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"Maß der natürlichen Parteienkonkurrenz überschritten"

Die "kindischen Abgrenzungsrituale" gegen die eigene Partei vonseiten der SPD und der Grünen sicherten "eine wirkliche Überlebensversicherung für Angela Merkel", kritisiert Katja Kipping, Parteivorsitzende der Partei Die Linke. Die Halbwertzeit von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hält sie für begrenzt.

Katja Kipping im Gespräch mit Gerhard Schröder | 03.02.2013
    Schröder: Frau Kipping, seit eineinhalb Woche schwappt eine Erregungswelle über das Land, angestoßen durch ein vergleichsweise eigentlich harmloses Porträt über den FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle, der einer Reporterin mit sagen wir anzüglichen Komplimenten zu nahe getreten sein soll. Überrascht Sie die Heftigkeit der Debatte, die dadurch losgetreten wurde?

    Kipping: Ich finde es gut, dass es eine Debatte um Sexismus gibt, gar nicht wegen dem einzelnen Vorgang, sondern aus einem ganz anderen Grund – weil ich glaube, der alltägliche Sexismus, mit dem Frauen im Büro, im Betrieb, aber auch in den Unis konfrontiert sind, der ist schon ein wirkliches Problem. Und ich habe gehört, dass im Ergebnis dieser Debatte jetzt es auch mehr Frauen sich trauen, sich zum Beispiel bei der Anti-Diskriminierungsstelle zu melden. Und ich finde, ganz unabhängig davon, wie man den konkreten Vorgang zwischen der Journalistin und Herrn Brüderle bewertet, finde ich, sollte jeder Politiker und jede Politikerin diese Debatte nutzen, um Frauen zu ermuntern, sich zur Wehr zu setzen, wenn sie von Sexismus betroffen sind.

    Schröder: Sie selbst stehen ja mit 35 Jahren an der Spitze einer Partei, die nun auch heftige Machtkämpfe innerhalb der Partei hinter sich hat. Wie sind da Ihre eigenen Erfahrungen? Sexismus – ist das auch ein alltägliches Problem in der Politik?

    Kipping: Na ja, ich würde das Problem ein bisschen anders beschreiben. Es gab schon die eine oder andere Situation, wo ich mich an ein Zitat von Heinrich Mann erinnert gefühlt habe, der mal gesagt hat: Für die dummen Frauen hat man die Galanterie, aber was macht man mit den klugen? Da ist man hoffnungslos aufgeschmissen. Aber im Grunde genommen: Die Auseinandersetzungen, die ich geführt habe, die waren immer inhaltlich basiert. Und da konnte ich mich auch ganz gut durchsetzen am Ende.

    Schröder: Aber Männer mit Machoallüren gibt es sicherlich auch in Ihrer Partei. Wie gehen Sie damit um?

    Kipping: Na ja, ich glaube, das ist jetzt eher ein Problem, wo man sagen kann, das gibt es überall. Und in jeder Situation, wenn ich mit so was konfrontiert war, finde ich immer das Beste, das immer deutlich zu machen, was jetzt passiert ist. Entschuldigung, wenn ich jetzt mal ein Fremdwort verwende: Gender Rising. Also deutlich zu machen, wenn zum Beispiel in einem inhaltliches Gespräch, wo man einen Konflikt hat, dann ein Abgleiten. Ich sage, nein: Jetzt reden wir nicht über Äußerlichkeiten, sondern jetzt wird diese inhaltliche Sache zu Ende diskutiert. Und das ist mir immer gut gelungen.

    Schröder: Reicht der Appell an die Frauen: Wehrt Euch, lasst es Euch nicht gefallen?

    Kipping: Nein, ich finde auch ganz klar, dass Gewerkschaften und Betriebsräte gefragt sind, hier deutlich sensibler zu werden und das auch mit zu unterstützen, dass man da einen Riegel vorschiebt.

    Schröder: Die Grenze ist ja nicht ganz einfach zu ziehen: Wo endet der Witz, das Kompliment vielleicht auch, und wo beginnt die sexuelle Belästigung? Brauchen wir da klarere Grenzen, klarere Regeln – am Arbeitsplatz oder auch in anderen Bereichen?

