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"Mehr Netto vom Brutto"

Der Bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer bekräftig seine Forderung nach schnellen Steuersenkungen. "Wenn in den letzten Monaten 500 Milliarden für die Stützung der Banken in Deutschland aufgewandt wurden, dann werden wir doch als Politiker es fertig bringen, dass auch die arbeitende Bevölkerung entlastet wird", so Seehofer. Steuersenkungen würden zudem die Binnenkonjunktur ankurbeln.

Horst Seehofer im Gespräch mit Barbara Roth |
    Barbara Roth: Herr Ministerpräsident, am kommenden Samstag wählt die Bundesversammlung das nächste deutsche Staatsoberhaupt. Wagen Sie eine Prognose? Wird Bundespräsident Horst Köhler wiedergewählt, vielleicht schon im ersten Wahlgang?

    Horst Seehofer: Ich möchte die Prognose stellen, dass er wiedergewählt wird, weil er ein großer, ein einfühlsamer Bundespräsident für alle Deutschen war. Und ich kann sagen, dass die Delegierten der CSU aus Bayern ihn geschlossen wählen werden.

    Roth: 613 Stimmen benötigt Horst Köhler zur absoluten Mehrheit, 604 Stimmen haben Union und FDP, genauso viele wie SPD, Grüne und die Linkspartei. Zünglein an der Waage könnten ja die zehn Freien Wähler aus Bayern sein. Sie als Landsmann werden sich vielleicht am Samstag oft fragen lassen müssen: Kann man sich auf das Votum der Freien Wähler verlassen?

    Seehofer: Die Freien Wähler aus Bayern haben jedenfalls angekündigt, dass sie Horst Köhler wählen werden. Und ich habe bis zur Stunde keinen Anlass, an dieser Aussage zu zweifeln. Aber ich stehe nicht mit den Delegierten in der Wahlkabine.

    Roth: Sie gehen auf Nummer sicher und lassen alle "Paradiesvögel" zu Hause. Auf der CSU-Liste findet sich jenseits der Politik auf jeden Fall kein schillernder Name, wie beispielsweise der der Fürstin von Thurn und Taxis?

    Seehofer: Ja, wir hatten ja bei der letzten Bundesversammlung die Situation, dass von uns benannte Delegierte dann erklärt haben, sie hätten anders abgestimmt. Und es ist ja noch erlaubt, dass man die Lehren aus solchen Erfahrungen zieht. Und deshalb haben wir diesmal eben Delegierte gewählt - und das ist ja das Recht einer politischen Kraft -, von denen man ausgehen kann, dass sie auch unsere Überzeugung mit vertreten, nämlich dass Horst Köhler Bundespräsident bleiben soll.

    Roth: Herr Ministerpräsident, welche Bedeutung hätte denn die Wiederwahl von Horst Köhler für die Union und für das bürgerliche Lager?

    Seehofer: Die Wahl des Präsidenten ist ja die erste große Wahlentscheidung in diesem Jahr, und natürlich wird die Wahl von Horst Köhler einen Rückenwind für das bürgerliche Lager bedeuten. Deshalb ist dieser Tag schon wichtig über die Präsidentenwahl hinaus.

    Roth: Falls Frau Schwan mit den Stimmen der Linkspartei gewählt werden sollte, hätte die SPD dann in Ihren Augen ihre Maske fallen lassen?

    Seehofer: Es ist jedenfalls ein starker Hinweis darauf - wenn sich ein SPD-Kandidat mit Unterstützung der Linken wählen lässt, wenn dies also versucht wird bei der Präsidentenwahl, dass dann der Bevölkerung kaum zu erklären ist, warum dies in einigen Monaten bei der Bundeskanzlerwahl nicht in der gleichen Konstellation erfolgen soll, dass also SPD und Linke zusammenspielen. Und insofern ist das schon eine bemerkenswerte Konstellation und Nachricht.

    Roth: Herr Ministerpräsident, die Wirtschaftskrise beschert uns täglich neue Hiobsbotschaften. Allein die Zahlen der Steuerschätzer machen schwindlig: In den nächsten vier Jahren müssen sich die öffentlichen Haushalte auf Steuerausfälle in Höhe von über 316 Milliarden Euro einstellen.

