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Mecklenburg-Vorpommern
Partei sagt Windkraftanlagen den Kampf an

In Mecklenburg-Vorpommern haben empörte Bürger eine Partei gegen Windräder gegründet. Obwohl ein neues Gesetz sie an der Planung neuer Anlagen beteiligen soll, fühlen sich die Parteigründer nicht ausreichend in die Entscheidungsfindung eingebunden. Der Protest geht weiter.

Von Manfred Götzke | 02.06.2016
    Kühe auf einer Wiese zwischen modernen Windrädern
    In Mecklenburg-Vorpommern geht der Streit um Windkraftanlagen weiter. (Imago / CHROMORANGE)
    Gilbert Schulz zeigt auf den Auslöser seiner Wut, seiner schlaflosen Nächte: 35 Windräder, 120 Meter hoch, drei Megawatt Leistung – neueste Generation. Der Wind bläst, die Rotoren drehen sich im Takt.
    "Man hat bestimmte Wetterlagen, wo man im Haus ein richtiges Wummern hört, obwohl das Fenster zu ist."
    Schulz steht auf einer kleinen Anhöhe mitten in Mecklenburg-Vorpommern, die Seenplatte ist nur ein paar Kilometer weit weg, die Hauptstadt Schwerin zwei Autostunden. Er wohnt im nächsten Dorf, knapp einen Kilometer vom Windpark entfernt. An diesem Nachmittag hat er Olaf Heidebreck und Norbert Schumacher auf den Hügel am Windpark gefahren. Sie sind Parteifreunde der neuen Anti-Windkraft-Partei in Mecklenburg-Vorpommern: "Freier Horizont". Von hier aus ist der Horizont besonders unfrei.
    "Es ist extrem zugebaut worden. Das ist halt auch die große Diskrepanz. Man sieht immer, in den Katalogen wird immer eine schöne Landschaft hingemacht, ein blühendes Rapsfeld und ein, zwei Windräder. Aber das ist nicht die Realität.
    Das ist die Realität, wo 35 Windkraftanlagen dann stehen. Und wir haben ja nicht nur dieses Projekt, hinter dem Dorf soll der nächste Windpark entstehen, auch wieder mit 30 Windrädern - dann wären wir eingekesselt."
    "Es geht ja nicht darum, etwas zu erzeugen, ein Produkt zu erzeugen, das gebraucht wird. Es wird ein hoch subventioniertes Produkt geschaffen, das wir Verbraucher bezahlen und unsere Natur zerstört. Und das wollen wir nicht länger hinnehmen."
    Parteigründung aus Notwehr
    Norbert Schumacher ist Chef der neuen gut 60–köpfigen Partei. Er ist Ende 50, wettergegerbt, von Beruf Tierarzt. Schumacher bezeichnet sich als Naturfreund. Die Partei hat er vor drei Monaten gegründet, aus Notwehr, erzählt er. "Freier Horizont" war vorher eine von zahlreichen Anti-Windkraft-Bürgerinitiativen im Land. Doch die seien von der Politik nicht ernst genommen worden.
    "Wir werden in der Entscheidungsfindung überhaupt nicht einbezogen, das ist eigentlich das Hauptproblem. Es werden willkürlich Kriterien festgelegt, dann wieder geändert – und dann wird hier einfach drauf losgebaut."
    In kaum einem anderen Bundesland ist der Widerstand gegen die Windkraft so groß wie in Mecklenburg-Vorpommern. Hier wurden in den vergangenen Jahren besonders viele Windräder gebaut – zum Teil von windigen Investoren, sogar von einem Bürgermeister, wie Schuhmacher behauptet:
    "Windkraftanlagen kann man ja verpachten, also den Boden dafür und da bekommt man so 60.000, 70.000 Euro pro Jahr. Gerade n der Nachbarschaft, da hat der Bürgermeister im Vorfeld alle Böden dort gesichert und kassiert jetzt nach groben Schätzungen eine Million. Das ist natürlich alles nach einigen Auffassungen legal gelaufen – ja natürlich, hier läuft vieles legal."
    Wie wichtig der Landesregierung die erneuerbaren Energien sind, zeigt sich schon an der Lage des zuständigen Ministeriums in Schwerin. Es liegt direkt neben der Staatskanzlei. Und Christian Pegel, nennt sich nicht etwa Wirtschafts-, sondern Energieminister. Für ihn sind Windräder Symbol einer modernen, ökologischen Gesellschaft, er findet sie schön.