    Kipping: Es ist ja immer kontextabhängig, weil – das ist ja ein großes Missverständnis manchmal. Dass Leute denken, die Kritik des Sexismus wäre eine Kritik von einem Flirt oder eine Kritik von dem fröhlichen Umgang miteinander. Sondern das Problem ist ja, Sexismus wird ja dann zum Problem, wenn es mit einer Dominanzgeste verbunden ist, also wenn es eigentlich nicht darum geht, dass man jemandem ein Kompliment macht, sondern wenn es darum geht, eine Hierarchie wieder herzustellen, wo man als Mann so zusagen derjenige ist, der die Ansagen macht und die Frau dann eher in eine untergeordnete Position gedrängt wird. Und das ist das eigentliche Problem, wo dann der Sexismus beginnt.

    Schröder: Die Frage bleibt: Brauchen wir klarere Regeln, etwa wie in den USA? Da ist das ja sehr restriktiv gehandhabt mit Ansprüchen auf Schadensersatz bei sexueller Belästigung.

    Kipping: Man kann jetzt die Rechtssysteme USA und Bundesrepublik nicht einfach eins zu eins setzen. Da tue ich mich schwer, da zu sagen, ja wir müssen das jetzt sofort übernehmen von den USA. Ich finde, ein erster zentraler Fortschritt wäre schon, wenn es eine stärkere Sensibilisierung gäbe und wenn auch die Debatte dazu dient, dass Männer in Führungspositionen einfach ihr eigenes Handeln mal kritisch hinterfragen: Geht es mir jetzt wirklich um den Flirt oder geht es mir darum, in der Öffentlichkeit die Frau eher in eine lächerliche Position zu drücken?

    Schröder: Also dass der Gesetzgeber hier aktiv wird und klarere Regeln festlegt, würden Sie ablehnen?

    Kipping: Nein, das habe ich so nicht gesagt. Da sind wir ja auch noch in der Debatte, wie man das auf Gesetzesebene regeln kann.

    Schröder: Da gibt es ja auch Bedenken. Fürchten Sie auch, dass man dabei über das Ziel hinausschießen kann?

    Kipping: Ich habe einen anderen Ansatzpunkt. Ich glaube, ein Problem für Sexismus in der Arbeitswelt ist ja eher, dass es eine starke Abhängigkeit gibt. Und wir wissen es gerade oder wir haben gehört, dass es gerade in Bereichen, wo es nur befristete Arbeitsverträge gibt, wo die Verlängerung der Arbeitsverträge vor allen Dingen vom Wohlwollen des Chefs abhängt, die Abhängigkeit dann auch dazu führen kann, dass erotische Avancen mit einem gewissen Nachdruck gemacht werden. Und insofern finde ich, ist ein Ansatzpunkt, wenn man dagegen vorgehen will, auch, dass man natürlich in der Arbeitswelt dazu beiträgt, dass es nicht mehr so viele befristete und unsichere Arbeitsplätze gibt. Und das Zweite, finde ich, muss man bereits im Bildungswesen anfangen, zu sagen: Es muss ein Aufbrechen der klassischen Rollenklischees geben. Also auch Lehrmittel müssen daraufhin überprüft werden, ob sie die klassischen Geschlechterrollen eher bestärken oder aufbrechen.

    Schröder: Das wäre langfristig vielleicht wirksam, aber den betroffenen Frauen am Arbeitsplatz zum Beispiel hilft das nicht. Also bleibt es dann doch bei Appellen?

    Kipping: Nein, nicht nur Appelle, sondern eine Veränderung dessen, was Standard ist und natürlich auch eine Frage der Organisierung. Also, man kann ja allen nur empfehlen, die davon betroffen sind, dass es auch eine Organisierung untereinander gibt. Und ich weiß zum Beispiel, in der sozialen Bewegung war es immer gang und gäbe, dass man dort gesagt hat: Es gibt zum Beispiel so anonyme Stellen, an die man sich wenden kann. Und das finde ich, ist auf jeden Fall auszubauen, dass jede Frau, die davon betroffen ist, erst einmal eine Anlaufstelle hat, wo sie sich beraten lassen kann, und zwar anonym.

    Schröder: Was spricht denn eigentlich dagegen, dass, wie in den USA, auch wirklich handfest zu machen, zu sagen: Wenn ein Mann eine Frau belästigt, dann kann das auch zu Schadensersatz führen, weil hier eine Belästigung stattgefunden hat?

