Sonntag, 19. Mai 2024

Archiv


Mein Esel Bella oder wie ich durch Deutschland zog

Schon etlichen Tieren aus der langen Kette der Wesen hat der Mensch ein literarisches Denkmal gesetzt: Reinecke Fuchs, dem Kater Murr und dem weißen Wal Moby Dick oder den feurigen Rasse-Rössern Hatattitla und Rih, jedem Karl-May-Leser wohlvertraut ­ eine Reihe, die sich problemlos fortsetzen ließe. Zum Beispiel mit der Erzählung "Reise mit einem Esel durch die Cevennen" des "Schatzinsel"- und "Dr. Jekyll und Mr.Hyde"-Autors Robert Louis Stevenson, die, 1878 in England erschienen (und hundert Jahre später auch bei uns), im Moment auf deutsch leider nicht verfügbar ist. Das ist schade, denn an Stevensons Eseltour hat sich der in München geborene und in Berlin lebende 40jährige Journalist Lorenz Schröter orientiert ­ nach dem überzeugenden Motto: Abenteuer statt Lohnsteuer. Herausgekommen ist ein schmales, sehr komisches, trauriges und kluges Buch, soeben veröffentlicht ­ ein Buch, das die Menschheit - jedenfalls die deutschsprachige ­ mit einem weiteren bewegenden Dokument über die wortlose Freundschaft zwischen Mensch und Tier beschenkt. Titel des ungewöhnlichen Werkes: "Mein Esel Bella oder Wie ich durch Deutschland zog".

Thomas Palzer | 31.07.2000
    Mahnt es schon: Hinter der Eselapologie steckt eine Reiseerzählung freilich eine, die - wie der an zeitgemäßen Kommunikationstheorien geschulte Autor bemerkt -, ihren Reiz darin findet, daß sie durch ein neues Medium erlebt wird nämlich vom schaukelnden Rücken eines Esels aus. Eine solcherart unternommene Reise wirke, wie es im Text heißt, als "ob man durch ein buntes Glas schaut".

    Quer durch Deutschland, vom Rhein bis an die Elbe, reist Lorenz Schröter mit seinem Esel dem zottigen Tier ein stets warmherziger, manchmal auch kopfschüttelnder, selten aufgebrachter Freund. Seite an Seite erwandern Bella und der Autor die Welt zwischen Horbruch, einem Kaff im Hunsrück, und Friedensweiler, irgendwo an der Elbe hinter Magdeburg. Dazwischen liegen Hunsrück, Westerwald, Taunus und Harz, liegen Buchholz, Boppard, Neuhäusel, Holzappel, Arfurt, Tiefenbach, Gisselberg, Neustadt in Hessen, Hauptschwenda und andere Orte, deren Namen, wie wir sofort zugeben, in den allermeisten Fällen noch nie gehört haben. Wir kennen Deutschland aus einem anderen, schnelleren, abstrakteren Blickwinkel aus, von Autobahnen wie der A7 oder A8, von Schnell- und Umgehungsstraßen oder vom trägen Blick aus dem Fenster eines ICE. Der Autor schreibt:

    "Es geht um das Erlebnis einer Reise. Wenn jemand Rio de Janeiro sehen will, steigt er in ein Flugzeug und ist zwanzig Stunden später da. Dann fliegt man ieder zurück und hat Rio gesehen. ... Wer mit dem Auto oder der Bahn fährt, sieht die Landschaft so ermüdend vorbeiziehen, als ob er träumend in einen tiefen Schacht fällt, und um einen flirrt die Umgebung, Geschwindigkeit verwandelt die Landschaft in eine Tapete."

    Diese Haltung erinnert an die des legendären Spaziergängers von Syrakus, der zu Fuß nach London marschierte. Er verteidigte den Schritt als das humane Maß der Fortbewegung. Schon im Morgenlicht beginnender Industrialisierung, also lange vor Concorde und Consorten, war das aufziehende Unheil spürbar, war erahnbar, daß der Transport durch Maschinen einen Angriff auf das Biotop menschlicher Existenz darstellt. Heute bewegen wir uns gewissermaßen berührungslos durch Raum und Zeit, erreichen bequem fast jeden erdenklichen Ort der Erde; aber der Preis dafür ist die Einebnung und die zunehmende Gleichförmigkeit der Welt. Der Raum ist eben nicht bloß lästig und darum etwas, das überwunden gehört, er trägt vielmehr seine Bedeutung in sich. Wer den Raum vernichtet, vernichtet den Sinn von Bewegung.

    Vor diesen Hintergrund, der weniger einen antizivilisatorischen Affekt bbezeugt, denn eine charmante, in den Gehwerkzeugen und nicht der Theorie verankerte Lebensklugheit, hat sich Schröter dafür entschieden, Deutschland langsam zu erwandern und tatsächlich schafft man mit Langsamkeit den größtmöglichen Abstand zu einer Welt, die von Dynamik, Hochgeschwindigkeit, Flexibilität und Abstraktion geprägt ist. Mal absolvieren der Autor und sein lichtbrauner Begleiter das erstrebte Tagespensum mit bohèmistischer Leichtigkeit, mal verirren sie sich im Wald oder laufen im Kreis; mal trottet der Autor neben seinem Esel gedankenversunken dahin, mal reitet er auf dem Tier; und dann wieder marschiert er seinem Gefährten tapfer voran, wenn dieser sich lustllos zurückfallen läßt oder sich sogar trotzig weigert, überhaupt noch einen Schritt zu tun.

    Pons asini die Eselsbrücke. Die Herkunft dieses Begriffs aus einer Lebenswirklichkeit, die längst vergangen ist, muß der Autor mehrfach leidvoll erfahren: daß ein Esel tatsächlich niemals eine Brücke überquert. Natürlich geht es bei der Reise mit dem Esel durch Deutschland auch um "Selbstfindung", doch das, was der Autor da in sich findet, hält er dem Publikum schlau verborgen, drängt es ihm jedenfalls nicht auf um stattdessen und buchstäblich en passent ein Bild des gegenwärtigen Deutschland zu liefern bizarr, traurig, zum Weinen komisch. Es geht um ein Deutschland, das mit Sporttaschen schlenkert, das mit GTIs und BMWs über Parkplätze kurvt, das ordnungssüchtig seine Buchsbaumhecken stutzt, das in jedem Gasthaus unvermeidlich mit Schnitzel und mürrischen Rauchergrüppchen aufwartet, das seine Tiere an Verfettung sterben läßt, das raucht um ein Land, in dem die Spießer-Idyllen gedeihen und in dem man sich mit dem Bügeln der Tischdecke mehr Mühe macht als mit dem Kraut- und Rübensalat. Fazit: Nichts für Brillenfreunde, notorische Avangardisten, Schlaumeier und Freunde des Raunens: für alle anderen sehr empfehlenswert.