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Literaturdebatte
Die Regeln und Zwänge von Schriftstellern

Im Literaturforum im Brecht Haus in Berlin diskutieren deutschsprachige Schriftsteller über die Rolle der Literatur für die Gestaltung unserer Gesellschaft. Wovon sollen Schriftsteller leben? Wird die Literatur nicht längst von der Logik des Marktes bestimmt? Eine Debatte über Kunst, Narzissmus und den neuen Realismus in der Literatur.

Von Cornelius Wüllenkemper | 21.05.2016
    Verlagsstand auf der Frankfurter Buchmesse
    Verlagsstand Frankfurter Buchmesse: Logik des Marktes? (dpa / picture alliance / Boris Roessler)
    "Mir scheint es doch immer äußerst bequem, das eigene Tun jemals außerhalb ökonomischer Spielregeln anzusiedeln. Verkauft oder, anderes Wort, möglicherweise gelesen, wird, was im Distinktionswettbewerb gewinnt."
    Mit dieser ernüchternden These eröffnete der Heidelberger Literaturkritiker Florian Kessler die Berliner Diskussion über die "Richtige Literatur im Falschen". Kessler, der dem literarischen Nachwuchs einst denkfaule Angepasstheit und ödes Erfolgsstreben vorwarf, ist heute selbst Lektor beim Münchner Hanser-Verlag. Jeder will eben Chef sein in dieser Superioritäts-Industrie des Literaturmarktes, so Kessler. Bleibt die Frage, ob Literatur überhaupt noch eine Daseinsberechtigung abseits des Markterfolges hat. Ohne Zweifel, betonte Kesslers Gegenrednerin, die Lyrikerin Ann Cotten:
    "Weil eben diese Dichotomie gepflegt wird. Einerseits die Arbeit aus Liebe, ist nichts wert, ist einfach läppisch. Und die Arbeit, die bezahlt wird, die ist richtige Arbeit, nur weil einer im Sakko am Schreibtisch sitzt und Scheiße schreibt. Das ist eine falsche Dichotomie!"
    Damit war ein Grundgedanke im Raum, der zwar nicht ganz aufging, aber gerade deshalb interessante Argumente hervorbrachte. Die kapitalistische Logik des Marktes lehnt man zwar ab, will aber zugleich von der Gesellschaft in seiner Existenz als Schriftsteller getragen werden. Das bedingungslose Grundeinkommen wurde bemüht, und sogar der "Bitterfelder Weg", die verordnete und subventionierte Kreativität im Namen der DDR-Staatsraison. Zeitgemäßer waren da die Ausführungen des Kultursoziologen Thomas Wagner, der erklärte:
    "Dass kapitalistische Profitinteressen im Zuge der Digitalisierung den Wunsch nach Demokratisierung und nach Beteiligung aufsaugen können und in Geschäftsmodelle transformieren können. Das Bedürfnis junger Leute, zu schreiben, ist da. Und ich kann ein niedrigschwelliges Angebot in der großen Welt des Internets bereitstellen und sauge diese Leute dann ein in Plattformen, auf denen sie ausgebeutet werden, ohne es zu merken."
    Internet als bloße Beschleunigungsmaschine
    Durch die zunehmende Zersplitterung der Öffentlichkeit in Subgruppen und -kanäle entpuppt sich das Internet als bloße Beschleunigungsmaschine. Oder, wie es der Berliner Autor Michael Wildenhain ausdrückte:
    "Es gibt eine unglaubliche Menge an Schriftstellern. Und es werden immer mehr. Das allgemeine Bildungsniveau steigt. Und vielleicht steigt auch der allgemeine Narzissmus, das kann auch sein. Und es gibt daneben auch eine gute Erfassung aller möglichen subkulturellen Stimmen. Die Folge davon ist, dass - wenn man mal von der durchaus üppigen Subventionskultur, die im deutschsprachigen Raum und vor allem in der Schweiz herrscht, absieht - dann sind die Einkommensmöglichkeiten für den einzelnen Schriftsteller deutlich geringer."
    Die überzeugendste Antwort auf die Frage nach der Rolle "richtiger Literatur" in der "falschen Gegenwart" lieferte der Dramaturg Bernd Stegemann mit seiner Vorstellung eines "neuen Realismus":
    "Realistische Darstellung einer Geschichte bedeutet, dass ich den Widerspruch in der Gesellschaft anders begreife, als es die herrschende Meinung gerne hätte. Dass ich die Kausalität in der Geschichte über einen anderen Punkt erzähle, als es dem Empörungspotenzial und dem Sentiment des weißen Mittelklasse Europäers gerade passt."
    Bei der Diskussion in Berlin kam leider kaum zur Sprache, dass das hauptberufliche Schriftstellertum noch immer ein Privileg ist und vielleicht auch bleiben sollte. Das Schreiben beginne mit der Idee von einer wünschenswerten Zukunft, und nicht beim Gedanken an das Geld, das man damit verdienen könne, betonte der Schriftsteller und Linksaktivist Erasmus Schöfer. An dieser altersweisen Erkenntnis dürften weder die Verkrustungen des etablierten Literaturbetriebs noch die zunehmende Fragmentierung der literarischen Öffentlichkeit etwas ändern.