    Kipping: Ich habe jetzt gar nicht gesagt, dass ich dagegen bin. Ich finde, da sind wir ja noch in einem Beratungsprozess.

    Schröder: Zurück zu Rainer Brüderle. Einige fordern, er muss sich entschuldigen bei der Reporterin. Würden Sie das unterstützen?

    Kipping: Ja, ich muss mir zum Glück nicht den Kopf der FDP zerbrechen. Wenn ich Imageberaterin bei der FDP wäre, hätte ich ihm gesagt: Es ist so zusagen für ihn mit weniger Imageschaden verbunden, wenn er einfach die Größe hat, sich zu entschuldigen. Aber gut, das ist das Problem der FDP und nicht meins.

    Schröder: Frau Kipping, Sie führen jetzt seit ungefähr einem dreiviertel Jahr die Linkspartei. Sie sind gewählt worden auf einem turbulenten Parteitag in Göttingen, der nach schweren inneren Verwerfungen auch stattgefunden hat. Gregor Gysi hat damals von "Hass in den eigenen Reihen" gesprochen. Ist der mittlerweile überwunden?

    Kipping: Also, was mich sehr freut, ist, dass es uns in dem letzten reichlichen halben Jahr gelungen ist, in der Partei schon eine Stabilisierung zu erreichen. Und zwar zum einen, was die Konflikte intern anbelangt. Natürlich gibt es bei uns unterschiedliche Traditionslinien. Das ist aber auch ein Ausdruck dafür, dass wir ja für unterschiedliche Milieus auch zuständig sind. Und zum Zweiten ist es uns gelungen, in den Umfragen uns deutlich zu stabilisieren. Wir waren damals bei fünf Prozent und so gar da drunter. Und jetzt haben wir uns nach und nach immer nach oben entwickelt, haben uns um die sieben herum stabilisiert. Das ist ein Erfolg. Und drittens ist es uns gelungen, dass wir als Linke immer wieder Themen setzen konnten. Also, wir haben noch stärker die Rolle übernommen, Ideenwerkstatt zu sein, also zum Beispiel die Begrenzung von Dispo-Zinsen, Abwrackprämie für stromfressende Haushaltsgeräte, die Mindestrente. Oder die Finanzpolizei für Steuerflüchtige. Das sind Themen, die auch von anderen Parteien aufgegriffen worden sind. Und das freut uns natürlich, wenn wir die gesellschaftliche Debatte beeinflussen.

    Schröder: Auf die Wahlergebnisse hat sich das aber nicht positiv ausgewirkt in den vergangenen Monaten. Sie sind in Niedersachsen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. In Niedersachsen, in Rheinland-Pfalz, in Baden-Württemberg, also in Westdeutschland, sind Sie außer im Saarland nur noch in Bremen und Hamburg im Parlament. Entwickeln Sie sich da also zurück zu einer Splitterpartei?

    Kipping: In der Tat, die Wahlergebnisse in Niedersachsen waren sehr schmerzhaft für uns und haben uns gezeigt: Es ist sehr leicht, Vertrauen zu verspielen und es dauert deutlich länger, es zurückzugewinnen. Ich telefoniere ja viel, habe auch noch in den letzten Wochen mich noch mal rumgehört. Was mich sehr freut, dass wir auch im Westen in verschiedenen Kommunalparlamenten stark vertreten sind und unsere Leute dort wirklich eine Politik im Zeichen von sozialer Gerechtigkeit machen. Und um nur mal ein Beispiel zu nennen: Im Kreis Wetterau, wenn es da nicht Die Linke gegeben hätte und wenn es da Die Linke nicht gäbe, dann hätte niemand darauf hingewiesen, dass der Mietspiegel überhaupt nicht den realen Mietkosten entspricht.

    Schröder: Aber woran liegt das, dass Sie im Westen einfach keine Wurzeln mehr schlagen können, seitdem sich auch Oskar Lafontaine aus der Bundespolitik mehr und mehr zurückgezogen hat. Fehlt es Ihnen an den Persönlichkeiten dort oder liegt es an den Inhalten?

