Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Mangelhafte Stammzellen

Biologie.- In den USA wurden erstmals genaue molekulargenetische Analysen von verschiedenen Stammzellen durchgeführt. Dabei entdeckten die Forscher zahlreiche genetische Fehler. Das Urteil: Mangelhaft. Handelte es sich nicht um lebende Zellen, sondern um Autos, müssten alle Neuwagen zurück in die Werkstatt.

Von Michael Lange | 11.01.2011
    Jede Zelle im menschlichen Körper besitzt das gleiche genetische Material: Über drei Milliarden genetische Buchstaben mit mehr als 20.000 Genen. Bei jeder Zellteilung geht es darum, diese genetische Information möglichst exakt zu kopieren. Dabei kommt es gelegentlich zu Fehlern, sogenannten Mutationen.

    Was im Körper die Ausnahme ist, kommt bei Zellen in Zellkultur häufiger vor. Das hat ein internationales Team unter Leitung der Stammzellenforscherin Jeanne Loring vom Scripps Institute in La Jolla, Kalifornien, nun festgestellt. Die Wissenschaftler haben die genetischen Informationen in verschiedenen Stammzellen und Körperzellen verglichen.

    "Wir haben entdeckt, dass insbesondere in den embryonalen Stammzellen zahlreiche genetische Verdopplungen auftreten. Sie liegen meist genau in den Regionen des Erbguts, die für die besonderen Fähigkeiten der embryonalen Stammzellen verantwortlich sind. Oft sind gerade die sogenannten Pluripotenz-Gene betroffen. Sie machen den Unterschied aus zwischen wandlungsfähigen und nicht wandlungsfähigen Zellen."

    Die Forscher konnten zwar nicht das ganze Erbgut der Zellen vergleichen. Das wäre zu aufwendig gewesen. Aber sie haben mit automatisierten Verfahren Millionen Stellen im Erbgut verschiedener Zellen verglichen. Nach Abweichungen mussten sie nicht lange suchen. Ob auch die körpereigenen, sogenannten adulten Stammzellen auch solche Fehler aufweisen, weiß Jeanne Loring noch nicht.

    "Mit adulten Stammzellen hat noch niemand derartig genaue Untersuchungen durchgeführt. Wir wissen auch noch nicht, inwiefern die genetischen Fehler gefährlich sind. Das müssen wir jetzt herausfinden. Wir wollen testen, welche Abweichungen schlecht sind und welche neutral."

    Einige der entdeckten Genfehler treten in ähnlicher Form auch bei Krebszellen auf. Sie könnten ein Risiko darstellen für Patienten, die mit Zellen behandelt werden, die aus embryonalen Stammzellen hervorgegangen sind. In den USA laufen derzeit zwei klinische Studien mit solchen Zellen. Zum einen dienen die Zellen zur Behandlung von Patienten mit Rückenmarksverletzungen, zum andern zur Bekämpfung einer bestimmten Form der Erblindung.

    Jeanne Loring warnt aber vor voreiligen Schlüssen. Beide Studien können ihrer Ansicht nach weiter geführt werden. In Zukunft müssten aber zusätzliche genetische Tests für mehr Sicherheit sorgen.

    "Meiner Ansicht nach ist es notwendig, dass solche Gentests regelmäßig durchgeführt werden: Vor, während und nach der Vermehrung in der Zellkultur. Vor allem aber, bevor Zellen in Patienten gespritzt werden. So lässt sich in Zukunft sicherstellen, dass von Zellen mit genetischen Abweichungen keine Gefahr ausgeht."

    Und noch einen Ratschlag hat Jeanne Loring für alle ihre Kollegen, die mit embryonalen oder anderen Stammzellen arbeiten:

    "Die Fehler entstehen definitiv bei der Zellkultur. Denn im Labor werden stets die Zellen ausgewählt, die sich besonders gut vermehren. Diese Vermehrungsfähigkeit zeichnet ja unter anderem die embryonalen Stammzellen aus. Durch andere Methoden der Zellkultur könnte man diese Anhäufung von Fehlern möglicherweise verhindern."

    Ein Ergebnis der Studie lautet: Die Zellen, die am schnellsten wachsen, sind nicht die besten. Langsam wachsende Zellen sind vermutlich besser geeignet für zukünftige Therapien. Das bedeutet: Zusätzliche Arbeit für Laboranten und Wissenschaftler. Qualität und Sicherheit brauchen eben Zeit – auch und gerade bei der Züchtung von Zellen im Labor.