    "Ich finde, diese Anlagen geben mir ein Gefühl, dass wir eine sehr saubere Luft haben, dass wir umweltfreundlich Strom erzeugen, die sich sehr ruhig und gleichmäßig drehen, auf mich hat das eine beruhigende, sehr angenehme Wirkung."
    Viel falsch gemacht
    Dass die Vorbehalte gegen Windkraft in Mecklenburg-Vorpommern größer sind als woanders, kann der 42-jährige SPD-Politiker schon verstehen. Es sei in den letzten Jahren einfach auch viel falsch gelaufen.
    "Wo boshaft formuliert, ein Fonds unter der Überschrift 'ich kam, sah und siegte' vorbei geschneit ist, auf Grundstücken, die er sich vorher organisiert hat, Windkraftanlagen errichtet hat und dann nie wieder gesehen wurde. Und von der Gewerbesteuer in der Gemeinde eben nichts ankommt."
    Problem gelöst?
    Doch der Minister hält das Problem durch das neue Bürgerbeteiligungsgesetz für gelöst. Im April hat der Landtag dieses bundesweit einmalige Gesetz beschlossen, wonach ein Investor alle Bürger im Radius von fünf Kilometern beteiligen muss, will er einen neuen Windpark bauen: 20 Prozent an der Anlage, alternativ: günstigere Strompreise oder gut verzinste Sparprodukte.
    "Die Kommunalpolitiker in den Planungsverbänden, die dort die entsprechende Entscheidungen treffen, haben uns gesagt: Wenn ihr nicht zeitnah dafür sorgt, dass wir vor der Haustür auch was davon haben, dann werden wir langfristig keine Neuausweisung mehr hinbekommen.
    Nicht wenige Kritiker haben gesagt, Windkraft an sich sei gar nicht so ihr Dorn im Auge, aber dass sie hier vor Ort Anlagen hätten und gar nichts davon bliebe, weil selbst die Gewerbesteuer oft schwierig ist und gar nicht ankommt in der Gemeinde, dass sei ein Punkt, der sie ganz dolle störe. Und deswegen sind wir dieses Gesetz vor zweieinhalb Jahren angegangen und zwischenzeitlich sind wir das erste deutsche Bundesland, das so ein Gesetz hat. Das ist im Übrigen in Dänemark seit vielen Jahren schon gibt und das dort gut läuft. "
    Kein überzeugendes Gesetz
    Am Windpark in der Mecklenburger Provinz wird es langsam ungemütlich. Zum starken Wind gesellen sich immer wieder Regenschauer. Die Windkraftgegner fliehen ins Auto. Während der Familienkombi sich durch den schlammigen Feldweg pflügt, diskutieren sie über das neue Bürgerbeteiligungsgesetz. Sie sind nicht überzeugt.
    "Wenn ich in einen Laden gehe, möchte ich entscheiden können, ob ich eine Hose kaufe und nicht welche Hose ich kaufe. Es ist ein unwahrscheinlich kompliziertes Verfahren und dann kommt dazu, dass das eher ein Tor zur Korruption ist."
    Harte Worte – und trotzdem: Sollte die junge Partei "Freier Horizont" im September wirklich in den Schweriner Landtag einziehen, wollen die Windkraftgegner keine Fundamentalopposition betreiben. Wie die Chancen stehen, ist offen. Zu ihrer letzten Veranstaltung im Örtchen Ferdinandshof kamen immerhin 120 Leute, beim Ministerpräsident Selling im Nachbardorf waren es nur 25.
    "Wir wollen uns durchaus auch als Partner einbringen und da sind wir auch unter Umständen zu Kompromissen bereit. Und ein Kompromiss wäre aus unserer Sicht erstmal, ein Innehalten, ein Aussetzen der weiteren Planungen, die ablaufen nach Kriterien, die nach unserer Meinung völlig veraltet sind und die dringend überarbeitet werden müssen.
    "Sind Sie die nette Alternative zur AfD?"
    "Richtig. Sie bringen es auf den Punkt. Aber nett möchte ich uns zwar nicht nennen, aber wir möchten konstruktiv und gestaltend wirken, das ist unser großer Unterschied zur AfD – außerdem haben wir ein bisschen eine andere Meinung zur Einwanderung!"