    Kipping: Wir hatten am Anfang eine Gründungseuphorie. Und jetzt beginnt halt die Zeit der steinigen Parteientwicklung. Das ist ein deutlich längerer Weg. Wie gesagt, der Berg runter ist immer deutlich schneller als der Berg hoch. Und wir sind jetzt wieder auf dem Weg nach oben, aber das ist halt ein längerer Weg.

    Schröder: Das klingt auch ein bisschen nach Ratlosigkeit. Welche Rezepte haben Sie da, um im Westen auch wieder stark zu werden? Denn ohne gute Ergebnisse im Westen sieht es auch für die Bundestagswahl düster aus.

    Kipping: Nun, bei der Bundestagswahl haben wir jetzt kein Problem. Wir sind ja da im bundesweiten Durchschnitt bei sieben Prozent. Und ich glaube und bin mir da sicher, dass es in Ost wie West viele gibt unter den Wählerinnen und Wählern, die wissen: Wenn sie eine Partei wählen wollen, die konsequent gegen Auslandseinsätze ist, dann kann sie ihr Kreuz bloß bei der Linken machen. Oder wenn sie eine Partei wählen will, die konsequent für die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen ist, das ist eine Position, für die bloß die Linke steht. Und wenn man soziale Gerechtigkeit möchte, auch möchte, dass die Durchschnittsverdienenden besser gestärkt sind, dann muss man auch die Hartz-IV-Sanktionen, das System dazu, abschaffen.

    Schröder: Aber die Frage bleibt. Ist die Linkspartei auf dem Weg zu einer ostdeutschen Regionalpartei, also ist die Westausdehnung der Ost-PDS gescheitert?

    Kipping: Ich freue mich oder ich finde es extrem wichtig für diese Gesellschaft, dass es mit der Linken eine Partei gibt, die das Thema zum Beispiel Ostrentenangleichung oder Lohndiskriminierung des Ostens immer wieder auf die Tagesordnung setzt. Wenn es uns nicht gäbe, würde das niemand so stark auf die Tagesordnung setzen. Insofern ist das in der Tat eine Aufgabe für uns. Es ist aber vollkommen falsch, sich jetzt zu sagen, wir wären eine Regionalpartei. Wir sind eine bundespolitische Partei. Und was wir wollen, wie zum Beispiel eine Außenpolitik im Zeichen von "Nie wieder Krieg", eine Sozialpolitik, die halt absichert, dass niemand unter 1.000 Euro fällt – das ist eine zentrale Funktion, die Menschen in Ost und West zugutekommt.

    Schröder: Welche Rolle wird und kann Oskar Lafontaine noch in der Linkspartei spielen?

    Kipping: Das ist kein Geheimnis, dass Oskar Lafontaine mit zu den bekanntesten Gesichtern der Partei gehört und dass er ein hervorragender Wahlkämpfer ist.

    Schröder: Das Interview der Woche mit Katja Kipping, Vorsitzende der Linkspartei. Frau Kipping, Sie haben gesagt, die Linkspartei ist in ein ruhigeres Fahrwasser gekommen. Bei der Nominierung des Wahlkampfteams ist aber doch wieder deutlich sichtbar geworden, dass es noch tiefe Gräben in der Partei gibt. Gregor Gysi als alleiniger Spitzenkandidat war den Fundamentalisten, wenn man das so nennen will, nicht vermittelbar. Gysi selbst wiederum wollte mit Sarah Wagenknecht nicht antreten. Der Kompromiss ist nun ein achtköpfiges Wahlkampfteam, von denen die meisten einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt sind. Das sind keine besonders guten Aussichten für die Bundestagswahl.

    Kipping: Na ja, also ich finde es schon auffällig, dass just Medien, die lange Zeit immer kritisiert haben: Das kann doch nicht sein, dass bloß Männer das Gesicht der Partei prägen. Da müssen Sie als Feministin was tun. Jetzt sind sie die ersten, die sagen: Ach, wir können doch mit mehreren jungen Frauen da stehen. Die sind nicht ganz so bekannt, wie Gregor und Oskar es sind. Und ich finde, das ist ein bisschen widersprüchlich. Ich fand, das ist auch mal ein Zeichen, um einen Gegenpunkt zu diesem Personalkult zu setzen, der gerade herrscht. Ich meine, bei CDU und SPD, da gibt es doch einen Wettbewerb bei den Spitzenkandidaten: Wer kommt am nahesten an hundertprozentige Wahlergebnisse, wer hat den längsten Beifall. Das ist doch eigentlich bloß noch langweilig und ziemlich inhaltlich leer. Und wir haben gesagt: Wir bieten an mit acht Köpfen, die jeweils für ein Kernthema unseres Politikwechsels stehen, also zum Beispiel für eine Energiewende mit Sozialsiegel, für eine friedliche Außenpolitik, für den gerechten Weg aus der Krise und dann für unseren Kampf gegen die Diskriminierung des Ostens.