    Machen Sie sich nicht politisch unglaubwürdig - dieser Vorwurf steht ja im Raum -, wenn Sie angesichts dieser Zahlen von umfangreichen Steuerentlastungen sprechen?

    Seehofer: Es ist ja schon eigenartig, dass jetzt pausenlos Parteitage stattgefunden haben, der SPD, der Grünen, am Wochenende jetzt bei der FDP, da werden zum Teil weitaus größere Programme beschlossen als das, was wir von der CDU vorschlagen. Und diesen Parteien wird komischerweise die Frage nicht gestellt.

    Ich glaube fest daran, dass es uns gelingt, mit einer guten Politik wieder Wachstum in Deutschland herzustellen in überschaubarer Zeit. Und dann müssen wir wissen, wofür wir unsere Wirtschaftskraft einsetzen. Wir wollen alles, was an Spielräumen zur Verfügung steht, für die Zukunft einsetzen - für Bildung, für Forschung, für Innovation, für Steuerentlastung und für Schuldentilgung. Und ich denke, das ist ein in sich geschlossenes Konzept.

    Und dass wir es damit ernst meinen, sehen Sie ja, dass die CSU jetzt in der Wirtschaftskrise trotz anfänglichen Widerstands von SPD und CDU in diesem Investitionsprogramm Steuersenkungen durchgesetzt hat. Und genau diese Stütze der Binnenkaufkraft ist im Moment das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Und so wie die Bundesregierung und die Bundesländer gemeinsam mit den Unternehmen und den Gewerkschaften bisher partnerschaftlich auf diese größte Wirtschaftskrise geantwortet haben, kann man nur sagen, besteht aller Anlass zur Zuversicht, dass wir dieses Tal auch überwinden und wieder zu einer wirtschaftlichen Aufwärtsbewegung kommen.

    Roth: Aber angesichts der gigantischen Neuverschuldung müssen Sie sich ja vorhalten lassen, dass Ihre geplanten Steuerentlastungen weder finanzierbar noch gegenfinanziert sind.

    Seehofer: Unsere klare Verabredung in der Union ist, dass wir eben von dem Wachstum, was eben zu Mehreinahmen der Öffentlichen Hand führt, einen Teil für die Schuldentilgung, damit wir nicht die junge Generation über Gebühr belasten, einsetzen. Und einen anderen Teil für die zeitnahe Steuerentlastung.

    Jetzt muss ich Ihnen sagen: Wenn in den letzten Monaten 500 Milliarden für die Stützung der Banken in Deutschland aufgewandt wurden, wenn 100 Milliarden für Bürgschaften und Darlehen gegenüber Wirtschaftsunternehmen reserviert sind, dann werden wir doch als Politiker es fertig bringen, dass auch die arbeitende Bevölkerung entlastet wird.

    Wir haben ja gerade eine Studie der OECD auf den Tisch bekommen, die eindeutig sagt, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Steuer- und Abgabenlast zu den höchsten im internationalen Vergleich zählt. Und deshalb muss die Strategie der Politik sein, die Menschen, und das sind die Leistungsträger - von Krankenschwestern, Polizeibeamte, öffentlicher Dienst, Mittelstand und Handwerk -, ja von Zeit zu Zeit zu entlasten.

    Das ist schon deshalb notwendig, weil wir ein eigenartiges deutsches Einkommensteuersystem haben: Wenn die Brutto-Einkommen steigen, dann steigt aufgrund unseres Steuersystems tendenziell auch der Steuersatz bei den Bürgern. Deshalb erleben viele, dass das meiste einer Bruttolohnerhöhung weggesteuert wird - buchstäblich - und netto zu wenig bleibt. Und deshalb muss der Kompass lauten: Mehr Netto vom Brutto. Sonst werden die Menschen immer weniger verfügbares Einkommen haben.

