Ute Wegmann: Sachbücher stehen heute im Mittelpunkt unseres Büchermarkts mit Büchern für junge Leser. Es sind Sachbücher, nicht sehr textlastig, die sich visuell über Grafik und Fotografie den unterschiedlichsten Themen nähern: Zum Beispiel dem Thema "Stadt" und was man in einer Stadt findet. Oder Phänomenen, die es in der Welt gibt, wie ein Regenbogen. Oder Problemen, die Kinder und Jugendliche mit Eltern, Lehrern oder auch Freunden haben können. Lebensmittel, Kochrezepte und alles, was essen und schmecken ausmacht, sind Buchthema. Oder Naturerlebnisse und Gartenideen zu allen Jahreszeiten. Ein Kessel Buntes denken Sie vielleicht, aber alles kommt aus einer Hand. Zum Gespräch begrüße ich heute im Studio zwei der kreativen Köpfe, die bei diesen thematisch scheinbar unterschiedlichen Bücher zusammengearbeitet haben. Anke Leitzgen, Konzeptionistin, Ideenfinderin, Texterin, und die Fotografin Thekla Ehling. Wo haben Sie sich kennengelernt?
Anke Leitzgen: Thekla wurde mir vorgestellt, vielmehr empfohlen von einem Freund, der sagte: Ich war gerade auf einer Ausstellung von Thekla Ehling, und du musst die unbedingt kennenlernen, das wird dir gefallen. Und dann habe ich sie gegoogelt, mir die Homepage angeschaut und sie angerufen.
Wegmann: Thekla Ehling, haben Sie vorher schon mal mit jemandem im Kinder- und Jugendbuchbereich zusammengearbeitet?
Thekla Ehling: Nein, auf solche Art und Weise gar nicht. Das war ja auch eine längere Entstehungsgeschichte. Anke kam in die Ausstellung, wir haben uns kennengelernt, uns langsam angenähert und wir sind langsam zusammengewachsen und ich denke, wir wachsen immer weiter.
Wegmann: Anke Leitzgen, Sie sind Journalistin und Autorin. Sie waren Chefredakteurin bei der Zeitschrift Miss Vogue, schreiben für das Magazin "Eltern Family" und betreiben mit drei Frauen eine internationale Firma: The Coaches Company. Wen und was coachen Sie?
Leitzgen: Das Coachen hat nur ganz entfernt was mit Schreiben zu tun. Ich coache vor allem Teams, sehr viel in Schulen, wo das Teamworken noch schwer fällt. Und vor allem Frauen, die an Entscheidungspunkten stehen, die wissen wollen, wie sie weitermachen sollen, die einen Schritt weitergehen wollen.
Wegmann: Wenn Sie nun Schulen sagen, meinen Sie dann die Lehrer?
Leitzgen: Ja, nicht die Schüler.
Wegmann: Gibt es bei all Ihren Aktivitäten einen Schwerpunkt?
Leitzgen: Das Schreiben ist das, was ich am meisten machen, aber am liebsten denke ich mir Neues aus, entwickel Ideen, mache Konzepte und das Coachen nimmt immer mehr Platz ein, was ich auch weiter ausbauen möchte.
Wegmann: Thekla Ehling hat Fotografie an der Fachhochschule Dortmund und am College of Fine Arts in Limerick studiert. Ihre Fotobücher heißen "Sommerherz" und "Vergiszmeinnicht", das Buch erschien letztes Jahr mit Texten von David Almond. Sie hatte Ausstellungen in Hamburg, Berlin, New York, Sydney und Melbourne.
Thekla Ehling, betrachtet man Ihre Bilder, die ein breites inhaltliches Spektrum aufweisen – von Landschaften über Alltagsgegenstände in besonderen Kontexten, oder Menschen allen Alters, so fällt dennoch eine Konzentration auf Kinder und junge Menschen auf und ebenfalls auf Pflanzen, Blüten, Natur im Allgemeinen. Das hat einen Hintergrund.
Ehling: Bei mir war die Sehnsucht nach dem Ländlichen, wo ich aufgewachsen bin, sehr sehr groß. Es hat einen großen Teil meiner Fantasiewelt ausgemacht, etwas, wohin ich immer wieder zurückgehe. Als meine beiden Kinder geboren wurden, habe ich diese ganze Zeit noch mal ganz bewusst und intensiv miterlebt und hatte zahlreiche Deja-vus. Und das habe ich versucht, festzuhalten. So kam es zu den Themen.
Wegmann: Sie hatten aber auch einen besonderen Lehrer, dem sie das Buch gewidmet haben!
Leitzgen: Ich hatte einen sehr besonderen Lehrer: Arno Fischer, den ich an der FH Dortmund kennengelernt habe und der auf eine unfassbar ruhige und angenehme Art und Weise seine Lehre vertreten hat. Und der uns immer sehr viel Freiraum gelassen und man hat gar nicht gemerkt, in was für tolle Richtungen er einen gelenkt hat und wie er uns unterstützt hat. Er hat sich selber immer sehr zurückgenommen.
Wegmann: Sie sind nicht nur Künstlerin, sondern machen auch Auftragsarbeiten. Porträtfotografie und Standbilder an Filmsets. Worin besteht der Reiz an einem Filmset zu arbeiten, im Gegensatz zur freien künstlerischen Fotografie?
Ehling: Das Filmset war für mich ein großer Spielplatz, wo man viele verschiedene Menschen kennenlernen konnte und wo sich viele verschiedene Berufe ergänzen mussten. Es hat mir Spaß gemacht, Leute dabei zu beoachten, wie sie spielen, wie sie Regie führen, wie sie Kostüme machen oder Haare und Make-up, das war ein großer Schatz, das kennenzulernen. Ich spreche in der Vergangenheit, weil ich das mit der Standfotografie langsam habe auslaufen lassen. Es war aber spannend zu sehen, wie sich verschiedene Berufsgruppen zusammenfügen und ein Produkt herstellen. Vor allem aber habe ich durch die Standfotografie eine sehr hohe Schnelligkeit erworben, weil meistens die Zeit sehr knapp ist und man sehr präzise arbeiten muss.
