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Lügen und Wahrheiten im Krieg

Der letzte Irakkrieg warf mit seinen "eingebetteten Journalisten" die Frage auf, wie unabhängig eine Berichterstattung sein kann, die auf das Wohlwollen der Militärs angewiesen ist. Eine neue Frage, aber ein altes Problem, wie der Sammelband "Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert" beweist. In neun Fallstudien zeichnen Historiker und Medienwissenschaftler verblüffende Kontinuitäten in der Medienrealität der letzten 250 Jahre nach.

Von Brigitte Baetz | 29.05.2006
    Zu den Mythen des modernen Journalismus, die auch noch in den Zeiten des Fernsehens gerne gepflegt werden, gehört der Typus des unerschrockenen Reporters, des unbestechlichen Wahrheitssuchers vom Schlage eines Egon Erwin Kisch. Doch Kisch, das wissen wir heute, beschrieb nicht nur das, was er sah, sondern durchaus das, was er sehen wollte. Und er bastelte sich aus seinen Artikeln seine eigene Legende, die nicht in allem identisch war mit dem, was man Wahrheit nennt. Auch der vorliegende Sammelband entzaubert den Berufsstand der Journalisten, insbesondere den der Kriegsberichterstatter. "Augenzeugen", so der Titel, das waren und sind sie alle, darunter so bekannte Namen wie Theodor Fontane, Winston Churchill, Edgar Wallace, Gerta Taro oder Robert Capa, David Halberstam und Peter Arnett. Und doch war und ist ihre Augenzeugenschaft selten unabhängig, waren und sind ihre Berichte, Fotos und Reportagen immer eingebettet in das, was die öffentliche Meinung, die sie bedienen, hören, lesen, sehen will. Im Gegensatz dazu stilisierten sich die Medien von Anfang an zu einer unabhängigen Instanz. Der Krimkrieg, gleichzeitig der erste moderne Stellungskrieg, gilt bis heute als Beweis dafür, dass Kritik der Medien etwas bewirken kann. Und wirklich halfen die Berichte von den Zuständen an der Front und die nachfolgende öffentliche Empörung, dass das Lazarettsystem modernisiert wurde, wofür beispielhaft der Name Florence Nightingale steht. Was dabei übersehen wird, so die Historikerin Ute Daniel: Die britische Armee wäre gar nicht so katastrophal unvorbereitet in diesen Krieg gezogen, wäre die Kriegsbegeisterung der Presse nicht gewesen.

    Ganz im Gegenteil liefern die Jahre von 1853 - 1856 das denkwürdige Beispiel einer Presselandschaft, die sich, gänzlich unbelästigt von Zensur und Propagandamaßnahmen, selbsttätig zu einem nahezu uniformen, kriegsbefürwortenden und Verschwörungstheorien präsentierenden Meinungsbild formierte. Wäre es nach ihr und Premierminister Palmerston gegangen, hätte der Krieg nach dem Fall Sewastopols noch lange nicht aufgehört.

    Damals wie in späteren Jahren verstand sich die Presse als Sprachrohr der vorherrschenden Meinung, die im Regelfall die der herrschenden Stände war. Die Kriegsberichterstatter verkehrten mit den Offizieren auf Augenhöhe, erhielten nach dem Krieg, wie z.B. dem südafrikanischen Krieg der Engländer gegen die Buren, militärische Auszeichnungen. Der Konflikt in exotischer Umgebung gab das Hintergrundbild ab für den Journalisten in der Rolle des männlichen Helden, ähnlich wie die Offiziere hoch zu Ross. Eine Zensur fand zwar statt, wäre aber im Allgemeinen gar nicht nötig gewesen. Im Gegenteil: Einige Berichterstatter gaben selber Tipps, wie die Zensur zu verbessern sei, so Andreas Steinsieck:

    Der angebliche Antagonismus zwischen Berichterstattern und Militärs erscheint so als eine nachträgliche Legendenbildung, an der sich sowohl die Berichterstatter selbst als auch die Schreiber der Geschichte der Kriegsberichterstattung beteiligt haben, welche selbst häufig aus der Medienbranche kamen und kommen. Ein geradezu symptomatisches Beispiel liefert die neue Übersetzung der Autobiographie von Edgar Wallace, welche folgende Widmung enthält: "Dieses Buch sei allen Journalisten gewidmet, die auf der Suche nach einer Wahrheit ihr Leben im Krieg ließen." Dabei wird die Leserschaft nicht aufgeklärt, ob die Widmung vom Übersetzer oder vom Autor stammt. Schaut man im englischen Original von 1926 nach, so findet sich dort tatsächlich eine ganz andere Widmung, die in der deutschen Ausgabe fehlt: "To a friend of the people. The Right Hon. the Earl of Derby, K.G.” Der Earl of Derby hieß zur Zeit des Südafrikanischen Krieges noch Lord Stanley und war der oberste Zensor.