    Roth: Sie können aber doch mit gutem Gewissen sagen: Die CSU hat schon Steuerentlastungen, -erleichterungen durchgesetzt, also Erleichterungen, die zum Beispiel zum 1. Juli in Kraft treten - im Volumen ja von immerhin 25 Milliarden Euro. Ist es nicht das eigentliche Problem, dass Sie quasi Entlastungen auf den Weg gebracht haben, die Ihnen aber am Wahltag, also am Tag der Bundestagswahl gar nichts mehr bringen, weil dann der Wähler sie wahrscheinlich vergessen hat?

    Seehofer: Am Anfang standen wir auch da ganz alleine. Wir haben sie durchgesetzt wegen der Konjunktur und auch wegen der Glaubwürdigkeit, weil wir immer gesagt haben: Wenn Parteien über Steuerentlastungen reden, ist der Weg in die Steuerentlastung umso glaubwürdiger, je mehr man davon vor Wahltagen realisiert und sie nicht nur für die Zeit nach der Wahl ankündigt. Und deshalb haben wir es in verschiedene Schritte aufgeteilt, und der nächste Schritt soll eben nach der Wahl erfolgen. Und daran halten wir fest.

    Wissen Sie, wir führen da ja wieder eine ganz eigenartige Diskussion. Sollte denn jetzt die deutsche Politik bis Ende des Jahres 2013 jede Gestaltung einstellen? Wir müssen doch den Menschen eine Perspektive aufzeigen, mit welchen Mitteln wir Deutschland weiter nach vorne führen wollen. Und auf der anderen Seite werden wir uns auch in der Zukunft bemühen, dass diese Gesellschaft ein soziales Gesicht behält. Das heißt, dass Menschen, die sich helfen wollen aber nicht können - wegen Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Behinderung und Alter -, darauf vertrauen können, dass dieser Staat human bleibt, dass die notwendigen sozialen Leistungen auch gewährt werden. Und beides gehört zusammen: eine Politik für das Wachstum und auf der anderen Seite ein soziales Gesicht in unserer Gesellschaft. Meine Partei wird auch in den nächsten Jahren die Schutzmacht für die kleinen Leute bleiben.

    Roth: Die kleinen Leute fragen sich natürlich, ab wann Steuerentlastungen nach der Bundestagswahl? Über welchen Zeitraum reden wir denn? Vom Beginn der Legislaturperiode, oder reden wir davon, dass es Steuerentlastungen geben kann, wenn die Wirtschaft wieder anspringt?

    Seehofer: Die meisten Firmen, mit denen ich rede, die sagen mir: Wir wissen nicht, wie es um die Arbeitsplätze im Herbst dieses Jahres bestellt ist. Andere Firmen sagen mir: Da gibt es Silberstreifen am Horizont. Also, wir sind in einer einzigartigen Situation. Und in dieser Situation möchte ich weniger über Jahre reden, sondern ich möchte darüber reden, wenn wir es leisten können, gerade wenn Wachstum eintritt, dass man dann verbindlich Steuerentlastungen, Schuldentilgung als erste Priorität sieht.

    Deshalb ist der Weg klar: Wir haben jetzt den Impuls gegeben, 25 Milliarden Euro Steuer- und Abgabensenkung, das ist eine Menge. Und wir bleiben auf diesem Pfad. Bisher hat es in Deutschland immer zehn Jahre gedauert, es sind immer zehn Jahre vergangen, bis der Staat die heimlichen Steuererhöhungen, die die Finanzminister eingenommen haben, zum Teil dem Bürger wieder zurückgegeben haben. Und diesen Zyklus wollen wir durchbrechen. Wir wollen eine Beständigkeit in der Entlastung, in der steuerlichen Entlastung unserer arbeitenden Menschen. Das, was wir vor der Wahl sagen, werden wir auch nach der Wahl einhalten.

    Roth: Herr Ministerpräsident, da man in so einer einzigartigen Situation ist, wäre es nicht ehrlicher, die Menschen vielleicht darauf vorzubereiten, dass es finanzielle Einschnitte geben könnte nach der Bundestagswahl, dass vielleicht sogar die Steuern erhöht werden müssen, dass gespart werden muss?