    Schröder: Aber das Team ist doch letztlich eine Konsequenz, weil die profiliertesten Köpfe der Linkspartei, nämlich Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht, nicht miteinander können.

    Kipping: Ich glaube, wenn die sich verabreden, funktioniert das gut – es ist ein Ausdruck davon, dass wir als Vorsitzende gesagt haben, wir wollen Entscheidungen, die die verschiedenen Teile der Partei klar mitnimmt. Wir haben ja auch eine sehr große Zustimmung im Parteivorstand für diese Lösung gehabt, aber eben auch zu sagen – mir ist schon bewusst, das ist ein Kulturbruch, wie da so bisher Inszenierungen stattfinden. Aber ich will auch noch mal die Frage stellen, wie relevant ist denn diese Personalentscheidung für eine Partei wie die Linke, die weder einen Kanzlerkandidaten noch eine Vizekanzlerkandidatin stellt. Wir haben gesagt, wir wollen mal bewusst ein anderes Zeichen setzen.

    Schröder: Sie selbst sind nicht im Wahlkampfteam. Ist das ein Zeichen der Schwäche oder der Stärke?

    Kipping: Ja, so ist das. In der Medienlandschaft gibt es für Politiker immer nur zwei Kategorien, entweder man ist machtgeil oder man ist total schwach. Ich glaube immer, dass weder das eine noch das andere der Situation gerecht wird. Sowohl Bernd Riexinger, also beide Parteivorsitzende, wie der Bundeswahlkampfleiter, wir haben uns bewusst entschieden, nicht Teil des Spitzenteams zu sein, weil wir gesagt haben, wir haben eine Führungsaufgabe für diese Partei. Wir haben auch in Niedersachsen gesehen, dass der Parteiaufbau etwas länger dauert, als wir uns das gehofft haben. Und wir wollen uns genau auf diese Führungsverantwortung konzentrieren. Und das Schöne ist, dass wir mit guten Leuten breit aufgestellt sind, dass bei uns sich nicht die Vorsitzenden in jeder Situation in die erste Reihe drängeln müssen.

    Schröder: Kommen wir zu den Inhalten. Mit welchen Themen wollen Sie punkten im Wahlkampf?

    Kipping: Also, ein Punkt ist ganz klar. Wir als Linke sind natürlich die Partei, die eine Art Sozialversicherung gegen Sozialabbau darstellt. Und wir sind die Partei, die sich klar dafür einsetzt, dass kein Mensch in dieser Gesellschaft unter die Armutsrisikogrenze fällt. Das liegt ungefähr bei 1000 Euro. Wir sind die Partei, die sagt, wir stehen für armutsfeste, für lebensstandardsichernde Renten. Und in der Außenpolitik sind wir der einzige Garant für eine friedliche Außenpolitik.

    Schröder: Also neue Wohltaten, finanziert durch höhere Steuern. Sie wollen die Steuern für Reiche erhöhen. Wie viel darf denn in Zukunft noch jemand verdienen in Deutschland nach Vorstellung der Linkspartei?

    Kipping: In der Tat finde ich, das ist ja auch regierungsamtlich inzwischen bestätigt, in diesem Land klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Also während die Zahl der ganz Armen zunimmt, wächst auf der anderen Seite das Vermögen einiger Weniger wächst extrem. Und ich wünsche mir schon eine gesellschaftliche Debatte, wo man sagt, das Wievielfache soll denn der Chef eines Unternehmens von dem verdienen, was die Reinigungskraft in dem Unternehmen bekommt. Das ist aber eher eine gesellschaftliche Debatte. Also ich finde schon, ein Manager sollte sich überlegen, wenn er mit einer Million nach Hause geht, wie viel er einer Reinigungskraft zahlt.