    Wie sehr die Reflexion des Krieges von seinem Anlass und seiner ideologischen Verbrämung bestimmt wurde, zeigt auch die Geschichte des Deutsch-französischen Krieges. Die Soldaten im Feld wurden dargestellt als Familienväter, die sich am Rand der Gefechte am liebsten dem Studium und dem Schreiben von Briefen widmeten. Frank Becker schreibt:

    Indem die Kriegsberichterstatter diese Szenen eines braven und anständigen Feldzugslebens schilderten und die Specialartisten sie zeichneten, vermittelten sie dem Publikum in Deutschland den Eindruck, dass die Soldaten sich im Krieg gar nicht veränderten, dass sie dieselben Männer blieben, die sie immer gewesen waren - nur die Aufgabe, die sie für die Nation erfüllten, war eine andere geworden. Es war nicht mehr die Arbeit für Land und Familie zu Hause, sondern Kriegs-Arbeit, die geleistet werden musste, um den nationalen Staat endlich zu schaffen.

    Auch im Ersten Weltkrieg, der noch zu Anfang voller nationaler Begeisterung geführt wurde, blieben die Journalisten ihrem selbstgestellten Auftrag treu. Und wenn es im handlungsarmen, technisierten Massenkrieg mit seinen Schützengräben kaum Heldentaten von der Front zu vermelden gab, dann bemühten die schon damals in Pools zusammengefassten Berichterstatter ihre eigene Phantasie. Oft genug vergaßen sie dabei, dass sie auch an der Front gelesen wurden. Die deutsche Oberste Heeresleitung erließ gar im April 1917 eine Verfügung, die die Journalisten zu größerer Ausgewogenheit und Wahrheitstreue aufforderte.

    Der technische Fortschritt, u. a. die Entwicklung der Leica-Kleinbildkamera, führte im spanischen Bürgerkrieg zum Durchbruch des professionellen Bildjournalismus. Und die Pressefotografen wie auch die Autoren dokumentierten nicht nur, sie nahmen teil als Soldaten und Propagandisten - nicht mehr von Staaten, sondern von Ideologien.

    Eine gigantische Propagandaschlacht überlagerte einen Großteil der Berichterstattung. Die Realität des Krieges wurde teilweise neu konstruiert, Aufnahmen für die boomende Illustriertenindustrie gestellt. In den meisten Bildern ist der Krieg ästhetisiert, meist werden nur einzelne Opfer gezeigt, die Wunden sind kaum zu sehen. Und bis heute prägen diese Fotographien, viele davon Klassiker des modernen Fotojournalismus, unsere Vorstellung vom Spanischen Bürgerkrieg. Auch das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg überdauern in den Köpfen der nachgeborenen Fernsehzuschauer mit den Propagandaaufnahmen, wie sie in der Deutschen Wochenschau gezeigt wurden.

    Die Nazipropagandisten, allen voran Joseph Goebbels und Hitler selbst, der teilweise die Wochenschauen höchstpersönlich abnahm, hatten einen hohen Anspruch an der Gestaltung der Wochenschau. Sie sollte ein emotionales Gesamtkunstwerk bilden in der Tradition des Dokumentarfilmes. Dies gelang zwar nicht immer, der Mythos von der perfekten Propaganda allerdings blieb - und die Verbindung von Bild und Musik setzte Maßstäbe. Die Wochenschau von der Landung der deutschen Truppen auf Kreta wurde z.B. mit dem Walkürenritt Richard Wagners unterlegt. Ein Motiv, das Francis Ford Coppola in seinem Vietnamfilm "Apocalypse Now" wieder verwenden sollte.

    Vietnam, der Krieg, in dem die Selbststilisierung der Journalisten ihren Höhepunkt erreichen sollte - mit zwiespältigem Erfolg, denn sie führte dazu, dass die US-Armee die Journalisten in der Folgezeit stärker kontrollierte. Doch wie Lars Klein beschreibt, haben Medien, entgegen ihrer eigenen Legende, kaum dazu beigetragen, dass sich die Amerikaner letztlich aus Vietnam zurückzogen. Sie gaben, wie in anderen Kriegen zuvor, in den meisten Fällen das wider, was innerhalb der Eliten gedacht wurde. Journalisten gefielen sich in der Rolle von Helden, die auch Schusswunden und sogar den Tod für eine gute Story in Kauf nahmen. Der Krieg selbst wurde kaum in Frage gestellt. Und wenn in Korrespondentenberichten Kritik geäußert wurde, wurde diese von ihren Kollegen in den Heimatredaktionen abgemildert. Im Grunde, so müsste die Bilanz des vorliegenden Sammelbandes lauten, ist die Kriegsberichterstattung also genau so dem Mainstream verhaftet, wie man es auch aus anderen Spielarten des Journalismus kennt. Das ist ernüchternd, doch gleichzeitig auch wenig überraschend. Schließlich wurde jüngst im Irakkrieg deutlich, wie die deutsche Berichterstattung sich nahtlos einpasste in die allgemeine Ablehnung dieses Konfliktes, die schon die Bundesregierung formuliert hatte. Trotzdem hätte man sich als Leser gefreut, auch dezidiert positive Beispiele für einen unabhängigen Journalismus in den einzelnen Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes zu finden. Aber dazu müsste sich vermutlich erst ein Autor finden, der sich einen Gesamtüberblick verschafft. Zu einer "ersten fundierten Geschichte der internationalen Kriegsberichterstattung", wie der Verlag schreibt, runden sich die vorliegenden Fallstudien deshalb nicht. Aber sie bilden ein gutes Fundament, auf das Wissenschaftler und Autoren aufbauen können.

    Ute Daniel (Hrsg): Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert.
    Vandenhoeck und Ruprecht Göttingen 2006. 263 Seiten, € 24,90