Dienstag, 19. März 2024

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Luthers Verbannung 1521
"Es ging um den Kern des christlichen Glaubens"

Mit seinem Buch "Evangelio" wolle er den Kern des Konflikts "um die bessere Christenheit" verdeutlichen, sagte der Schriftsteller Feridun Zaimoglu im DLF. Der spielt zur Zeit von Luthers Verbannung auf die Wartburg 1521 und nimmt die Perspektive eines katholischen Leibwächters ein. Das Jahr 1521 sei für Luther sehr prägend gewesen - er habe sich von Satan angefochten gefühlt.

Feridun Zaimoglu im Gespräch mit Angela Gutzeit | 24.05.2017
    Feridun Zaimoglu , aufgenommen im Oktober 2015, auf der 67. Frankfurter Buchmesse, in Frankfurt/Main (Hessen).
    "Dieses Deutsch unserer Zeit wollte ich nicht benutzen", sagte der Schriftsteller Feridun Zaimoglu im DLF. Stattdessen erfand er für den vorliegenden Roman eine Kunstsprache. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Angela Gutzeit: Feridun Zaimoglu, 1964 im anatolischen Bolu geboren, lebt von seinem sechsten Lebensjahr an in Deutschland. Er hat viel beachtete Romane geschrieben wie "Leyla", "Isabel" oder "Siebentürmeviertel" und – ungewöhnlich genug – verehrt seit seiner Kindheit Luther - genauer gesagt seine Sprachkraft. Bis heute ist Zaimoglu fasziniert von Luthers Bibelübersetzung. Seine muslimische Herkunft war offensichtlich kein Hindernis für ihn, sich mit Christentum und Bibel zu beschäftigen. Und so ist sein neuer Roman "Evangelio" als Frucht einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit dem Reformator zu werten.
    Die Handlung in "Evangelio" beschränkt sich auf die Zeit von Luthers Verbannung auf die Wartburg 1521. Dort entstand auch Luthers Bibelübersetzung.
    Ich habe mit Feridun Zaimoglu gesprochen und zunächst angemerkt, dass es ihm offensichtlich gar nicht so sehr um diesen tief greifenden religionsgeschichtlichen Einschnitt geht, sondern – wie eben schon erwähnt – um die Sprache Luthers.
    "Dieses Deutsch unserer Zeit wollte ich nicht benutzen"
    Feridun Zaimoglu: Die Sprache, ja. Ich musste gar nicht so lange überlegen, aber das heutige Deutsch, das eher deskriptiv ist, das durchsetzt ist von Fremdwörtern, das heutige Deutsch, das auch zum Teil das Schlaumeiertum zulässt, dieses Deutsch unserer Zeit, meiner Zeit, wollte ich nicht benutzen. Ich holte also diese Zeit nicht, also die versunkene Welt, nicht hierher, nicht in unsere Zeit, ich versetzte sie nicht in die heutige Welt, sondern ich reiste in die Zeit damals, aus zwei Gründen:
    Einmal, ich wollte es mir nicht leicht machen, und ich wollte nicht beschreiben, sondern ich wollte aus dem Glutkern des Glaubens, seines Glaubens heraus – die inneren Kämpfe von Meister Martinus darstellen, zeichnen, als Romanschriftsteller und ich habe mir ein Bild von ihm gemacht. Zum Zweiten: Die Bibel in der Luther-Fassung als literarische Übersetzung in – es ist im Grunde genommen ein Gesang von der großen Gottesanrufung. Und dies wollte ich in den Bildern und in den Worten von damals darstellen. Das innere Ringen, das ihn dazu führt, als einen Akt der Erlösung hat man das anzusehen, auf der Wartburg eben das Neue Testament erst mal in die Biblia Teutsch zu verdolmetschen.
    "Je mehr ich mich hineinbegebe in eine Zeit, desto mehr schmilzt der Abstand"
    Gutzeit: Nun kennen wir ja nicht mehr unbedingt die Sprache, das Deutsch des 16. Jahrhunderts. Sie haben im Grunde genommen eine Kunstsprache, eine altertümliche Kunstsprache erfunden und praktizieren so eine Einfühlung in diese Zeit, und das machen Sie eigentlich durch Ihren Ich-Erzähler, den Landsknecht Burghardt, aber auch Luther lassen Sie natürlich zu Wort kommen in Briefen. Was ist das für eine Kunstsprache? Wie haben Sie sich die angeeignet?