    Schröder: Sie selbst haben ja im vergangenem Sommer den Vorschlag gemacht, alles, was über 500.000 Euro hinaus geht, soll der Staat komplett einkassieren. Werden Sie diesen Vorschlag im Bundestagswahlkampf wieder hervorkramen?

    Kipping: Nein. Das war ja kein steuerpolitischer Vorschlag, sondern halt eine Debatte, wo man auch mal zuspitzen muss. Wir haben in unserem Steuerkonzept: Klar, wir wollen dass der Spitzensteuersatz angehoben wird auf 53 Prozent. Das ist sozusagen das, was er zu Zeiten von Helmut Kohl war. Und wir finden, dass über jeden Euro Nettoeinkommen, den man über eine Million im Jahr hat, es eine 75-prozentige Steuer gibt. Aber wohlgemerkt, das ist erst bei jedem Euro, den es über eine Million gibt. Das ist unser Modell. Und ich finde, wenn man ein reiches Gemeinwesen finanzieren möchte, wenn man absichern möchte, dass es gute Schulen, gute Kitas für alle gibt, dass Armut verhindert wird, dann muss man die Millionäre und die Konzerne auch stärker zur Kasse bitten. Und insofern ist die Linke die Partei, die wirklich den Biss nach oben hat. Und das tut dieser Gesellschaft ganz gut, dass es wenigstens eine Partei gibt, die unabhängig ist und die nicht auf der Gehaltsliste der großen Konzerne steht.

    Schröder: Höhere Steuern wollen auch Grüne und SPD. Also so ganz alleine sind Sie mit diesem Vorschlag nicht.

    Kipping: Ja, aber wenn man da genau reinschaut, ist das teilweise in sehr homöopathischen Dosen. Und wie sehr die SPD beispielsweise wirklich unabhängig ist von Wirtschafts- und Konzernlobbys bei einem Spitzenkandidaten, der noch bis vor Kurzem wirklich auf der Gehaltsliste zum Beispiel von Thyssen stand, da möchte ich doch mal ein Fragezeichen dahinter setzen. Zumindest kann ich sagen, die Linke ist die einzige im Bundestag vertretene Partei, die ganz klar versichert, wir nehmen keine Spenden von Konzernen und Firmen an.

    Schröder: Gregor Gysi hat als eine Schwäche der Partei benannt, dass ihr wenig wirtschaftspolitische Kompetenz zugetraut wird. Wie groß schätzen Sie dieses Manko ein? Müssen Sie da noch zulegen?

    Kipping: Also, ich finde, dass wir wirtschaftspolitisch immer gute Vorschläge machen. Aber in der Tat, die Frage ist ja immer so, was man imagemäßig mit einzelnen Parteien verbindet. Und das ist vielleicht auch historisch gewachsen, dass man eher – um ein anderes Beispiel zu nennen: Im Umweltbereich haben wir Vorschläge unterbreitet, wo wir manchmal die Grünen sogar grün überholt haben. Aber trotzdem ist unser Image ein anderes. Insofern, finde ich, ist das ein Punkt, wo wir dran arbeiten müssen. Aber die Veränderung des Images dauert halt ziemlich lange.

    Schröder: Das Thema Sparen kommt in Ihrem Sprachgebrauch nicht vor?

    Kipping: Ja, wenn herrschende Politiker vom Sparen reden, ist ja in der Regel Sozialkürzung gemeint. Und in der Tat, die Linke ist eine Partei, die sich gegen Sozialkürzung wendet und findet, es gibt andere Stellen, wo man sparen kann, zum Beispiel beim Wehretat. Und wenn man den Haushalt ausgeglichen haben will, dann muss man sich auch um die Einnahmeseite kümmern und zum Beispiel Konzerne und Millionäre besser besteuern.

    Schröder: Ein Thema im Wahlkampf wird sicherlich auch die Energiewende sein. Umweltminister Peter Altmaier will die Umlage für erneuerbare Energien einfrieren. Reicht das, um die Energiewende zum Erfolg zu bringen?