Wegmann: Anke Leitzgen, der Ratgeber "Freunde, Eltern, Lehrer und andere Probleme" ist ein Ratgeber für Kinder. Ihr erstes Sachbuch. Im Jahr 2009 auf den Besten 7, der Bestenliste des Deutschlandfunk. Hier geht es um Alltagsprobleme der 7- 12-Jährigen. Warum hab ich keinen Freund? Wieso sind Lehrer ungerecht? Es geht um nervende Geschwister. Eifersucht auf einen Dritten. Jeweils ein Problem wird in einem vierseitigen Comic-Strip dargestellt. Sehr kurz. Sehr allgemein gehalten. Sehr klar. Zwei jugendliche Experten erörtern dann die Hintergründe, es gibt Tipps und ein Resümee. Die Ansprache richtet sich direkt an die Kinder. Sie lesen aus diesem Buch an Schulen. Was fasziniert die Kinder an dem Sachbuch?
Leitzgen: Alles. Die fühlen sich völlig abgeholt. Ich benenne zuerst diese acht Themen, die wir haben. Das sind Themen, die sie kennen, aus dem eigenen Erleben oder weil sie es Schulkameraden erlebt haben. Da können sie sofort anknüpfen. Dann lass ich die Gruppe wählen, welches Kapitel wir denn lesen wollen. Und das ist immer wieder spannend und beginnt schon beim Drübernachdenken: Was interessiert mich am meisten' Es kristallisiert sich schnell heraus, dass in der Klasse ein Thema vorherrscht. Und dann darüber zu sprechen und zu sehen: Ich bin ja gar nicht alleine damit, das ist so entlastend. Und das war der Grund, warum Angela Schuh, die die Expertin als Kinder- und Jugendtherapeutin ist und mit der ich das Buch zusammengeschrieben habe, gesagt hat: Wir brauchen so ein Buch. Weil Kinder immer denken, sie seien alleine mit ihren Problemen und darüber reden ist schambesetzt und peinlich. Deshalb müssen wir mal aufklären und sagen: Was Du da hast, das kennt eigentlich jeder.
Wegmann: Sie haben das Buch zu dritt gemacht: Judith Drews hat hier die Comics gezeichnet und die Gestaltung gemacht. Kommen wir zu Ihren gemeinsamen Projekten. Was alle drei Bücher verbindet, ist die auffällig schöne Gestaltung. Die Bücher überzeugen durch Klarheit und Informationsreichtum. Phantasievoll und farbenfroh ist das alles von der Grafikerin Lisa Rienermann ins Bild gesetzt. Darüber hinaus gefällt mir die Aufforderung, und das weniger im pädagogischen als im lustvollen Sinne, Experimente nachzumachen, Rezepte nachzukochen, etwas Auszuprobieren und Ihnen zu folgen, wie Sie die Welt sehen, nämlich auf eine ästhetisch ansprechende, dem Detail zugewandte, liebevolle Art und Weise. Und hier treffen Sie sich mit Thekla Ehling und ihrem Blick auf die Welt, oder präziser gesagt, um sich den Themen zuzuwenden: Der Blick auf die Stadt, auf die Natur, auf die Menschen.
"Entdecke deine Stadt. Stadtsafari für Kinder." Eine vergnügliche Führung durch den Lebensraum Stadt, wo Kinder allerlei entdecken können. Informationspool, Mitmachbuch, Ideengeber. Zweierlei fällt auf. Es geht um das Sehen und um die Liebe. Über die Liebe sprechen wir später. Bei Ihrem Buch fiel mir ein Goethe-Zitat ein: "Man sieht nur, was man weiß." Oft abgewandelt, birgt dieser Satz eine große Wahrheit. Und diese wichtige Erkenntnis liegt ihrem Buch zugrunde. Sie möchten zum Sehen, zum Erkennen anregen über das Wissen. Anke Leitzgen, wie haben Sie sehen gelernt?
Leitzgen: Ich hatte dazu passend ein ganz interessantes Erlebnis. Ich war mit meinem damaligen Freund am Strand. Er war Fotograf, ich hab geschrieben, wir haben auf passendes Wetter gewartet und bis dahin haben wir Muscheln gesucht. Für mich war es der erste karibische Strand, ich kannte bis dahin nur Ostsee und Nordsee. Er war immer ganz weit vorne, und dann trafen wir uns und er sagte: was hast du denn gefunden? Und ich zeigte meine ganzen Herzmuscheln. Und in seiner Hand waren Muscheln, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, und die ich aber auch dort am Strand nicht entdeckt hatte. Erst später beim nächsten Spaziergang habe ich die gedrehten, blattartigen, schneckenähnlichen Gebilde auch entdeckt. Das war genau das Erlebnis: Man sieht nur, was man kennt.
Wegmann: Thekla Ehling, "Bilder des Staunens über die Ordnung der Dinge" – so hat Jürgen Nielsen-Sikora ihre Fotografien interpretiert.
Bedeutet das, Sie entdecken die Fragen hinter dem scheinbar Eindeutigen und manchmal Banalen und werfen Sie diese Fragen durch Ihre Bilder auf?
Ehling: Ich liebe es die Dinge, zu sehen und sichtbar zu machen, den Menschen das zu zeigen, was ich sehe. Ich empfinde es als ein Privileg, dass die Menschen sich mit meinem Blick auf die Dinge beschäftigen, dass ich die Leute auf eine Sichtweise aufmerksam machen darf, auf das was ich täglich sehe. Ich sehe so viele wunderbare Dinge um mich herum. Und mein alter Lehrer Arno Fischer hat immer gesagt: Es sind so viele Dinge schon vorhanden, man muss sie bloß finden. Die Komposition steht schon, man muss sie nur sehen. Und das war für mich das Sehen lernen. Und das versuche ich in meine Bilder hineinzubringen: Das Schöne des Alltäglichen hervorzuheben und zu zeigen, dass man nicht weit reisen muss, sondern schon wenn man aus der Tür tritt, kann man viele wunderbare Dinge sehen.
Wegmann: Der zweite Aspekt, der das Stadtbuch ausmacht, ein ebenso wichtiger, ist die Aufforderung, die Passivität zu verlassen und aktiv in die Gestaltung des Lebensumfelds einzugreifen. Experte zu werden. Mitzugestalten.