    Seehofer: Sparen ist ein Dauerprozess. Es ist doch nicht so, dass wir jetzt - ich kann das für den Freistaat Bayern sagen - das Geld mit vollen Händen für unsinnige Zwecke ausgeben, sondern wir investieren in Zukunft. Wir investieren auch in wirtschaftlich schwieriger Zeit, und zwar ohne dass wir für dieses Jahr 2009 auch nur einen Euro neue Schulden aufnehmen müssen, in die Hochschulen, in die Lehrer, in die Polizeibeamten wegen der Sicherheit, in die Kinderbetreuung. Das sind doch alles Maßnahmen für die Zukunftsgestaltung.

    Sie können doch jetzt nicht den Gestaltungswillen der Politik einstellen mit der Folge, dass wir in der Zukunft dann die Versäumnisse der Gegenwart reparieren müssen. Deshalb ist sparsames Haushalten mit den Steuergeldern immer notwendig. Aber wenn es große Zukunftsaufgaben gibt - und es gibt keine größere als in die Zukunft unserer jungen Menschen zu investieren -, dann ändert daran eine Steuerschätzung gar nichts. Wir können doch jetzt nicht in Deutschland die Kapitulation ausrufen.

    Roth: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Am 7. Juni ist Europawahl. Die CSU tritt nur in Bayern an, muss aber bundesweit die Fünf-Prozent-Hürde nehmen. Geben Sie mir Recht, wenn ich behaupte, der gefährlichste Gegner der CSU ist der Nichtwähler?

    Seehofer: Jedenfalls ist es die größte Herausforderung, ich würde es nicht schon wieder als gefährlich einstufen. Wir müssen uns um diese Mobilisierung bemühen. Das tun wir auch. Wir kämpfen in diesem Wahlkampf sehr, sehr stark. Ich bin mit meiner Partei sehr, sehr zufrieden. Wir haben sehr gute Leute, wir haben ein sehr gutes Programm für die Europawahl. Und deshalb bin ich eigentlich optimistisch, dass die Bevölkerung uns Vertrauen geben wird, und wir werden alles tun, damit auch möglichst viele Bayern sich an der Europawahl beteiligen.

    Das beste Mittel ist, wenn man in den Pfingstferien unterwegs ist, in Urlaub fahren möchte, sich an der Briefwahl zu beteiligen. Da kann man in aller Ruhe wählen und dann in Urlaub fahren.

    Roth: Herr Seehofer, weil Sie Profil zeigen wollen, treten Sie deshalb mit einem eigenen Wahlprogramm an, also mit einem Wahlprogramm, das eine populistische Forderung, die vielleicht politisch gar nicht so einfach durchzusetzen ist, wie eben die Volksabstimmung, beinhaltet?

    Seehofer: Wir möchten die Bevölkerung näher an Europa heranführen, und dies gelingt nur, wenn wir auf der einen Seite die Menschen stärker beteiligen an diesen Prozessen durch Volksabstimmungen in wichtigen Fragen, auch durch eine Direktwahl der Europaabgeordneten, nicht mehr eine Parteienwahl sondern eine Direktwahl der Persönlichkeiten.

    Das, glaube ich, ist gut geeignet, um mehr Demokratie zu praktizieren, wenn es um Europa geht. Und auf der anderen Seite wollen wir, dass die Entscheidungen, die die Menschen so vor Ort berühren, also lokal und regional, dass diese Entscheidungen nicht in Brüssel, also weit weg, sondern hier in Bayern und in den jeweiligen Städten und Gemeinden und Landkreisen gefällt werden. Also weniger Zentralismus, mehr Regionalität. Dann werden wir auch mehr Interesse in der Bevölkerung für Europa bekommen.

    Das nimmt aber nichts weg von unserer Grundüberzeugung, dass Europa, die europäische Integration, wohl ein ganz, ganz großes Werk in der Nachkriegsgeschichte war und ist. Was den Frieden betrifft, was die internationale Zusammenarbeit betrifft zur Überwindung der Wirtschaftskrise, das geht nur gemeinsam, das erleben wir jetzt gerade, was auch die Bewahrung der Schöpfung angeht. Das sind große Fragen, wo in einer modernen Welt Nationen zusammen wirken müssen und nicht gegeneinander unterwegs sein dürfen.

