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Lobbysafari durch das Regierungsviertel von Berlin

Rund um den Reichstag und die Ministerien in Berlin haben sich die Lobbyisten ihre Büros angemietet. Ein Rundgang durch Berlin zeigt, wie sie versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen.

Von Johannes Damian | 04.11.2012
    Der Asphalt riecht noch feucht vom Regen. Christoph H. steht am Spreeufer hinter dem Bahnhof Friedrichstraße in Berlin-Mitte. Hinter ihm ragt die Glaskuppel des Reichstags in den Himmel, Symbol für eine transparente Politik. Aber wer alles mitmischt in der Hauptstadtpolitik, das bleibt oft im Verborgenen, sagt der Politologe mit den kurz rasierten Haaren. Allein in Berlin, schätzt H., versuchen etwa 5.000 Lobbyisten, die Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ihr Arbeitsplatz ist das Regierungsviertel.

    "Weil die Lobbyisten sich in der Nähe der wichtigen Schaltzentralen der Macht sozusagen niederlassen. In der Nähe des Parlaments, das wir hier hinter uns sehen, beziehungsweise in der Nähe der Ministerien hier in Mitte. Es ist nämlich nach wie vor so, dass ein gutes persönliches Verhältnis, ein vertrauensvolles Verhältnis und persönliche Kontakte nach wie vor sehr wichtig sind für erfolgreiches Lobbying."

    Christoph H. arbeitet für Lobbycontrol, einen Verein, der den Einfluss von privaten Interessengruppen auf die Politik offen legen möchte. Er führt uns ein paar Schritte weiter vor ein Bürogebäude aus dunklem Backstein. Deutscher Brauer-Bund steht auf einem metallenen Schild. Jedes Jahr kürt der Verband einen "Botschafter des Bieres", erzählt H.. Meistens sind es Politiker. Als der Bierkonsum der Deutschen in den 1990er-Jahren zurückging, haben die Brauereien versucht, mit süßen Biermixgetränken neue Kunden zu gewinnen. In den Jahren darauf stiegen die Fälle von Alkoholvergiftungen unter Jugendlichen stark an. Die Bundesregierung reagierte und schränkte den Verkauf und die Werbung für alkoholische Getränke ein.

    "Von diesem Präventionsprogramm war der Brauerbund nicht wirklich begeistert und hat sich deswegen in einer Allianz mit anderen Interessenvertretungen daran gemacht, dieses Programm zu verhindern."

    Die Lobbygruppen warnten die Regierung vor steigenden Preisen. Das würde die Kriminalität in die Höhe treiben. Und die Werbeausfälle gefährdeten den Spitzensport und das Qualitätsfernsehen. Das Wirtschaftsministerium, in dem damals die heutige Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner tätig war, legte das Programm zum Schutz der Jugendlichen auf Eis, weiß Christoph H..

    "Und das Schöne ist, das hat sich dann auch für Frau Aigner persönlich rentiert: Sie ist nämlich 2009 neue Botschafterin des Bieres geworden und Nachfolgerin von Frank-Walther Steinmeier."

    Wir gehen die Friedrichstraße bis zum Boulevard Unter den Linden. Boutiquen und Cafés reihen sich hier an Museen und Bürogebäude. Touristengruppen und Anzugträger drängen sich an den Ampeln. An der gegenüberliegenden Ecke hinter einer großzügigen Fensterfront stellt der Volkswagenkonzern seine PS-starken Luxuskarossen zur Schau. VW ist einer der mächtigsten Lobbyisten, sagt Christoph H..

    "Weil die Autolobby sehr, sehr gut vernetzt ist politisch. Nur, um ein Beispiel zu nennen: Der oberste deutsche Autolobbyist ist Matthias Wissmann, das ist ein ehemaliger Bundesverkehrsminister."

    Diese Kontakte in die höchsten Ebenen der Politik hat die Autolobby bei der gesetzlichen Einführung von CO2-Zertifikaten für Neuwagen genutzt, erzählt H.. Mit dem neuen Effizienz-Siegel sollten Käufer eigentlich leichter erkennen können, wie umweltfreundlich ein Auto ist. Die deutschen Autobauer aber beeinflussten die Kriterien für das Label so, dass Kleinwagen mit wenig Benzinverbrauch oft schlechter bewertet werden als Limousinen und SUVs.