Hier kommt auch die Liebe ins Spiel. Auch hier möchte ich einen Schriftsteller zitieren: Valery Larbaud, er starb Mitte des letzten Jahrhunderts. Von ihm stammt der Satz: "In dem Maße, in dem jemand zu Größe, Bedeutung und Wohlergehen von Paris beiträgt, ist er ein Pariser." Mir ist sofort der Schriftzug "Liebe deine Stadt!" in den Sinn gekommen, den jeder Kölner kennt und über der Nord-SÜd-Trasse bewundern kann. Möchten Sie, Anke Leitzgen, zu einer solchen Identifikation mit dem eigenen Lebensumfeld auffordern?
Leitzgen: Unbedingt, das möchte ich mit allen Büchern. Ich habe nur ein einziges Grundanliegen, warum ich überhaupt Bücher mache. Und das ist, jedem Kindern zu vermitteln: Du bist wichtig, du wirst gebraucht. Ich glaube, dass wir in einer Gesellschaft leben, wo Kinder ganz schnell den Eindruck bekommen, alles ist da, alles ist fertig, man muss nichts mehr erfinden, oder weiterdenken, weil alles so perfekt aussieht. Und mir ist so wichtig, in jedem Buch Dinge aufzuzeigen, von denen ich sage: Das gibt es noch nicht , oder das hat noch niemand erforscht. Die wichtigste Botschaft bei dem Stadtbuch ist: Eine Stadt ist niemals fertig. Das möchte ich den Kindern mitgeben.
Wegmann: Eine gute Überleitung zum nächsten Buch "Erforsche deine Welt. Forschen lernen für Kinder." Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis im Jahr 2012. Hier geht es um das Wundern über alltägliche Dinge, das Fragen nach dem Warum. Fragen, die zu jedem Monat des Jahres passen und die jeweils auf vier Seiten mit Anleitung für ein Experiment und einer Erklärung abgehandelt werden. Anke Leitzgen, nennen Sie uns Ihre bevorzugten Forschungen bei der Arbeit an diesem Buch?
Leitzgen: Das Fruchtfliegen züchten hat mir sehr viel Spaß gemacht, aber auch das Schimmelkultur züchten. Also die abartigen Sachen haben mich mehr begeistert. Also solche Fragen wie: Warum ist der Himmel blau' Oder was machen die Sterne tagsüber, das sind wichtige Fragen, aber mir ist wichtig zu zeigen, dass im Absurden, Komischen, Merkwürdigen auch spannende Geheimnisse liegen.
Wegmann: Lisa Rienermann hat hier die grafische Gestaltung übernommen. Ich denke jetzt gerade an die Doppelseite: Wie trinken Blumen? Das ist ganz lustig dargestellt: Tulpe mit Strohhalm. Sind das Freiräume, die die Grafikerin hat? Kann die Grafikerin hier machen, was sie möchte?
Leitzgen: Wir arbeiten ganz eng zusammen. Auch wenn ich die Themen suche, denke ich schon darüber nach, ob die Frage eine interessante optische Lösung bietet. Das geht Hand in Hand. Mir ist das Bild immer genauso wichtig wie der Text. Es muss zusammenspielen Und ich würde lieber ein Experiment weglassen, wenn es nicht lustig und interessant umgesetzt werden kann. Die Aufmachung, die grafische Übersetzung denke ich mit. Und ich komme dann oft schon mit Ideen, meistens wird es dann doch ganz anders, weil Lisa ganz fantastische Ideen hat. Aber ich sehe meine Arbeit darin, die Spielfläche zu bieten, auf der sich alles entwickeln kann.
Wegmann: Eins meiner Lieblingsexperimente läuft unter dem Titel: Erinnerungen schaffen! Da wird ein toter Fisch vor dem Braten angemalt und auf Seidenpapier als Abdruck verewigt. Eine Erinnerung schaffen, bevor man den Fisch verspeist.
Was mir auch sehr gut gefällt an dem Buch, Anke Leitzgen, Sie haben keine Angst vor Fachvokabular: Wenn Sie den Prozess des Schimmelns erklären, fallen Begriffe wie Hyphen, das sind Zellfäden des Schimmels. Auch im Stadtbuch gibt es schon ein ABC, das Begriffe wie Versorgungstrasse und Brachfläche erklärt. Das finde ich toll, dass Sie diese Begriffe in die Runde werfen und damit die Kinder fordern.
Leitzgen: Ich glaube, Kinder fühlen sich immer sehr angesprochen, wenn man sie ernst nimmt. Und wenn man die Wörter benutzt, die man auch unter Erwachsenen benutzt, dann hat das einen besonderen Reiz, dann bin ich auf Augenhöhe. Das möchte ich zeigen. Wenn ich die Begriffe erkläre, dann sehr bildreich und verständlich und auch lustig zu sein, sodass man es schnell und gut versteht. Aber ich würde nie drum herumreden.
Wegmann: Die Titel der besprochenen Bücher nenne ich zum Schluss der Sendung. Meine Gäste im Büchermarkt sind heute die Autorin Anke Leitzgen und die Fotografin Thekla Ehling.
"Entdecke, was dir schmeckt. Kinder erobern die Küche." Ein phantasievolles, informatives Buch über Lebensmittel, Geschmacksrichtungen. Über Prozesse beim Kochen. Und Schritt für Schritt gut dokumentierte leckere Rezepte. In diesem Buch, Thekla Ehling, waren Sie sehr gefragt. Was war Ihre Lieblingsfotosession?
Ehling: Der Holunderblütensirup hat mir großen Spaß gemacht. Es war ein gutes Thema, ich wollte es ohnehin schon immer mal machen. Man konnte nach draußen gehen, ernten, einlegen, abgießen. Es hat einen riesen Spaß gemacht, auch wenn hinterher die ganze Küche geklebt hat.
Wegmann: Sie haben ja in erster Linie die Rezepte fotografiert. Wie lange fotografiert man denn an einem solchen Rezept, ein Tag, zwei Tage?