    Roth: Wird man es dem CSU-Chef, Herr Seehofer, verzeihen, wenn die Christsozialen nicht mehr im europäischen Parlament vertreten sein sollten?

    Seehofer: Ich habe in meinem ganzen politischen Leben noch nie mich mit Geistergeschichten in der Politik beschäftigt. Und weil ich dieses Gespenst wirklich, auch wenn man bescheiden und zurückhaltend ist, so nicht sehe, beschäftige ich mich damit auch nicht. Wir sind gut unterwegs als CSU und ich denke, wir werden auch eine gute Vertrauensbasis der Bevölkerung bekommen.

    Roth: Die Europawahl ist wichtig für Sie, im Herbst die Bundestagswahl: Eigentlich haben Sie ja nur dieses eine Jahr, um die CSU zurück auf die Erfolgsspur zu führen. Wo in der Wählergunst stehen Sie denn im Augenblick?

    Seehofer: Ich registriere viel Wohlwollen in der Bevölkerung, viel Zuspruch. Selbst Gruppen, die Probleme haben, betrachten uns auch als Anwalt zur Durchsetzung ihrer Interessen. Und insofern glaube ich, dass wir zwar nie aufhören dürfen, ein Stückchen besser zu werden, dass wir aber durchaus gut sind. Ich führe keine%diskussionen.

    Roth: In Deggendorf haben Sie sie geführt auf dem Europaparteitag. Da haben Sie von plus drei Prozent gesprochen.

    Seehofer: Schauen Sie, wenn Sie in einem Gesamtzusammenhang die Dinge herstellen: Ich habe dort gesagt, wir haben Anlass zum Selbstbewusstsein, weil wir in der CSU eine beachtliche personelle Erneuerung durchgeführt haben, weil wir den Politikstil ein Stück noch näher an die Bevölkerung herangeführt haben und weil wir auch eine stabile inhaltliche Ausrichtung haben.

    Und dann habe ich hinzugefügt, es besteht aber kein Anlass zur Selbstzufriedenheit. Also Selbstbewusstsein, aber nicht Selbstzufriedenheit, das ist unser Motto. Und dann habe ich mal erläutert, was kann man in einem Wahlkampf eigentlich verändern nach oben und unten? Da wird alles andere weg gelassen, da wird nur über diese Veränderungsrate im Wahlkampf gesprochen. Das ist nun mal so, das weiß man, das erträgt man auch in aller Gelassenheit.

    Roth: Herr Seehofer, von Ihnen stammt auch das Zitat "Die Menschen beschimpfen uns nicht mehr”. Wie habe ich denn das zu verstehen? Dass es schwer ist, das Vertrauen der Menschen für die CSU wieder zurück zu gewinnen?

    Seehofer: Wir leben in einer modernen, aufgeklärten Demokratie. Die Menschen sind wesentlich beweglicher, was den Zuspruch zu Parteien betrifft als in früheren Jahren. Das ist in Bayern jetzt auch der Fall. Wissen Sie, ich erzähle halt manchmal, dass die Ortsvorsitzenden jetzt motiviert sind. Und sie begründen es mir gegenüber, dass es einfach wieder Freude macht, in die Fußgängerzone zu gehen, auf die Menschen zu zugehen, weil das, was sie von den Menschen hören und was zurück kommt, eben entschieden positiver ist, als noch vor einigen Monaten. Trotzdem gilt auch hier, zurücklehnen wäre falsch. Man muss in modernen Wahlen bis zum letzten Tag offen sein für die Bevölkerung.

    Roth: Sie setzen auf Profil schärfen, vor allem in Berlin. Sie nehmen ja für die CSU in Anspruch, die treibende politische Kraft zu sein. Sie gehen auch keinem Konflikt aus dem Weg, auch nicht mit der großen Schwester, und müssen sich als unberechenbar bezeichnen lassen. Sie gelten als Querulant, als Krawallmacher, als Streithansel. Ärgert Sie das?

