicht. Es zeigt sich auf der einen Seite, dass die PDS und WASG, die sich zur Linken 2007 zusammengeschlossen haben, alles andere als eineiige politische Zwillinge sind. Und so gesehen ist eine Sollbruchstelle zwischen Ost und West in die Partei von vornherein auch eingebaut gewesen, die zeitweise durch die Wahlerfolge – zumal im westlichen Teil der Republik – und durch die strömungsübergreifende Integrationskraft und Ansprachemöglichkeit der Parteivorsitzenden Gysi und Lafontaine beziehungsweise Fraktionsvorsitzenden überbrückt werden konnte. Auf der anderen Seite: Das muss jetzt nicht zwangsläufig auf eine Spaltung hinauslaufen. Ich erwarte eher, dass sich innerhalb der weiter bestehenden Parteihülle allenfalls die Strömungen und Lager weiter voneinander entfernen, vielleicht auch nachhaltig entfremden.

    Barenberg: Hat also Gregor Gysi, der Fraktionschef, ein wenig übertrieben, vielleicht auch kalkuliert, als er die Partei vor der Alternative sah: Neuanfang oder Todesstoß?

    Holtmann: Ich denke, dass solche Dramatisierungen, solche verbalen Dramatisierungen ja vor allen Dingen auch den Zweck haben, die Delegierten gewissermaßen auf ein Mindestmaß an parteischonender Rationalität neuerlich einzuschwören. Es ist ja wenig geklärt. Das hat Bodo Ramelow ja auch vorher mehrfach deutlich gemacht. Es gibt keine belastbaren und tragfähigen Absprachen über eine integrationswillige und integrationsfähige Parteiführung, und das hat nichts mit Kungelei in Hinterzimmern zu tun, sondern das ist für eine Partei, die über eine entsprechende Vielfalt in sich verfügt, auch eine praktisch überlebenswichtige Übung.

    Alles dieses gibt es nicht. Der eben im Interview angesprochene taktische Spielraum, den die Satzung schon durch die Wahlgänge und durch die Doppelspitze lässt, macht die Unberechenbarkeit noch höher. Und wenn wir uns die Delegiertenverteilung anschauen: Es gibt etwa gut 270 aus dem Osten, knapp 230 aus dem Westen und dazu kommen noch, auch eher schwer berechenbar, rund 50 von den Arbeitsgemeinschaften. Also: Da ist sehr, sehr viel Unberechenbarkeit mit drin.

    Barenberg: Sie haben von der Sollbruchstelle zwischen Ost und West gesprochen, die sozusagen der gesamtdeutschen Partei schon immer eingeschrieben war. Wenn wir uns die vergangenen Monate angucken, dann gab es die miserablen Ergebnisse bei den letzten Landtagswahlen – zumal in Schleswig-Holstein zuletzt oder in Nordrhein-Westfalen –, es gab die doch als schwach wahrgenommene Führung unter Klaus Ernst und Gesine Lötzsch, die sich ja vor einiger Zeit aus privaten Gründen zurückgezogen hat. Ist damit, was die Gründe für das miserable Erscheinungsbild angeht, sind damit schon die wesentlichen Gründe genannt?

    Holtmann: Es sind auf der einen Seite Personen, die in ihren Konflikten auch bestimmte Inhalte verkörpern, und es ist auf der anderen Seite auch eine Akzeptanzkrise zentraler politischer Lösungsangebote der Linkspartei. Und da kann man noch mal auf das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen verweisen, denn es waren, wenn man sich die Wählerwanderungen anschaut, ja nicht zuletzt auch die gewerkschaftlich gebundenen Arbeiter, die überdurchschnittlich häufig der Linkspartei den Rücken gekehrt haben.

    Und das zeigt, dass die Linkspartei unter anderem ihre zeitweilige Stärke dadurch gewonnen hat, nicht durch linkssozialistische Dogmatik, sondern durch eine ihr zugesprochene Lösungskompetenz in kritischen Feldern der Sozialpolitik. Und das war zeitweise vor allen Dingen Hartz IV und die Agenda 2010. Diese Lösungskompetenz wird aber inzwischen offensichtlich wieder stärker der SPD zugeschrieben. Also es sind nicht nur die Protestwähler, die dann jetzt zu den Piraten weitergewandert sind, sondern es sind auch ein Teil jener gewerkschaftlich orientierten Wähler, welche die Linke – vorschnell, wie sich zeigt – schon als Stammwähler für sich vereinnahmt hat.

    Barenberg: Herr Holtmann, zum Schluss: Sie haben davon gesprochen, dass Ihre Erwartung ist, dass die Strömungen sich eher noch weiter voneinander entfernen, dass also der Graben noch größer werden könnte. Ist aus Ihrer Sicht keine Konstellation heute, was die Wahl der neuen Doppelspitze anbetrifft, denkbar, der es gelingen könnte, diese Konflikte wieder zuzuschütten, zu befrieden?

    Holtmann: Also eine solche Integrationsperson, die ja auch entsprechend hätte aufgebaut werden müssen innerhalb der Partei, ist meines Erachtens nicht in Sicht, und schaut man sich den Leitantrag an und dann den alternativen Antrag, der von ostdeutschen Federn geführt ist, dann sieht man, dass nach wie vor die inhaltlichen Gegensätze auch weiter wirken werden. Beispielsweise die Formulierung im Leitantrag, die Wirtschaft an gesellschaftlichen Bedürfnissen durch eine demokratische Rahmenplanung auszurichten – das dürfte an den doch sehr pragmatisch orientierten Präferenzen eines großen Teils der ostdeutschen Partei doch vorbeigehen, also anders gesagt: Die Personalkonflikte haben nicht zuletzt auch inhaltliche Konfliktlinien, und dass die jemand glaubhaft überbrücken könnte, das sehe ich derzeit eigentlich nicht.

    Barenberg: Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann von der Uni Halle-Wittenberg. Danke Ihnen für das Gespräch heute Mittag!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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