Ehling: Solange wie das Rezept dauert. Durch unsere langjährige Erfahrung, mit Kindern etwas herzustellen, zu basteln, zu kochen, haben wir tolle Kinder gefunden, die das super mitmachen, die sich nicht ablenken lassen, die kurz innehalten, wenn man sagt: Warte mal, ich muss das noch mal eben fotografieren. Die mir alles so hinhalten, dass ich es gut ablichten kann. So haben wir eine schöne Vertrautheit und tolle Zusammenarbeit, dass wir gut Fotos machen können. Und das dauert wirklich so lange, wie ein Rezept braucht. Wir stellen nichts nach, sondern fotografieren den Herstellungsprozess.
Wegmann: Anke Leitzgen, haben Sie viele Bücher über Ernährung und Lebensmittel gelesen oder zählt für Sie mehr als alles andere das persönliche Empfinden. Emperie gegen Theorie?
Leitzgen: Nein, beides ist mir gleichermaßen wichtig. Zu jedem Buch, das ich geschrieben habe, gibt es einen Meter Platz im Regal, Bücher, die ich für die Recherche gelesen habe. Ich recherchiere nicht nur in Deutschland, sondern da findet man auch amerikanische, englische oder französische Bücher.
Wegmann: Lust steht im Vordergrund. Nicht Gesundheit und Effektivität. So gibt es erstaunlich oft Zucker in den Rezepten: Tomate mit Puderzucker. Möhrensuppe mit Zucker. Wie politisch unkorrekt darf man sein?
Leitzgen: Ich denke, das Wichtigste ist, den Kindern erstmal Lust zu machen. Und dann sind die Rezepte ausprobiert, bevor wir sie fotografiert haben, um zu wissen: Schmeckt das Kinder' Wie schmeckt das Kindern besonders gut' Dabei wollten wir nicht zu gefällig sein, es gibt auch Rezepte ohne Zucker und ohne Farbstoff. Aber wir haben schon rumgespielt. Es gibt aber Hingucker, wie die bunteingefärbten Waffeln.
Das habe ich schon oft gehört, dass das nachgebacken wurde. Kinder lieben Süßes, und ich finde es dann richtig, sie mit dem spielen zu lassen, was sie gut finden. Es geht doch auch vor allem um den Prozess, sich damit auseinanderzusetzen, sich etwas zuzutrauen. Und dann doch gerne mit dem, auf das sie Lust haben.
Wegmann: Jetzt haben Sie mir ein Stichwort gegeben. Es geht nicht nur um Rezepte, sondern auch um eine Vielzahl genialer, kindgerechter Experimente, die anschaulich zeigen, was zum Beispiel passiert, wenn man Backpulver benutzt.
"Meine Gartenwerkstatt", das ist der Titel des brandneuen Gemeinschaftsprojektes. Ab Ende Januar im Buchhandel erhältlich. Von Gartenwerkzeugen zur Pflanzencollage. Vom Regenwürmer beoachten zum Barfußparcours. Vom Insektenhotel zum Comicgarten. Vom Frühling bis zum verschneiten Winter nehmen Sie, Anke Leitzgen und Thekla Ehling, und 16 Kinder und Jugendliche uns mit in die Natur.
Eine Fülle an Bildmaterial findet man zu den unterschiedlichsten Themen: Schmetterlinge züchten –einen Miniteich anlegen – Brot in Blumentöpfen backen – Eisringe mit Blättern oder Perlen herstellen. Was hat denn Ihnen beiden am meisten Spaß gemacht?
Leitzgen: Ich fand den Comicgarten ganz toll. Das war für mich das Neueste, das Ungewöhnlichste. Und es ist auch gleichzeitig ein Objekt.
Wegmann: Erklären Sie doch mal gerade, was das ist, ein Comicgarten.
Leitzgen: Man nimmt am besten ein altes, dickes Comicbuch. Oder man bindet zweidrei zu einem Paket. Alle zwanzig Blätter legt man ein paar Samen hinein. Was haben wir noch genommen, Thekla?
Ehling: Kichererbsen, Kresse, eine bunte Samenmischung.
Leitzgen: Genau, alle Arten von Samen funktionieren. Die legt man relativ weit oben hinein. Dann schnürt man das Ganze Comicaket zusammen und stellt es in eine flache Schale und gießt es. Das Comichbuch funktioniert wie ein Blumentopf.
Wegmann: Und oben heraus sprießen dann die Pflanzen?
Leitzgen: Genau. Sieht total hübsch.
Ehling: Und es ist ein richtig schönes Objekt.
Wegmann: War das auch ihr Lieblingsexperiment?
Ehling: Ich war total fasziniert vom Schmetterlinge züchten. Das war eine tolle Inspiration und ein Wahnsinn zu sehen, dass das so klappt. Man bringt vom Spaziergang die kleinen Raupen mit und alles unter der Anleitung, wie ich sie hatte, beobachtet. Von der Verpuppung bis zum Schmetterling. Das ist wirklich großartig.
Wegmann: Judith Drews hat die Zeichnungen geliefert und die grafische Gestaltung übernommen. Alle Bücher haben mir ein riesiges Vergnügen bereitet, und ich habe eine Menge gelernt. Ich verabschiede mich jetzt eilig von den beiden Produzentinnen und Künstlerinnen, Anke Leitzgen und Thekla Ehling, damit sie am nächsten Buch weiterarbeiten können. Gibt es ein neues gemeinsames Projekt?
Leitzgen: Es gibt ein ganz großes Projekt, das werden 25 oder 30 Bücher. Wir sind in der Konzeption schon sehr weit. Alle Themen stehen. Wenn alles gut geht, kommt das schon im nächsten Herbst heraus.
Wegmann: Ich bin total gespannt. Never change a winning team! Dank und Gruß in die Ferne an Lisa Rienermann und Judith Drews.
Die besprochenen Bücher:
Freunde, Eltern, Lehrer und andere Probleme.
Der Ratgeber für Kinder, von Anke Leitzgen, mit Illustrationen von Judith Drews
dtv/Reihe Hanser, 128 Seiten, 7,95 Euro, ab 7 Jahre
Entdecke deine Stadt.
Stadtsafari für Kinder, von Anke Leitzgen und Lisa Rienermann
Verlag Beltz & Gelberg, 152 Seiten, 14,95 Euro, ab 5 Jahre
Erforsche deine Welt.