    Seehofer: Überhaupt nicht, denn wir haben zwei Dinge. Das Eine ist, jede Initiative, die wir in Berlin eingeleitet haben, war erfolgreich, von der Erbschaftssteuer über die Einkommensteuersenkung bis hin zum Einbau der Schuldenbremse. Und zum Zweiten, wenn es um die Anliegen der bayerischen Bevölkerung geht, ist es ja geradezu meine Pflicht, in Berlin dafür zu sorgen, dass wir diese bayerischen Anliegen auch durchsetzen.

    Roth: Also erst Bayern, dann Deutschland?

    Seehofer: Ja, in meiner Funktion als bayerischer Ministerpräsident habe ich einen Eid darauf geschworen, Schaden von Bayern abzuwenden. Und wenn ich mit Nachdruck für die Durchsetzung dieser Ziele kämpfe, dann ist dies meine Pflicht. Und insofern, wissen Sie, mir sind so viele Etiketten schon aufgeklebt worden: Da ist man mal entscheidungsschwach, dann ist man wieder zu stur, dann ist man zu wankelmütig, dann ist man in der Achterbahnfahrt, dann ist man ein Herz-Jesu-Sozialist, dann ist man der letzte Blümianer. Mit der Realität hat das immer wenig zu tun, aber ich verstehe auch die Medien. Ein gewisser Unterhaltungswert muss ja auch in der Politik gegeben sein.

    Roth: Herr Seehofer, für die Bundestagswahl im September gibt es eine einfache Rechnung: 40 Prozent auf Bundesebene erreicht die Union nur, wenn die CSU in Bayern für mindestens 50 Prozent sorgt. Trauen Sie sich denn im Herbst bereits 50 plus X zu?

    Seehofer: Sie kommen jetzt aus einer anderen Himmelsrichtung auf das gleiche Ziel zu, nämlich eine%diskussion zu führen. Ich halte es für möglich, dass die Union auf Bundesebene die 40 Prozent erreicht. Es gibt ein paar andere Parteien, die sind im Moment ohne Zweifel zu hoch taxiert, die haben Windfall Profits. Dazu zählt zum Beispiel die FDP, die wird real die Umfrageergebnisse nach menschlichem Ermessen nicht erreichen. Und wir können uns selbst auch noch steigern. Wir sind jetzt je nach Umfrage so bei 36, 37, bei manchen auch höher. Das ist also schon ein Gap, eine Lücke zu 40 Prozent, die durchaus durch Engagement, durch gute Politik, auch visionäre Vorstellungen von der Zukunft - Vision ist immer die Vorstufe zur Realität - erreichen können.

    Roth: Schwächelt nicht auch die große Schwester? Muss sich die CDU nicht in Ihren Augen auch besser positionieren?

    Seehofer: Wir weisen jetzt da nicht gegenseitig Defizite zu. Jeder soll für sich das Optimale erschließen. Wir tun es für uns, wir haben mit der CDU gesprochen, natürlich die CDU für sich. Ach, da bin ich guten Mutes.

    Roth: Herr Ministerpräsident, Sie haben von Anfang an erklärt, sich an Wahlergebnissen messen lassen zu wollen, und der Erfolg - ich zitiere Sie - manifestiert sich an der Wahlurne, sonst nirgendwo. Muss ich denn das so verstehen, dass Sie im Fall von Misserfolgen bei den beiden Wahlen die Konsequenzen ziehen?

    Seehofer: Zu der Aussage stehe ich, da habe ich überhaupt nichts zu korrigieren. Aber Misserfolg können Sie jetzt nicht prognostizieren, sondern jetzt warten wir mal ab, wie die Wähler entscheiden. Und dann schauen wir uns das an. Und dann, glaube ich, macht die Frage einen Sinn, so oder so. Also, ich bin weder in einer Drucksituation noch in einer Angstsituation. Angst kenne ich in der Politik ohnehin nicht, sondern man darf da durchaus ein Stück gelassen auf diese Dinge zu steuern. Da habe ich schon ganz andere Herausforderungen erlebt.

