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Man spricht Deutsch!?

Die Niederländer wollen laut Zeitungsbericht kein Deutsch mehr lernen und Firmen haben Schwierigkeiten, Übersetzer zu finden. Deutsch sei in einigen europäischen Ländern zwar auf dem Rückzug, so Friederich Mielke vom internationalen Germanistenkongress, in Ländern wie China oder auch den osteuropäischen Ländern erlebe Deutsch als Fremdsprache eine enorme Nachfrage.

30.08.2005
    Novy: Die Germanistik entstand als Bewusstwerdung der Geschichtlichkeit von Sprache und Literatur, sie erforschte das Alt- und Mittelhochdeutsche, entdeckte die literarische Überlieferung, mittelalterliche Epen und Märchen. Und schon ganz früh gehörte zu dieser Beschäftigung der Bezug auf die Literatur der anderen, denn im Mittelalter standen Themen und Motive und Literaten im freien Verkehr ohne nationale Grenzen. Wenn heute Germanisten aus aller Welt sich zum Internationalen Germanistenkongress treffen, sie tun das alle fünf Jahre, haben sie jede Menge Stoff zu Fragen wie Kulturkonflikt, Differenzen und Multikulturalität, aber auch zu Fragen wie die nach dem Stellenwert der deutschen Sprache in der Welt. Die Holländer, war heute in der Zeitung zu lesen, mögen zum Beispiel kein Deutsch mehr lernen, Firmen-Übersetzer sind nur noch schwer zu finden, Friederich Mielke, ist das jetzt der Trend im Ausland?

    Mielke: Ja, weltweit ist es tatsächlich so, dass in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten und Kanada die Germanistik zurückschreitet. In den Vereinigten Staaten, weil die Emigrantengeneration so langsam ausstirbt, hier in Westeuropa wird die deutsche Sprache und damit auch die Germanistik durch das Spanische verdrängt und natürlich ganz stark durch die globalisierte englische Sprache, das ist selbstverständlich. Das ist die Negativbilanz. Positiv - und das ist das Interessante an dem Germanistenkongress in Paris - sieht es in Asien aus, aber auch in Osteuropa, in Polen, Ungarn aber auch Bulgarien boomt sie sozusagen. Das ist sehr erfreulich, und ganz interessant die Entwicklung in Ostasien, spezifisch Indien, China, Südkorea, aber auch Thailand. Zum Beispiel aus Südkorea sind eine Reihe von Germanisten in Paris, aber auch aus China. China war ja lange Zeit sehr asienzentristisch, das ist stark aufgebrochen. Chinesische Germanistik entwickelt sich, und das ist eine interessante Entwicklung.

    Novy: Wie kann man sich gerade das erklären?

    Mielke: Ja, das hängt natürlich mit einem Paradigmenwechsel zusammen, im Zusammenhang natürlich auch mit dem Ende des Kalten Krieges, aber spezifisch Globalisierung. Früher war Weltliteratur europäische Literatur. Die Weltliteratur, von der Goethe sprach, war eine europäische Literatur. Heute ist Weltliteratur global, und Chinesisch und chinesische Kultur waren ja ausnahmslos für China bestimmt. Heute ist eben auch das Chinesische eine Weltsprache, und insofern haben wir das, Stichwort Globalisierung.

    Novy: Gehen wir doch mal auf die Studieninhalte ein. Was interessiert denn eigentlich chinesische oder auch bulgarische Studenten an der Germanistik besonders oder an der deutschen Sprache?

    Mielke: Für die Germanisten im Ausland ist Deutschland noch ein wenig das Land der Dichter und Denker, das heißt, die Germanistik ist dort traditioneller. Begriffe, Gattungen, Perioden, Stile, aber auch Genres, die werden noch traditionell im Sinne der klassischen Philologie unterrichtet.

    Novy: Also traditioneller als in deutschen germanistischen Seminaren?

    Mielke: Auf jeden Fall. Die Methodendiskussion ist nicht so intensiv. Der Methodenstreit herrscht nicht vor, und wir müssen immer daran denken, dass Germanisten im Ausland auch Sprachlehrer sind, das heißt, die deutsche Sprache muss von diesen Professoren an den Universitäten auch als Deutsch als Fremdsprache unterrichtet werden. Insofern ist alles praktischer. Die Germanistik im Ausland ist eine praktische Germanistik und keine theoretische, kritische Germanistik.

    Novy: Frankreich ist der Gastgeber dieses Jahr. Das findet alle fünf Jahre statt, der internationale Germanistenkongress. Was hat sich denn da getan in der Beziehung des Gastlandes zur deutschen Sprache und Literatur?

    Mielke: In Frankreich gibt es für die Germanistik große Schwerpunkte, große Zentren. In denen geht es noch gut voran, zum Beispiel Paris, Lyon, Toulouse, dort ist die Germanistik ja richtig noch im Geschäft. Aber die deutsche Sprache als Fremdsprache ist stark auf dem Rückschritt. Sie wird vom Spanischen verdrängt. Die zweite Fremdsprache ist neben dem Englischen als erste Fremdsprache in Frankreich zunehmend das Spanische, und das ist die Negativbilanz. Positiv ist aber interessant, Fachhochschulen in Frankreich bieten kombinierte Studiengänge an, das heißt, man kann Jura, Wirtschaft, Technik in Zusammenhang mit der deutschen Sprache, also als Zweitfach studieren. Insofern ist das ein praktischer Bezug zur zweiten Fremdsprache in Frankreich, der sich langsam durchsetzt, und das ist eine gute Nachricht. Auf Fachhochschulebene kann Deutsch sich wieder sehen lassen.

    Novy: Es ist ja immer gut, wenn man eine zweite, dritte oder mehr Sprachen beherrscht. Aber warum, sagt man jungen Leuten heute, warum sollen sie eigentlich die deutsche Sprache lernen?

    Mielke: Frankreich hat einmal eine Tradition. Der französische Bildungsbürger hat ja einen Anspruch an sich selbst, eine Kultursprache Europas gut zu können. Das ist natürlich eingebrochen durch die ganz konkrete starke Präsenz des Englischen. Insofern ist es immer schwieriger für die französischen Germanisten geworden, Deutsch anzubieten und zu verkaufen. Auf der anderen Seite ist Deutschland weiterhin technisch, wirtschaftlich natürlich ganz eng mit Frankreich verbunden, und gerade auf dieser praktischen Ebene, auf der Ebene der Fachhochschulen bieten sich wieder Möglichkeiten.