Forschen lernen für Kinder, von Anke Leitzgen und Lisa Rienermann
Verlag Beltz & Gelberg, 158 Seiten, 16,95 Euro, ab 6 Jahre
Entdecke, was dir schmeckt.
Kinder erobern die Küche, von Anke Leitzgen & Lisa Rienermann, Fotos Thekla Ehling
Verlag Beltz & Gelberg, 157 Seiten, 16,95 Euro, ab 6 Jahre
Meine Gartenwerkstatt.
Von Anke Leitzgen, Thekla Ehling und Judith Drews,
Gerstenberg Verlag, 144 Seiten, 19,95 Euro, ab 6 Jahre
Anke Leitzgen: Thekla wurde mir vorgestellt, vielmehr empfohlen von einem Freund, der sagte: Ich war gerade auf einer Ausstellung von Thekla Ehling, und du musst die unbedingt kennenlernen, das wird dir gefallen. Und dann habe ich sie gegoogelt, mir die Homepage angeschaut und sie angerufen.
Wegmann: Thekla Ehling, haben Sie vorher schon mal mit jemandem im Kinder- und Jugendbuchbereich zusammengearbeitet?
Thekla Ehling: Nein, auf solche Art und Weise gar nicht. Das war ja auch eine längere Entstehungsgeschichte. Anke kam in die Ausstellung, wir haben uns kennengelernt, uns langsam angenähert und wir sind langsam zusammengewachsen und ich denke, wir wachsen immer weiter.
Wegmann: Anke Leitzgen, Sie sind Journalistin und Autorin. Sie waren Chefredakteurin bei der Zeitschrift Miss Vogue, schreiben für das Magazin "Eltern Family" und betreiben mit drei Frauen eine internationale Firma: The Coaches Company. Wen und was coachen Sie?
Leitzgen: Das Coachen hat nur ganz entfernt was mit Schreiben zu tun. Ich coache vor allem Teams, sehr viel in Schulen, wo das Teamworken noch schwer fällt. Und vor allem Frauen, die an Entscheidungspunkten stehen, die wissen wollen, wie sie weitermachen sollen, die einen Schritt weitergehen wollen.
Wegmann: Wenn Sie nun Schulen sagen, meinen Sie dann die Lehrer?
Leitzgen: Ja, nicht die Schüler.
Wegmann: Gibt es bei all Ihren Aktivitäten einen Schwerpunkt?
Leitzgen: Das Schreiben ist das, was ich am meisten machen, aber am liebsten denke ich mir Neues aus, entwickel Ideen, mache Konzepte und das Coachen nimmt immer mehr Platz ein, was ich auch weiter ausbauen möchte.
Wegmann: Thekla Ehling hat Fotografie an der Fachhochschule Dortmund und am College of Fine Arts in Limerick studiert. Ihre Fotobücher heißen "Sommerherz" und "Vergiszmeinnicht", das Buch erschien letztes Jahr mit Texten von David Almond. Sie hatte Ausstellungen in Hamburg, Berlin, New York, Sydney und Melbourne.
Thekla Ehling, betrachtet man Ihre Bilder, die ein breites inhaltliches Spektrum aufweisen – von Landschaften über Alltagsgegenstände in besonderen Kontexten, oder Menschen allen Alters, so fällt dennoch eine Konzentration auf Kinder und junge Menschen auf und ebenfalls auf Pflanzen, Blüten, Natur im Allgemeinen. Das hat einen Hintergrund.
Ehling: Bei mir war die Sehnsucht nach dem Ländlichen, wo ich aufgewachsen bin, sehr sehr groß. Es hat einen großen Teil meiner Fantasiewelt ausgemacht, etwas, wohin ich immer wieder zurückgehe. Als meine beiden Kinder geboren wurden, habe ich diese ganze Zeit noch mal ganz bewusst und intensiv miterlebt und hatte zahlreiche Deja-vus. Und das habe ich versucht, festzuhalten. So kam es zu den Themen.
Wegmann: Sie hatten aber auch einen besonderen Lehrer, dem sie das Buch gewidmet haben!
Leitzgen: Ich hatte einen sehr besonderen Lehrer: Arno Fischer, den ich an der FH Dortmund kennengelernt habe und der auf eine unfassbar ruhige und angenehme Art und Weise seine Lehre vertreten hat. Und der uns immer sehr viel Freiraum gelassen und man hat gar nicht gemerkt, in was für tolle Richtungen er einen gelenkt hat und wie er uns unterstützt hat. Er hat sich selber immer sehr zurückgenommen.
Wegmann: Sie sind nicht nur Künstlerin, sondern machen auch Auftragsarbeiten. Porträtfotografie und Standbilder an Filmsets. Worin besteht der Reiz an einem Filmset zu arbeiten, im Gegensatz zur freien künstlerischen Fotografie?
Ehling: Das Filmset war für mich ein großer Spielplatz, wo man viele verschiedene Menschen kennenlernen konnte und wo sich viele verschiedene Berufe ergänzen mussten. Es hat mir Spaß gemacht, Leute dabei zu beoachten, wie sie spielen, wie sie Regie führen, wie sie Kostüme machen oder Haare und Make-up, das war ein großer Schatz, das kennenzulernen. Ich spreche in der Vergangenheit, weil ich das mit der Standfotografie langsam habe auslaufen lassen. Es war aber spannend zu sehen, wie sich verschiedene Berufsgruppen zusammenfügen und ein Produkt herstellen. Vor allem aber habe ich durch die Standfotografie eine sehr hohe Schnelligkeit erworben, weil meistens die Zeit sehr knapp ist und man sehr präzise arbeiten muss.
Wegmann: Anke Leitzgen, der Ratgeber "Freunde, Eltern, Lehrer und andere Probleme" ist ein Ratgeber für Kinder. Ihr erstes Sachbuch. Im Jahr 2009 auf den Besten 7, der Bestenliste des Deutschlandfunk. Hier geht es um Alltagsprobleme der 7- 12-Jährigen. Warum hab ich keinen Freund? Wieso sind Lehrer ungerecht? Es geht um nervende Geschwister. Eifersucht auf einen Dritten. Jeweils ein Problem wird in einem vierseitigen Comic-Strip dargestellt. Sehr kurz. Sehr allgemein gehalten. Sehr klar. Zwei jugendliche Experten erörtern dann die Hintergründe, es gibt Tipps und ein Resümee. Die Ansprache richtet sich direkt an die Kinder. Sie lesen aus diesem Buch an Schulen. Was fasziniert die Kinder an dem Sachbuch?
