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"Links, wo das Herz schlägt“"
Bekenntnisse eines Ex-Linken und Neu-Liberalen

Rainer Hank, Autor des Buches "Links, wo das Herz schlägt" und Chef des Wirtschaftsressorts der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", betrachtet sich selbst als Ex-Linken. Anders als viele Altersgenossen hat er seinen politischer Weg aber nicht zum Konservativen, sondern zum bekennenden Liberalen gemacht.

Von Winfried Dolderer | 01.06.2015
    Zu den Eigenheiten dieses Buches zählt, dass manche der Adressaten im Text genannt sind. Anna aus Stuttgart zum Beispiel, eine alte WG-Gefährtin des Verfassers, die dessen heutige Ansichten verabscheut. Ihr ist unbegreiflich, wie ein im Grunde so menschenfreundlicher Zeitgenosse einer Ideologie des Egoismus anhängen könne.
    "Da haben wir es!... Wer menschenfreundlich ist, der darf kein Liberaler sein. Es ist mir in all unseren vielen Gesprächen der vergangenen Jahre offenbar nicht gelungen, ihr gegenüber den menschenfreundlichen Kern des Liberalismus verständlich zu machen."
    Diesem Anliegen dient das jetzt vorliegende Buch. Es erklärt den Wandel des einst linken Theologiestudenten Rainer Hank zum Wirtschaftschef der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", der nach eigenem Bekunden heute viel radikaler liberal ist als er jemals links war. Es ist die Apologie einer nach Hanks Dafürhalten zu Unrecht verfemten Idee, des Liberalismus. Das Buch ist auch ein Plädoyer für die Re-Ideoligisierung der Politik, für mehr Mut zu starken Überzeugungen. Insofern ein Protest gegen den Geist der Merkel-Ära, dem starke Überzeugungen als unschicklich gelten.
    "Du musst doch, um selber zu wissen, wer du bist, auch wissen, von wem du dich absetzt, um klarer dein Profil zu definieren, und dann gerne in der Argumentation so lange dich anstrengen, bis du dich vom Gegenteil überzeugen lassen hast oder noch bessere Argumente (...) gesammelt hast. Eben dass Ideologie (...) als unanständig gilt, das regt mich auf."
    Warum hat in Deutschland der, so der Verfasser, "gemäßigt linke Mainstream" den Bankrott des real existierenden Sozialismus so unbeschadet überdauert? Warum hat es in Hanks Freundeskreis nicht viel mehr Konvertiten gegeben wie ihn selbst? Eine seiner Erklärungen führt weit zurück in die Vergangenheit, in die Epoche der Romantik. Hank zitiert Wilhelm Hauffs Erzählung "Das kalte Herz". Sie handelt von einem armen Schwarzwaldköhler, der einen Teufelspakt schließt: Er gibt sein lebendiges Herz her und lässt sich ein steinernes einpflanzen, dafür bekommt er Reichtum und Geld.
    Hank diagnostiziert in der deutschen Geistesgeschichte eine Tradition etablierter Bilder und Metaphern, die das Streben nach Geld in den Bereich anorganischer Kälte verweise. Herzenswärme und Kapitalismus schlössen einander aus.
    "Tatsächlich hat die Linke das romantische Erbe (...) Es ist genau diese Tradition, die stärker ist, auch stärker unbewusst wirksam als sagen wir Karl Marx (...) Dieser Strang, der ist sehr stark da, und dem werfe ich vor (...) dass er häufig die Konsequenzen nicht beachtet (...), dass er bei der unmittelbaren Sinnlichkeit bleibt, dies mit Gefühl anreichert und von daher immer auf der guten Seite ist."
    Welches empfindsame Herz würde sich nicht darüber empören, dass ein Ausbeiner im Schlachthof nur 4,50 Euro in der Stunde verdient? Hank hält dennoch den Mindestlohn für eine schlechte Idee. Denn er könne verhindern, dass mehr Menschen zusätzlich Arbeit finden. Das wäre dann die Konsequenz linker Solidarität. Dem Leitbild einer gerechten und fairen Gesellschaft, so lautet eine Kernthese des Buches, entspricht liberale Verstandespolitik eher als linke Herzenspolitik.
    Motor der Gerechtigkeit ist für Hank der Markt als ein Ort spontaner Arrangements zwischen freien Akteuren. Durch den Wettbewerb verhindere der Markt die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht. Er biete mit dem Preismechanismus das am wenigsten willkürliche Verfahren der Verteilung knapper Güter. Je freier also der Markt, umso gerechter die Ergebnisse.
    "Der Satz, der Markt werde es schon richten, ist so sehr zum Gespött geworden, dass man ihn nur verteidigen kann."
    Wer sonst solle es denn richten, fragt Hank. "Ich sehe eben, dass der Markt ein Entmachtungsverfahren ist durch den Wettbewerb, und dass das das bessere, gerechtere und effizientere Entmachtungsverfahren ist als das Entmachtungsverfahren, an das die Linken immer denken, nämlich staatliche Intervention."
    Liberale seien Machtskeptiker, ebenso allergisch gegen staatliche wie gegen unternehmerische Macht. Liberale seien für den Markt, aber keineswegs, wie ein verbreitetes Missverständnis behaupte, für die Wirtschaft. "Pro-market", nicht "pro-business", die Unterscheidung ist Hank wichtig. Ist sie doch einer der Gründe dafür, dass der leidenschaftliche Verfechter des Liberalismus mit der real existierenden FDP nicht viel anfangen kann.
    "Keine andere Partei hätte eigentlich die Möglichkeit, anschlussfähig an eine solche Ideengeschichte anzuknüpfen wie eine liberale Partei. Das ist das, was mich böse macht, dass das die FDP so wenig macht. (...) Die sind immer pro-business, und das hat auch dazu geführt (...) dass man denkt, liberal, das seien Subventionen für irgendwelche Hoteliers."
    Ist der menschenfreundliche Kern des Liberalismus dem Leser am Ende der Lektüre aufgegangen? Der Autor weicht den Aporien seines marktradikalen Denkens immerhin nicht aus. Etwa da, wo er es für moralisch fragwürdig erklärt, Billigklamotten aus Bangladesch zu boykottieren. Ein solcher Boykott brächte Frauen und Kinder, die die Textilien für Hungerlöhne fertigen, um ihren Erwerb.
    "Wer ein Verbot von Kinderarbeit für Bangladesch will, ist ein Jobkiller. Denn Kinderarbeit macht Länder reich. Man muss für Kinderarbeit sein, weil nur Kinderarbeit Kinderarbeit überflüssig macht."
    Für Hank ist das eine Erfahrungstatsache der Wirtschaftsgeschichte. Sie besagt freilich, dass immer erst eine Generation verschlissen werden muss, damit ein Land sich aus dem Elend herausarbeiten kann. Die Frage ist, was diesen Marktfatalismus vom marxistischen Fatalismus unterscheidet. Und ob ein Liberaler darüber glücklich sein kann. Glück ist allerdings wieder eine Kategorie des Herzens. Und wer dem Autor bescheinigte, ein Buch geschrieben zu haben, über das sich auch erbittert streiten lässt, hätte seine Intention wohl getroffen.
    Rainer Hank: "Links, wo das Herz schlägt. Inventur einer politischen Idee." Knaus Verlag, 256 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-8135-0656-3