    Zaimoglu: Im Anfang steht für mich natürlich immer die harte Recherche. Das gilt für jedes Buch, und ich darf vielleicht auf zwei Bücher verweisen oder auf einige Bücher, um zu sehen, was ich mit Selbstzerstörung oder Anverwandlung meine. In einem Buch bin ich ein Mädchen, kleines Mädchen, das zu einer jungen Frau heranreift. In einem anderen Buch bin ich eine herbe Berlinerin, Dreißigerin, die mit den Männern aufräumt. In dem Buch vor "Evangelio", in dem Roman bin ich ein deutscher Bub, der im Istanbul der Enddreißiger aufwächst. Und hier bin ich der katholische Landsknecht, eine fiktive Figur, ja, aber sehr nahe gezeichnet an den Verhältnissen damals auf der Burg. Ich habe natürlich mich eingelesen, nicht nur die Biblia Teutsch, nicht nur viele Originalbücher von Luther, Sendbriefe, auch Briefe, die er von der Wartburg an Freunde und Kämpfer geschickt hat, sondern auch, um logische Fehler zu vermeiden. Wie sah das Wittenberg damals aus, wie sah das Eisenach, das Stadtbild damals aus? Was aßen die Menschen? Wie sah der Alltag aus – Drei-Stände-Gesellschaft –, und so weiter. Aber was die Sprache anbetrifft, kann ich nur sagen, im Grunde genommen steht es am Ende einer Gärung unter einer Erhitzung. Je mehr ich mich hineinbegebe in eine Zeit oder in die Figur, desto mehr schmilzt der Abstand, und ich finde dann die richtigen Worte. Und das ist natürlich nicht nur mit Studien der Schriften und nicht nur mit Ortsbegehungen der Originalschauplätze getan. Harte Recherche, hartes Ringen, und ich verweise immer wieder darauf, dass es mir in dieser Zeit nicht besonders gut geht, ich nehme ab, ich träume schlecht, ich schlafe schlecht. Das ist aber sehr gut für das Buch, für den Roman.
    "Es ist ein Konflikt um die bessere Christlichkeit"
    Gutzeit: Luther selbst kommt ja in Ihrem Roman eigentlich nur in Briefen vor, also wo er sozusagen selbst wirklich spricht, die er an Philipp Melanchthon und Georg Spalatin, das sind auch zwei Reformer, schreibt. Hauptsächlich wird er durch die Sicht eines Katholiken gespiegelt, der ihn auf der Wartburg beschützen soll, nämlich durch diesen Landsknecht Burghardt. Ich finde, das ist ein ganz interessanter Kniff, weil eigentlich dadurch deutlich gemacht wird, in welchem Loyalitätskonflikt dieser Burghardt sich befindet, nämlich zwischen Papsttum und dem Glaubenserneuerer. Da fühlt er sich ja irgendwie eingeklemmt. Aber gleichzeitig wird für uns Leser auch erahnbar, was für eine Wirkung Luther hatte auf das Volk sozusagen, also was so sein Faszinosum ausmachte. Was haben Sie sich eigentlich bei dieser Rollenzuweisung gedacht, diesen Landsknecht Burghardt so in den Mittelpunkt zu stellen, durch ihn sozusagen auf Luther zu schauen.
    Zaimoglu: In der Wirklichkeit sah es so aus, dass der – und das ist alles historisch überliefert –, dass der Hauptmann von Berlepsch, der Burgherr der Wartburg, katholisch war, altgläubig. Um mit den alten Worten zu sprechen, von altem Brauch und Gebrauch. Auch die Türmler und die Wächter, alle blieben bei der alten Kirche, bei der Kirche des allein seligmachenden Glaubens. Das war für mich dann klar: Es ist ja ein Konflikt um die bessere Christlichkeit. Dann werde ich also mich im Anfang des Buches habe ich mir das gedacht, für einen Katholiken als Leibwacht sozusagen entscheiden. Und es ging um den Kern des christlichen Glaubens, und das wollte ich darstellen. Aber der Ich-Erzähler, also die fiktive Figur, der katholische Landsknecht, hat es nicht so mit dem Glauben. Er ist also, wie er selbst sagt, wider die Pfaffen, und er ist davon überzeugt, dass die Frömmler es mit dem Frommsein übertreiben und das Leben oder die Welt dem Menschen zur Hölle machen. All das wollte ich abbilden, all das wollte ich zeichnen. Deshalb habe ich mich für den katholischen Landsknecht Burghardt entschieden.