Leitzgen: Alles. Die fühlen sich völlig abgeholt. Ich benenne zuerst diese acht Themen, die wir haben. Das sind Themen, die sie kennen, aus dem eigenen Erleben oder weil sie es Schulkameraden erlebt haben. Da können sie sofort anknüpfen. Dann lass ich die Gruppe wählen, welches Kapitel wir denn lesen wollen. Und das ist immer wieder spannend und beginnt schon beim Drübernachdenken: Was interessiert mich am meisten' Es kristallisiert sich schnell heraus, dass in der Klasse ein Thema vorherrscht. Und dann darüber zu sprechen und zu sehen: Ich bin ja gar nicht alleine damit, das ist so entlastend. Und das war der Grund, warum Angela Schuh, die die Expertin als Kinder- und Jugendtherapeutin ist und mit der ich das Buch zusammengeschrieben habe, gesagt hat: Wir brauchen so ein Buch. Weil Kinder immer denken, sie seien alleine mit ihren Problemen und darüber reden ist schambesetzt und peinlich. Deshalb müssen wir mal aufklären und sagen: Was Du da hast, das kennt eigentlich jeder.
Wegmann: Sie haben das Buch zu dritt gemacht: Judith Drews hat hier die Comics gezeichnet und die Gestaltung gemacht. Kommen wir zu Ihren gemeinsamen Projekten. Was alle drei Bücher verbindet, ist die auffällig schöne Gestaltung. Die Bücher überzeugen durch Klarheit und Informationsreichtum. Phantasievoll und farbenfroh ist das alles von der Grafikerin Lisa Rienermann ins Bild gesetzt. Darüber hinaus gefällt mir die Aufforderung, und das weniger im pädagogischen als im lustvollen Sinne, Experimente nachzumachen, Rezepte nachzukochen, etwas Auszuprobieren und Ihnen zu folgen, wie Sie die Welt sehen, nämlich auf eine ästhetisch ansprechende, dem Detail zugewandte, liebevolle Art und Weise. Und hier treffen Sie sich mit Thekla Ehling und ihrem Blick auf die Welt, oder präziser gesagt, um sich den Themen zuzuwenden: Der Blick auf die Stadt, auf die Natur, auf die Menschen.
"Entdecke deine Stadt. Stadtsafari für Kinder." Eine vergnügliche Führung durch den Lebensraum Stadt, wo Kinder allerlei entdecken können. Informationspool, Mitmachbuch, Ideengeber. Zweierlei fällt auf. Es geht um das Sehen und um die Liebe. Über die Liebe sprechen wir später. Bei Ihrem Buch fiel mir ein Goethe-Zitat ein: "Man sieht nur, was man weiß." Oft abgewandelt, birgt dieser Satz eine große Wahrheit. Und diese wichtige Erkenntnis liegt ihrem Buch zugrunde. Sie möchten zum Sehen, zum Erkennen anregen über das Wissen. Anke Leitzgen, wie haben Sie sehen gelernt?
Leitzgen: Ich hatte dazu passend ein ganz interessantes Erlebnis. Ich war mit meinem damaligen Freund am Strand. Er war Fotograf, ich hab geschrieben, wir haben auf passendes Wetter gewartet und bis dahin haben wir Muscheln gesucht. Für mich war es der erste karibische Strand, ich kannte bis dahin nur Ostsee und Nordsee. Er war immer ganz weit vorne, und dann trafen wir uns und er sagte: was hast du denn gefunden? Und ich zeigte meine ganzen Herzmuscheln. Und in seiner Hand waren Muscheln, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, und die ich aber auch dort am Strand nicht entdeckt hatte. Erst später beim nächsten Spaziergang habe ich die gedrehten, blattartigen, schneckenähnlichen Gebilde auch entdeckt. Das war genau das Erlebnis: Man sieht nur, was man kennt.
Wegmann: Thekla Ehling, "Bilder des Staunens über die Ordnung der Dinge" – so hat Jürgen Nielsen-Sikora ihre Fotografien interpretiert.
Bedeutet das, Sie entdecken die Fragen hinter dem scheinbar Eindeutigen und manchmal Banalen und werfen Sie diese Fragen durch Ihre Bilder auf?
Ehling: Ich liebe es die Dinge, zu sehen und sichtbar zu machen, den Menschen das zu zeigen, was ich sehe. Ich empfinde es als ein Privileg, dass die Menschen sich mit meinem Blick auf die Dinge beschäftigen, dass ich die Leute auf eine Sichtweise aufmerksam machen darf, auf das was ich täglich sehe. Ich sehe so viele wunderbare Dinge um mich herum. Und mein alter Lehrer Arno Fischer hat immer gesagt: Es sind so viele Dinge schon vorhanden, man muss sie bloß finden. Die Komposition steht schon, man muss sie nur sehen. Und das war für mich das Sehen lernen. Und das versuche ich in meine Bilder hineinzubringen: Das Schöne des Alltäglichen hervorzuheben und zu zeigen, dass man nicht weit reisen muss, sondern schon wenn man aus der Tür tritt, kann man viele wunderbare Dinge sehen.
Wegmann: Der zweite Aspekt, der das Stadtbuch ausmacht, ein ebenso wichtiger, ist die Aufforderung, die Passivität zu verlassen und aktiv in die Gestaltung des Lebensumfelds einzugreifen. Experte zu werden. Mitzugestalten.
Hier kommt auch die Liebe ins Spiel. Auch hier möchte ich einen Schriftsteller zitieren: Valery Larbaud, er starb Mitte des letzten Jahrhunderts. Von ihm stammt der Satz: "In dem Maße, in dem jemand zu Größe, Bedeutung und Wohlergehen von Paris beiträgt, ist er ein Pariser." Mir ist sofort der Schriftzug "Liebe deine Stadt!" in den Sinn gekommen, den jeder Kölner kennt und über der Nord-SÜd-Trasse bewundern kann. Möchten Sie, Anke Leitzgen, zu einer solchen Identifikation mit dem eigenen Lebensumfeld auffordern?
