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Massnahmen gegen "Armutsmigration"
"Die Bundesregierung schießt mit Kanonen auf Spatzen"

Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf gegen den "Missbrauch von Sozialleistungen" durch EU-Ausländer vorgelegt. Die Kritik aus der Opposition ist groß. Die Caritas urteilt: So würden Vorurteile salonfähig gemacht.

27.08.2014
    Ein Bus von Rumänien nach Deutschland - nun soll es ein Gesetz gegen Sozialmissbrauch durch Zuwanderer aus der EU geben.
    Ein Bus von Rumänien nach Deutschland - nun soll es ein Gesetz gegen Sozialmissbrauch durch Zuwanderer aus der EU geben. (dpa / picture-alliance / Marc Tirl)
    Die Bundesregierung plant verschiedene Maßnahmen. EU-Zuwanderern soll etwa im Fall von Betrug befristet die Wiedereinreise verboten werden. Das Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche soll zudem auf sechs Monate beschränkt werden - außer bei konkreter Aussicht auf Erfolg. Verhindert werden soll außerdem ein mehrfacher Bezug von Kindergeld. Für die Kommunen mit vielen Sozialleistungsbeziehern aus Rumänien und Bulgarien sollen zudem mehr Hilfsgelder fließen.
    De Maizière: nur regionaler Handlungsbedarf
    Die CSU konnte sich mit schärferen Forderungen zunächst nicht durchsetzen. Sie hatte die Debatte mit dem Slogan "Wer betrügt, der fliegt" losgetreten. Innenminister de Maizière sagte dazu am Mittwoch: "Es gibt kein flächendeckendes Problem der Armutszuwanderung aus europäischen Staaten nach Deutschland."
    Regional gebe es jedoch Handlungsbedarf. "Es gibt ein Problem in einigen Regionen, und dort ist es auch erheblich. Es gibt in bestimmten Städten etwas, was dort Arbeitsstrich genannt wird", sagte de Maizière. Für ein, zwei Euro würden die Menschen arbeiten - "alles schwarz, alles illegal". Auch teure Vermietungen völlig verwahrloster Behausungen müssten eingedämmt werden. "Da gibt es einen massiven Missbrauch und Ausbeutung von denjenigen, die hier herkommen." Auch über Scheinselbstständigkeiten werden ausländische Arbeitnehmer ausgebeutet. Seit der vollen Freizügigkeit für bulgarische und rumänische Arbeitnehmer in die EU zu Beginn des Jahres stieg die Zuwanderung an.
    EU-Ausländer in Deutschland

    3,1 Millionen Bürger anderer EU-Staaten haben ihren Wohnsitz in Deutschland (Stand: 31.12.2013, 2012: 2,8 Millionen). Besonders stark nahm die Einwanderung aus Bulgarien und Rumänien zu, allerdings auf niedrigem Niveau: 2004 waren rund 35.000 Rumänen und Bulgaren nach Deutschland gekommen, 2012 knapp 150.000 und 2013 knapp 181.000. Im vergangenen Jahr hatten rund 1,4 Millionen EU-Ausländer in Deutschland einen Job. Unter allen Arbeitslosen in Deutschland machen EU-Ausländer den Angaben zufolge knapp fünf Prozent aus - im vergangenen Jahr waren es 146.000 Menschen.
    Caritas: "Debatte macht Vorurteile salonfähig"
    Opposition und Sozialverbände übten scharfe Kritik an den Plänen. Der Grünen-Sozialexperte Wolfgang Strengmann-Kuhn sagte: "Die Regierung sollte endlich aufhören, Probleme zu bekämpfen, die es nicht gibt." Die Bundesregierung räumt selbst ein, dass sich die "überwiegende Mehrzahl" der EU-Bürger hierzulande an nationales und europäisches Recht halten. Eine Analyse eines Staatssekretärsausschusses zeigt, dass viele EU-Zuwanderer einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. "Selbst die Einwanderung aus Bulgarien und Rumänien ist unterm Strich ein Gewinn für Deutschland", so das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
    "Die Bundesregierung schießt mit Kanonen auf Spatzen", sagte Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland. Missbrauchsfälle seien die Ausnahme. Einwanderung in erwünschte und unerwünschte einzuteilen, sei innerhalb der EU nicht zulässig, so Loheide. "Die allermeisten EU-Zuwanderer kommen nach Deutschland, um zu arbeiten", sagte Caritas-Präsident Peter Neher. Selbstverständlich müsse Missbrauch geahndet werden. Doch dies gelte für alle Bürger. "Die aktuelle Debatte um vermeintliche Armutszuwanderung und das betrügerische Erschleichen von Sozialleistungen durch EU-Zuwanderer macht Vorurteile und Diskriminierung salonfähig", sagte Neher.
    (nch/bor)