    Kipping: Nein, ganz im Gegenteil. Das ist ja total kontraproduktiv, was Altmaier da macht. Und ich glaube, er versucht ja, hintenrum die Energiewende zu sabotieren. Das ist ja eher ein Energiewendesabotageminister. Unser Ansatz ist ein anderer. Wir wollen natürlich eine Energiewende hin zu erneuerbaren Energien. Aber das darf eben nicht bedeuten, dass die Ärmsten kollektiv frieren müssen oder im Dunklen sitzen müssen. Und insofern gibt uns das schon zu denken, wenn mehrere Hunderttausend Haushalte von richtig Stromsperren betroffen sind. Wir haben uns insofern auch informiert, wo sind denn wirklich die Ursachen für die steigenden Strompreise. Und da ist uns aufgefallen, dass einerseits die Strompreise steigen, im Gegenzug aber die Gewinne der vier großen Stromkonzerne extremst sprudeln. Und das passt doch nicht zusammen.

    Schröder: Was wollen Sie tun?

    Kipping: Es gab ja schon mal eine staatliche Strompreisaufsicht in den 90er-Jahren. Und wir finden halt, wenn man bezahlbare erneuerbare Energiestrompreise haben möchte, dann muss man wieder so eine Strompreisaufsicht einführen und man muss bereit sein, sich mit den Stromkonzernen anzulegen. Weil es kann nicht sein, dass Leute im Dunkeln sitzen nur, damit die noch mehr Gewinne haben.

    Schröder: Mehr staatliche Regulierung – ist das auch Ihr Rezept, um den steigenden Mieten beizukommen?

    Kipping: Wir finden in der Tat, Wohnen muss bezahlbar bleiben. Es gab ja früher so eine Faustregel, dass man ungefähr ein Drittel seines Einkommens für die Miete ausgibt. Das ist in vielen Städten überhaupt nicht mehr möglich. Da müssen die Leute viel mehr ausgeben, um überhaupt eine Wohnung sich leisten zu können. Und deswegen haben wir beispielsweise gesagt, im Gesetz muss geregelt sein, alleine die Tatsache, dass es einen Mieterwechsel gibt, also der Vermieter quasi den Wohnungsschlüssel jemand anderem übergibt, rechtfertigt nicht, dass die Kaltmiete erhöht wird. Also die Kaltmiete darf nur in dem Maße steigen, wie es einen Inflationsanstieg gibt.

    Schröder: Gegen steigende Strompreise und Mieten will ja auch die SPD vorgehen, will das im Wahlkampf zum Thema machen. Ist das nicht Ihr eigentliches Problem, dass die SPD mittlerweile auch nach links gerückt ist, sich von Teilen zumindest der Agendapolitik distanziert, auch auf Distanz zur Rente mit 67 geht. Also wird auf der linken Seite der Platz allmählich ein bisschen eng für Sie?

    Kipping: Na, ich freue mich natürlich, dass wir was bewirken mit unseren Argumenten. Und wenn es die Linke nicht als ein sozusagen soziales und linkes Korrektiv bisher gegeben hätte, könnte man die Frage stellen, wo würde dann jetzt die SPD stehen? Also insofern, unsere Existenz führt ja genau dazu, dass bei den anderen Parteien es eine soziale Korrektur gibt.

    Schröder: Im Deutschlandfunk das Interview mit Katja Kipping von der Linkspartei. Frau Kipping, im vergangenen Spätsommer haben Sie eine Annäherung, eine Öffnung hin zu SPD und Grünen eingeleitet. Hat sich das bezahlt gemacht? Ist Rot-Rot-Grün für Sie auf Bundesebene nach wie vor eine Option?

    Kipping: Also, die Linke will die Gesellschaft verändern hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Und deswegen haben wir immer gesagt, wir wollen, dass in diesem Land ein Mindestlohn eingeführt wird, dass Reiche stärker zur Kasse gebeten werden, dass kein Mensch unter 1000 Euro fällt und dass es eine Außenpolitik im Zeichen von 'Nie wieder Krieg' gibt. Und wenn es eine Regierung gäbe, die für so etwas steht, dann sind wir natürlich dabei. Aber wir sagen auch, für uns ist das kein Selbstzweck. Und ganz ehrlich muss ich sagen, gegenwärtig würde ich eher sagen, ist unsere Hauptaufgabe auch darin zu sagen, es gibt Funktionen, die erfüllt nur die Linke und die anderen Parteien nicht.

    Schröder: SPD und Grüne haben auf Ihr Angebot ja ziemlich kühl, um es höflich auszudrücken, reagiert. Also, ist dieser Annäherungsversuch gescheitert?