Leitzgen: Unbedingt, das möchte ich mit allen Büchern. Ich habe nur ein einziges Grundanliegen, warum ich überhaupt Bücher mache. Und das ist, jedem Kindern zu vermitteln: Du bist wichtig, du wirst gebraucht. Ich glaube, dass wir in einer Gesellschaft leben, wo Kinder ganz schnell den Eindruck bekommen, alles ist da, alles ist fertig, man muss nichts mehr erfinden, oder weiterdenken, weil alles so perfekt aussieht. Und mir ist so wichtig, in jedem Buch Dinge aufzuzeigen, von denen ich sage: Das gibt es noch nicht , oder das hat noch niemand erforscht. Die wichtigste Botschaft bei dem Stadtbuch ist: Eine Stadt ist niemals fertig. Das möchte ich den Kindern mitgeben.
Wegmann: Eine gute Überleitung zum nächsten Buch "Erforsche deine Welt. Forschen lernen für Kinder." Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis im Jahr 2012. Hier geht es um das Wundern über alltägliche Dinge, das Fragen nach dem Warum. Fragen, die zu jedem Monat des Jahres passen und die jeweils auf vier Seiten mit Anleitung für ein Experiment und einer Erklärung abgehandelt werden. Anke Leitzgen, nennen Sie uns Ihre bevorzugten Forschungen bei der Arbeit an diesem Buch?
Leitzgen: Das Fruchtfliegen züchten hat mir sehr viel Spaß gemacht, aber auch das Schimmelkultur züchten. Also die abartigen Sachen haben mich mehr begeistert. Also solche Fragen wie: Warum ist der Himmel blau' Oder was machen die Sterne tagsüber, das sind wichtige Fragen, aber mir ist wichtig zu zeigen, dass im Absurden, Komischen, Merkwürdigen auch spannende Geheimnisse liegen.
Wegmann: Lisa Rienermann hat hier die grafische Gestaltung übernommen. Ich denke jetzt gerade an die Doppelseite: Wie trinken Blumen? Das ist ganz lustig dargestellt: Tulpe mit Strohhalm. Sind das Freiräume, die die Grafikerin hat? Kann die Grafikerin hier machen, was sie möchte?
Leitzgen: Wir arbeiten ganz eng zusammen. Auch wenn ich die Themen suche, denke ich schon darüber nach, ob die Frage eine interessante optische Lösung bietet. Das geht Hand in Hand. Mir ist das Bild immer genauso wichtig wie der Text. Es muss zusammenspielen Und ich würde lieber ein Experiment weglassen, wenn es nicht lustig und interessant umgesetzt werden kann. Die Aufmachung, die grafische Übersetzung denke ich mit. Und ich komme dann oft schon mit Ideen, meistens wird es dann doch ganz anders, weil Lisa ganz fantastische Ideen hat. Aber ich sehe meine Arbeit darin, die Spielfläche zu bieten, auf der sich alles entwickeln kann.
Wegmann: Eins meiner Lieblingsexperimente läuft unter dem Titel: Erinnerungen schaffen! Da wird ein toter Fisch vor dem Braten angemalt und auf Seidenpapier als Abdruck verewigt. Eine Erinnerung schaffen, bevor man den Fisch verspeist.
Was mir auch sehr gut gefällt an dem Buch, Anke Leitzgen, Sie haben keine Angst vor Fachvokabular: Wenn Sie den Prozess des Schimmelns erklären, fallen Begriffe wie Hyphen, das sind Zellfäden des Schimmels. Auch im Stadtbuch gibt es schon ein ABC, das Begriffe wie Versorgungstrasse und Brachfläche erklärt. Das finde ich toll, dass Sie diese Begriffe in die Runde werfen und damit die Kinder fordern.
Leitzgen: Ich glaube, Kinder fühlen sich immer sehr angesprochen, wenn man sie ernst nimmt. Und wenn man die Wörter benutzt, die man auch unter Erwachsenen benutzt, dann hat das einen besonderen Reiz, dann bin ich auf Augenhöhe. Das möchte ich zeigen. Wenn ich die Begriffe erkläre, dann sehr bildreich und verständlich und auch lustig zu sein, sodass man es schnell und gut versteht. Aber ich würde nie drum herumreden.
Wegmann: Die Titel der besprochenen Bücher nenne ich zum Schluss der Sendung. Meine Gäste im Büchermarkt sind heute die Autorin Anke Leitzgen und die Fotografin Thekla Ehling.
"Entdecke, was dir schmeckt. Kinder erobern die Küche." Ein phantasievolles, informatives Buch über Lebensmittel, Geschmacksrichtungen. Über Prozesse beim Kochen. Und Schritt für Schritt gut dokumentierte leckere Rezepte. In diesem Buch, Thekla Ehling, waren Sie sehr gefragt. Was war Ihre Lieblingsfotosession?
Ehling: Der Holunderblütensirup hat mir großen Spaß gemacht. Es war ein gutes Thema, ich wollte es ohnehin schon immer mal machen. Man konnte nach draußen gehen, ernten, einlegen, abgießen. Es hat einen riesen Spaß gemacht, auch wenn hinterher die ganze Küche geklebt hat.
Wegmann: Sie haben ja in erster Linie die Rezepte fotografiert. Wie lange fotografiert man denn an einem solchen Rezept, ein Tag, zwei Tage?
Ehling: Solange wie das Rezept dauert. Durch unsere langjährige Erfahrung, mit Kindern etwas herzustellen, zu basteln, zu kochen, haben wir tolle Kinder gefunden, die das super mitmachen, die sich nicht ablenken lassen, die kurz innehalten, wenn man sagt: Warte mal, ich muss das noch mal eben fotografieren. Die mir alles so hinhalten, dass ich es gut ablichten kann. So haben wir eine schöne Vertrautheit und tolle Zusammenarbeit, dass wir gut Fotos machen können. Und das dauert wirklich so lange, wie ein Rezept braucht. Wir stellen nichts nach, sondern fotografieren den Herstellungsprozess.
Wegmann: Anke Leitzgen, haben Sie viele Bücher über Ernährung und Lebensmittel gelesen oder zählt für Sie mehr als alles andere das persönliche Empfinden. Emperie gegen Theorie?
