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Lokaljournalismus unter falschem Namen

Mit einem neuen Geschäftsmodell will die Firma Journatic die Kosten für Regionalzeitungen senken und selbst hohe Gewinne einfahren: Sie heuert billige Journalisten auf den Philippinen an, die unter falschem Namen Lokalberichte aus Amerika schreiben.

Von Dieter Wulf | 09.02.2013
    "Alle Untersuchungen sagen, dass heute mehr Zeitungen gelesen werden und von breiteren Gesellschaftsschichten als je zuvor. Mehr Leute lesen heute unsere Inhalte als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Das Problem ist, dass wir keine Wege finden, damit Geld verdienen zu können","

    erklärt James Rand, der Herausgeber der News Times, einer kleinen Regionalzeitung an der amerikanischen Westküste in Oregon. Die Zeitung gibt es seit 130 Jahren. Dreimal die Woche werden knapp 9000 Exemplare gedruckt. Mit Zeitungen, betont er, konnte man in Amerika schon immer Geld verdienen.

    Das aber hat sich in den letzten Jahren dramatisch geändert. Viele der Regionalzeitungen sahen ihre Zukunft in immer intensiverer und ausführlicherer Lokalberichterstattung. Die aber ist arbeitsintensiv, braucht viele Reporter. Dafür aber gebe es einfach nicht mehr genügend Personal, meint Amy Mitchell die für das Pew Research Center in Washington die Situation im Journalismus beobachtet.

    ""Zeitungen, egal ob sie jetzt gedruckt oder digital erscheinen, haben massiv an Personal verloren. In den letzten Jahren sind viele der Stellen von Reportern, die rausgehen vor Ort, um diese Geschichten zu recherchieren, gestrichen worden. Die enge Verbindung und das Wissen darüber, was die Leute bewegt, ist dadurch verloren gegangen."

    Daraus entstand die Idee für die Firma Journatic, erklärt Hazel Sheffield von der renommierten Columbia Journalism Revue:

    "Der Gründer von Journatic Brian Timpone hatte 2006 die Idee, Lokalberichterstattung an Orte auszulagern, wo man billiger produzieren kann. Also die Philippinen, und ich glaube, sie hatten auch Büros in Osteuropa. Sie besorgten sich Unterlagen von Gemeinderatssitzungen, lokalen Regierungsstellen, Schulberichte, Fußballergebnisse. All diese Daten gingen dann an Reporter auf den Philippinen, wo aus diesen Daten Zeitungsartikel gebastelt wurden, die man dann zurück in die USA schickte."

    Für die Leser aber war das nicht erkennbar, denn ganz bewusst wurden die Namen der hier schreibenden Journalisten gefälscht. Erst als der amerikanische Journalist Brian Smith, der für Journatic gearbeitet hatte, darauf aufmerksam machte, wurde klar, welchen Umfang das Outsourcing journalistischer Tätigkeit schon angenommen hatte, erklärt Hazel Sheffield.

    "Als die Geschichte publik wurde, gab es etliche Regionalzeitungen, die den Service von Journatic nutzten. Der Houston Chronicle, die Chicago Tribune war eine der großen, die auch in Journatic Geld investiert hatten, der San Francisco Chronicle, die Chicago Sun Times. Regionalzeitungen, denen die Leute vertrauen, druckten diese Geschichten von Journatic mit falschen Reporternamen."

    "Beim Höhepunkt gab es ungefähr 300 Mitarbeiter in den USA und dann noch mal etwa 150 auf den Philippinen."

    So Mike Fourcher, der wenige Wochen, bevor der Skandal in den USA publik wurde, Chefredakteur von Journatic geworden war. Kurz danach trat er zurück.

    "Die Firma hatte etliche Probleme mit Plagiatsfällen und schlechter Berichterstattung. Der Grund war einfach, dass sie nicht bereit waren, genug Geld zu bezahlen, um für gute Journalisten attraktiv zu sein."

    Durch die Berichterstattung wurden diese Praktiken erstmals öffentlich. Zeitungen, die eigene Journalisten gefeuert und dafür Journatic abonniert hatten, mussten zurückrudern. Die Firma ist immer noch am Markt, momentan aber auf sehr viel niedrigerem Niveau. Das Modell, Journalisten in Billiglohnländer anzuheuern, sei dadurch aber noch längst nicht vom Tisch, meint Hazel Sheffield. Längst gebe es weitere Firmen, die Ähnliches anbieten.