    "Es geht um dieses eine Jahr"
    Gutzeit: Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff schrieb einmal in einem schönen Text, den sie über Luther als Bibelübersetzer verfasste, er sei ein sprachliches Urviech, das den zarteren Tönen keineswegs abhold gewesen sei. Aber als ich Ihren Roman gelesen habe, habe ich gedacht, die zarteren Töne, die sparen Sie eher aus. Luther wütet bei Ihnen, da ist eher das Urviech, das sich noch dazu eben in diesen dunklen Visionen von Teufelsbrut und Weltende ergeht. Meine Frage, ist das dunkel Dräuende für Sie das Dominante an Luther?
    Zaimoglu: Nein. Aber nicht umsonst hat Luther von sich als dem "säuischen sächsischen Bauern" gesprochen, Zitat Ende. Aber es geht um dieses eine Jahr, und er fühlte sich angefochten vom Satan, und er war vogelfrei, das bedeutet, jeder, der ihn tötet, bekommt seinen Lohn im Diesseits und Jenseits. Und überall Katholiken. Da können Sie sich vorstellen, wie es einem Menschen dann und wie es in diesem Falle Martin Luther gegangen ist. Also deswegen ist es düster, und ich habe auch aufmerksam seine Selbstauskünfte, also die verschriftlichten Tischgespräche durchgelesen. Immer wieder verweist er auf dieses eine Jahr, in dem tatsächlich er durch viele Schrecknisse und Finsternisse gegangen sei.
    Gutzeit: Feridun Zaimoglu, meine letzte Frage: In einem Gespräch sagten Sie einmal, als Sie in die von Ihnen fantasierte Welt – das ist jetzt ein Zitat –, in Luthers Welt eintraten, da wäre die heutige Welt für Sie erstorben gewesen. Das macht ja deutlich, das haben Sie ja am Anfang auch schön beschrieben, wie sehr Sie sich in Ihre jeweilige Figurenwelt, und dann in diese Figurenwelt hineinbegeben haben und auch überhaupt hineinbegeben. Aber einen Grund muss es ja auch in der Gegenwart geben, wenn man auf Historisches zurückgreift.
    "Im Roman von der erlöschenden zur erlösenden Welt zu gelangen"
    Zaimoglu: Die Sprache, das Wort, das Deutsch, dieses großartige Deutsch, dieses irre, glimmende, glühende Deutsch – ich liebe dieses Deutsch der Bilder und der Gleichnisse, und ich liebe es, im Roman von der erlöschenden zur erlösenden Welt zu gelangen. Das ist ein auch heutiger Anspruch, denn da war Martin Luther auch sehr modern, und in diesem Buch habe ich das versucht, nicht sich als eine Einheit zu verstehen, sich nicht als eine Seele zu verstehen, sondern sich als einen vielstimmigen Körper, Leib zu verstehen. Das kennen wir auch heute. Ich hoffe sehr, das ist mir noch nicht gelungen – ich lebe sehr gern heute und bin froh, dass ich nicht in der damaligen Zeit gelebt habe. Ich hoffe aber sehr, dass ich – das gelingt mir bei diesem Buch nicht so einfach, wie bei den anderen Büchern –, dass ich in einigen Monaten dann doch wieder aus dieser Zeit und aus der Geschichte fortgeweht werde. Noch bin ich drin, und noch lese ich oder bewege ich mich halb im Heute, in der heutigen Zeit, halb in der Fantasiewelt meines Romans.
    Feridun Zaimoglu und sein Roman "Evangelio", erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, 348 Seiten, 22,- Euro.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.