Leitzgen: Nein, beides ist mir gleichermaßen wichtig. Zu jedem Buch, das ich geschrieben habe, gibt es einen Meter Platz im Regal, Bücher, die ich für die Recherche gelesen habe. Ich recherchiere nicht nur in Deutschland, sondern da findet man auch amerikanische, englische oder französische Bücher.
Wegmann: Lust steht im Vordergrund. Nicht Gesundheit und Effektivität. So gibt es erstaunlich oft Zucker in den Rezepten: Tomate mit Puderzucker. Möhrensuppe mit Zucker. Wie politisch unkorrekt darf man sein?
Leitzgen: Ich denke, das Wichtigste ist, den Kindern erstmal Lust zu machen. Und dann sind die Rezepte ausprobiert, bevor wir sie fotografiert haben, um zu wissen: Schmeckt das Kinder' Wie schmeckt das Kindern besonders gut' Dabei wollten wir nicht zu gefällig sein, es gibt auch Rezepte ohne Zucker und ohne Farbstoff. Aber wir haben schon rumgespielt. Es gibt aber Hingucker, wie die bunteingefärbten Waffeln.
Das habe ich schon oft gehört, dass das nachgebacken wurde. Kinder lieben Süßes, und ich finde es dann richtig, sie mit dem spielen zu lassen, was sie gut finden. Es geht doch auch vor allem um den Prozess, sich damit auseinanderzusetzen, sich etwas zuzutrauen. Und dann doch gerne mit dem, auf das sie Lust haben.
Wegmann: Jetzt haben Sie mir ein Stichwort gegeben. Es geht nicht nur um Rezepte, sondern auch um eine Vielzahl genialer, kindgerechter Experimente, die anschaulich zeigen, was zum Beispiel passiert, wenn man Backpulver benutzt.
"Meine Gartenwerkstatt", das ist der Titel des brandneuen Gemeinschaftsprojektes. Ab Ende Januar im Buchhandel erhältlich. Von Gartenwerkzeugen zur Pflanzencollage. Vom Regenwürmer beoachten zum Barfußparcours. Vom Insektenhotel zum Comicgarten. Vom Frühling bis zum verschneiten Winter nehmen Sie, Anke Leitzgen und Thekla Ehling, und 16 Kinder und Jugendliche uns mit in die Natur.
Eine Fülle an Bildmaterial findet man zu den unterschiedlichsten Themen: Schmetterlinge züchten –einen Miniteich anlegen – Brot in Blumentöpfen backen – Eisringe mit Blättern oder Perlen herstellen. Was hat denn Ihnen beiden am meisten Spaß gemacht?
Leitzgen: Ich fand den Comicgarten ganz toll. Das war für mich das Neueste, das Ungewöhnlichste. Und es ist auch gleichzeitig ein Objekt.
Wegmann: Erklären Sie doch mal gerade, was das ist, ein Comicgarten.
Leitzgen: Man nimmt am besten ein altes, dickes Comicbuch. Oder man bindet zweidrei zu einem Paket. Alle zwanzig Blätter legt man ein paar Samen hinein. Was haben wir noch genommen, Thekla?
Ehling: Kichererbsen, Kresse, eine bunte Samenmischung.
Leitzgen: Genau, alle Arten von Samen funktionieren. Die legt man relativ weit oben hinein. Dann schnürt man das Ganze Comicaket zusammen und stellt es in eine flache Schale und gießt es. Das Comichbuch funktioniert wie ein Blumentopf.
Wegmann: Und oben heraus sprießen dann die Pflanzen?
Leitzgen: Genau. Sieht total hübsch.
Ehling: Und es ist ein richtig schönes Objekt.
Wegmann: War das auch ihr Lieblingsexperiment?
Ehling: Ich war total fasziniert vom Schmetterlinge züchten. Das war eine tolle Inspiration und ein Wahnsinn zu sehen, dass das so klappt. Man bringt vom Spaziergang die kleinen Raupen mit und alles unter der Anleitung, wie ich sie hatte, beobachtet. Von der Verpuppung bis zum Schmetterling. Das ist wirklich großartig.
Wegmann: Judith Drews hat die Zeichnungen geliefert und die grafische Gestaltung übernommen. Alle Bücher haben mir ein riesiges Vergnügen bereitet, und ich habe eine Menge gelernt. Ich verabschiede mich jetzt eilig von den beiden Produzentinnen und Künstlerinnen, Anke Leitzgen und Thekla Ehling, damit sie am nächsten Buch weiterarbeiten können. Gibt es ein neues gemeinsames Projekt?
Leitzgen: Es gibt ein ganz großes Projekt, das werden 25 oder 30 Bücher. Wir sind in der Konzeption schon sehr weit. Alle Themen stehen. Wenn alles gut geht, kommt das schon im nächsten Herbst heraus.
Wegmann: Ich bin total gespannt. Never change a winning team! Dank und Gruß in die Ferne an Lisa Rienermann und Judith Drews.
Die besprochenen Bücher:
Freunde, Eltern, Lehrer und andere Probleme.
Der Ratgeber für Kinder, von Anke Leitzgen, mit Illustrationen von Judith Drews
dtv/Reihe Hanser, 128 Seiten, 7,95 Euro, ab 7 Jahre
Entdecke deine Stadt.
Stadtsafari für Kinder, von Anke Leitzgen und Lisa Rienermann
Verlag Beltz & Gelberg, 152 Seiten, 14,95 Euro, ab 5 Jahre
Erforsche deine Welt.
Forschen lernen für Kinder, von Anke Leitzgen und Lisa Rienermann
Verlag Beltz & Gelberg, 158 Seiten, 16,95 Euro, ab 6 Jahre
Entdecke, was dir schmeckt.
Kinder erobern die Küche, von Anke Leitzgen & Lisa Rienermann, Fotos Thekla Ehling
Verlag Beltz & Gelberg, 157 Seiten, 16,95 Euro, ab 6 Jahre
Meine Gartenwerkstatt.
Von Anke Leitzgen, Thekla Ehling und Judith Drews,
Gerstenberg Verlag, 144 Seiten, 19,95 Euro, ab 6 Jahre