    Roth: Herr Seehofer, angenommen, das Jahr 2009 verläuft so, wie Sie sich das vorstellen, dann können Sie ja erst mal ein paar Jahre durchatmen - bis ins Wahljahr 2013. Dann muss sich die CSU erst wieder Wahlen stellen. Sie können also in der Zwischenzeit Ihre Nachfolge regeln. Sie haben ja auch das Regierungspersonal der CSU radikal verjüngt. Ich nenne Bundeswirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg, den bayerischen Umweltminister Markus Söder oder Finanzminister Georg Fahrenschon. Wer kommt denn in Frage?

    Seehofer: Wahrscheinlich ist es jetzt nicht klug, überhaupt einen Namen zu nennen, aber es sind zwei Hände voll, die man sich vorstellen kann für höchste Ämter in Partei und Staat. Und ich bin froh, dass wir uns jetzt personell so erneuert haben, dass wir für die Zukunft starke Persönlichkeiten haben. Wechsel jetzt auf das Jahr 2013 auszustellen, das wäre mehr als kühn. Die müssen sich jetzt halt auch im Alltag und immer wieder bewähren. Und das können wir in Ruhe abwarten. Wir haben jedenfalls eine sehr, sehr gute Ausstattung.

    Roth: Wann planen Sie nach 2013 den Stabwechsel?

    Seehofer: Wir brauchen jetzt nicht den Stabwechsel planen. Ich habe eine Verantwortung übernommen in der Partei, in der bayerischen Regierung. Und Sie können nicht, wenn sie wenige Monate im Amt sind, sich Fluchtwege aufbauen, so schwer die Themen auch sind und so groß die Aufgaben auch sind, die einem täglich begegnen. Aber ich muss neben der Erfüllung meiner Aufgaben und der Verantwortung auch sehen, dass wir ein Stück Zukunft vorbereiten.

    Ich habe immer die Politiker besonders bewundert, die es geschafft haben, um sich herum ein starkes Wurzelgeflecht an Personen zuzulassen. Wir haben jetzt eine Menge solcher starken Leute, aber ich stelle mir nicht jeden Tag die Frage, wer von denen kann mir jetzt gefährlich werden.

    Roth: Franz-Josef Strauß gilt als Ministerpräsident, der Bayern modernisierte. Die Regierungszeit von Edmund Stoiber lässt sich wunderbar mit dem Slogan "Laptop und Lederhose", also Zukunft und Heimatverbundenheit, umschreiben. Und Günter Beckstein hat die CSU in die erste große Niederlage geführt. Was glauben Sie, werden die Bayern einst mit Ihrem Namen verbinden?

    Seehofer: Ja, im Moment kann ich nur vom Status quo ausgehen. Im Moment war sehr viel Krisenmanagement dabei, von der Landesbank bis jetzt zur Firma Schaeffler, vielen mittelständigen Unternehmen. Aber auf der anderen Seite haben wir trotz diesen Krisenmanagements die Tür weit aufgestoßen auch für die Zukunft.

    Wir haben alle politischen Ziele, die wir uns vorgenommen haben, um Bayern gerade auch sozial, wirtschaftlich und auch human in eine gute Zukunft zu führen, eingeleitet; zum großen Teil sogar schon erfüllt. Wir haben keine Abstricke gemacht bei den großen Zielen, die wir uns gestellt haben.

    Ob dies ausreicht zur Definition einer Epoche, weiß man in der Aktualität nie. Meistens zeigt es erst die Geschichte, also in der Rückwärts-, in der Expost-Betrachtung. Aber ich habe mich manchmal gefragt, wie Franz-Josef Strauß' Äußerung, der Ministerpräsident hätte das schönste politische Amt auf dieser Erde, denn zu verstehen war.

    Denn es waren sehr, sehr viele verantwortliche und schwierige Entscheidungen jetzt in den letzten Monaten. Aber was schön ist, ist die Begegnung mit der Bevölkerung. Wahrscheinlich hat es auch Franz-Josef Strauß so gemeint.

    Roth: Herr Ministerpräsident, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Seehofer: Danke.