    "Je schwerer ein Auto ist, desto mehr CO2 darf es herausblasen und sich immer noch als besonders grün und effizient zertifizieren lassen."

    Dass Lobbyisten den Inhalt von Gesetzen direkt beeinflussen können, liegt auch daran, dass viele von ihnen ehemalige Politiker sind.

    "Diese Leute, zum Beispiel ehemalige Minister, sind hervorragend geeignet als Lobbyisten. Zum einen, weil sie ein prall gefülltes Adressbuch mitbringen – die kennen ja ihre Kollegen und Angestellten in der Regel noch. Und wenn mal Gesprächsbedarf herrscht, können die als Türöffner dienen und wichtige Kontakte vermitteln."

    Ein Paradebeispiel für diesen Drehtüreffekt zwischen Politik und Privatwirtschaft gibt Christoph H. schräg gegenüber vor dem Zollernhof. Das denkmalgeschützte Bürogebäude im neoklassizistischen Stil beherbergt die Berliner Dependance des Energiekonzerns E.on. Hier hat Gerald Hennenhöfer für die Atomlobby gearbeitet. Davor war Hennenhöfer Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Umweltministerium der Regierung Kohl. Nach der Abwahl Kohls wechselte Hennenhöfer nahtlos als Atomlobbyist zu E.on, aber nur vorübergehend.

    "Für ihn hat sich die Drehtür nämlich ein zweites Mal gedreht. Denn mit Antritt der schwarz-gelben Koalition unter Angela Merkel ist Herr Hennenhöfer wieder zurück ins Umweltministerium gewechselt und ist jetzt wieder Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit und damit der höchste Atomaufseher im Land."

    Durch diese fliegenden Wechsel können Politiker Gesetze im Sinne ihres zukünftigen Arbeitgebers gestalten, kritisiert H.. Um Gesetze frühzeitig beeinflussen zu können, treffen sich Lobbyisten regelmäßig mit Abgeordneten, Regierungsmitgliedern und Beamten. Ein besonders exklusiver Treffpunkt liegt schräg gegenüber am Pariser Platz.

    Wir durchqueren die Eingangshalle der Akademie der Künste. Der dunkle Steinboden hat eine leichte Steigung. Beton und Glas dominieren den Raum. Durch eine Glastür gelangen wir in den spärlich beleuchteten Vorraum des Nebeneingangs. An der Wand steht eine übermannshohe Skulptur. Sie zeigt den gefesselten Prometheus, der sich vor einem Geier wegduckt. Daneben zwei Aufzüge mit Kamera und Gegensprechanlage. Vor ihnen liegt ein abgetretener roter Teppich mit einem goldenen Emblem: China Club Berlin. Berlins exklusivster Privatclub. Aufnahmegebühr: 10.000 Euro. Hier treffen sich Lobbyisten mit Politikern zum Essen, wenn sie ungestört reden wollen, sagt Christoph H..

    "Bei 5.000 Lobbyisten muss man natürlich auch ein bisschen was Besonderes bieten können, wenn man mit den Leuten ins Gespräch kommen möchte. Und wenn ich sagen kann, wir können mal zusammen in den China Club gehen, sollen wir uns mal über das oder jenes unterhalten, dann ist das anscheinend für viele ein verlockendes Angebot."

    Damit verkörpert der China Club für Christoph H. zwei der Hauptprobleme des Lobbyismus. Wer viel Geld hat, kann einfacher die Politik beeinflussen. Und so lange Lobbyisten und Politiker ihre Absprachen beim Mittagessen unter vier Augen treffen, bleibt die transparente Politik, für die die gläserne Reichstagskuppel stehen soll, nur ein Wunschtraum.

    Literaturhinweis:
    Lobbycontrol, LobbyPlanet Berlin. Der Reiseführer durch den Lobbydschungel, Köln 2010.