    Kipping: Man muss ganz klar sagen, dass die SPD ja den Kurs fährt, sie hofft darauf, die Linke komplett auszugrenzen und draußen vorzulassen. Und da kann ich nur sagen, sie haben offensichtlich nichts aus ihrer Agenda-2010-Politik gelernt. Und in der Tat, in einer Zeit, wo … Vollkommen klar, im Wahlkampf stehen Parteien untereinander in Konkurrenz, das ist nicht schlimm. Aber wenn der SPD-Vorsitzende sagt, man möchte uns quasi komplett aus dem Bundestag raustrennen, also uns quasi an die Existenz möchte, dann ist das Maß der natürlichen Parteienkonkurrenz überschritten. Und es ist für uns ein Anlass, über eine Neujustierung unserer Strategie nachzudenken. Nicht im Sinne einer 180 Grad-Wendung, dass wir zurück in die totale Oppositions- und Sektiererecke wollen, sondern natürlich darüber nachzudenken, inwieweit wir womöglich die Spur wechseln müssen, um sozusagen auf die Überholspur zu kommen.

    Schröder: Was heißt 'Spur wechseln'? Also doch nicht Rot-Rot-Grün?

    Kipping: Nein, das heißt, noch mal in unserer Kommunikation deutlicher zu machen, wer die Energiewende mit sozialem Label möchte, der muss bereit sein, sich mit den Energiekonzernen anzulegen. Dafür steht die Linke, und zwar nur die Linke. Wer wirklich sichere und armutsfeste Renten möchte, der muss bereit sein, das Rentenniveau wieder zu heben. Dafür steht gegenwärtig nur die Linke.

    Schröder: Wäre Peer Steinbrück, der Spitzenkandidat der SPD, ein Mann, mit dem die Linkspartei zusammenarbeiten kann?

    Kipping: Ja, Peer Steinbrück hat das ja von sich aus ausgeschlossen. Ich persönlich hätte mir das sehr schwer vorgestellt mit ihm, weil er ist der Mann, der nach wie vor weiterhin zum Beispiel die Hartz-IV-Sanktion richtig findet. Ich glaube, dass seine politische Halbwertzeit nicht ganz so lange ist.

    Schröder: Also eine Wechselstimmung ist im Land nicht feststellbar. Worauf setzen Sie dann, wenn Sie auf Politikwechsel setzen?

    Kipping: Also, ganz offensichtlich sind ja die bisher gestarteten kindischen Abgrenzungsrituale links von Schwarz-Gelb auch eine wirkliche Überlebensversicherung für Angela Merkel, weil es gibt nicht die alternative Option. Und die Personalentscheidung der SPD, Herrn Steinbrück zu nominieren als Spitzenkandidat, hat ja jetzt auch nicht dazu geführt, dass man sagt, da gibt es wirklich eine soziale Alternative zu Angela Merkel, sondern man muss ja eher bei der Geschichte von Herrn Steinbrück Angst haben, dass er noch viel stärker Sozialkürzungen in Krisenzeiten vorantreibt als das womöglich eine CDU macht. Insofern, gegenwärtig sehe ich keine Wechselstimmung, aber es gibt eine Notwendigkeit, dass im Bundestag eine Kraft gibt wie die Linke, die für Positionen steht, die sonst niemand vertritt, nämlich bis nach oben friedliche Außenpolitik und zu garantieren, dass die schlimmste Form von Armut ausgeschlossen wird, also keiner unter 1000 Euro fällt.

    Schröder: Wie neidisch blicken Sie auf die Grünen, die von Erfolg zu Erfolg eilen und denen die Wähler in Scharen zulaufen? Was ist deren Erfolgsgeheimnis? Können Sie davon lernen?

    Kipping: Ja, es gibt denen eher eine gewisse Gelassenheit, weil die Geschichte der Grünen ist ja auch durch mehrere Hochs und Tiefs gezeichnet. Es hat Zeiten gegeben, da sind sie aus mehreren Landtagen rausgeflogen, waren sogar mal aus dem Bundestag draußen. Insofern finde ich, zeigt das eher, dass die Konjunkturen von Parteien manchmal wellenförmig verlaufen. Das stimmt mich gelassener.

    Schröder: Vielen Dank, Frau Kipping, für das Gespräch.

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