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Bettine von Arnim: "Letzte Liebe"
Bettines Briefwechsel mit einem Jüngling

Was Goethe einst für Bettine von Arnim gewesen ist, ist die über 50jährige nun dem Studenten Julius Döring: Mentorin, erotische Gespielin, Karriereplanerin. Es entspinnt sich ab Januar 1839 ein schwärmerischer Briefwechsel, der jetzt erstmals in der Schmuckausgabe der Anderen Bibliothek veröffentlicht wird.

Von Katharina Teutsch | 08.09.2019
Bettine von Arnim, "Letzte Liebe"
Bettine von Arnims Briefband "Letzte Liebe" (Cover: Die andere Bibliothek / Foto: British Museum)
"Begnadete, gebenedeite hätt ich beinah geschrieben. – Gleich hier im Anfang trat eine lange Pause ein in der Musik meiner Gedanken, die an Ihr Ohr klingen wollte. In dieser Pause war es mir als träte der Verstand der uralte Philister, in meine Stube. Ich habe den Mann nicht gern; aber er ist mir unentbehrlich; denn er weiß Alles, was ich nicht weiß. Nun, der kam im dicken Flausrock und doch frierend, stellte sich an den Ofen und fragte; was machst du da? Ich schreibe einen Brief. – An eine unbekannte Bekannte."
Die unbekannte Bekannte, an die der Jurastudent Julius Döring im Januar 1839 aus Berlin einen sehr ausführlichen und sehr schwärmerischen Brief schreibt, ist keine geringere als die Schriftstellerin Bettine von Arnim. Vier Jahre zuvor war "Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde" veröffentlicht worden. Das tollkühne Werk eines philosophierenden Dichter-Groupies galt den einen als skandalös. Den anderen als hochmodern. Julius Döring bekennt in seinem ersten Brief an Bettine, dass er darin sein neues Evangelium gefunden habe. Denn wie Bettine so haderte auch Julius Döring mit einer autoritären Kirche. So wie sie, kann er nichts anfangen mit der lustfeindlichen Rede der Frömmler. Die Welt sei ein Jammertal, sagen die! Aber kann das sein? Das Kreuz um seinen Hals ziehe ihn jedenfalls mehr nieder, als dass es ihn aufzurichten vermöchte. Wie Bettine ahnt auch Julius, dass die Welt der Dichtung dem Zweifler eine Offenbarung sei. Dann fällt ihm in Halle Bettines Buch in die Hände. Die Ikone der Romantik predigt darin in Dialogform den Bund zwischen Geist und Natur – und sie ist auch dem Fleischlichen am Geistigen nicht abgeneigt. Goethe ist das erotische Zentrum ihrer Überlegungen:
"...nun flog ich ihm an den Hals ... ich schlief an seiner Brust ein; und da ich aufgewacht war, begann ein neues Leben."
Das wiederum leuchtet dem jungen Julius Döring unmittelbar ein:
"Wie mich die Welt mit wunderbaren Augen ansah! So frisch! So schön! Ewige Jugend! Unerschöpfliche Fülle! Das Sinnliche geistdurchhaucht! Das Geistige Welt geworden und voll Inbrunst mit allen Sinnen empfunden und ins menschliche Herz aufgenommen zu werden. – Nicht einen Augenblick zweifelte ich an der Wahrheit Ihrer Liebe zum Dichter."
Zusammen sind sie Antiphilister
Jeder Mensch hat seinen Erlöser. Bettine wurde einst von Goethe erlöst und in ein höheres geistiges Dasein initiiert. Und nun, das erhofft sich der schüchterne Rechtsstudent, soll die um dreißig Jahre ältere Bettine ihn erlösen.
Eines der wichtigsten Feindbilder auf dem Weg dorthin ist die Figur des "Philisters". Philister wird im gesamten Briefwechsel von 1839 bis 1846 die neben dem Wort "Geist" am häufigsten verwendete Vokabel sein. Immer und immer wieder gilt es, sich vom Joch der nützlichkeitsorientierten Philisterkultur zu befreien. Julius soll Jurist werden. Fühlt sich aber zu poetischer Schöpfung berufen. Bettine ist Julius hierin Vorkämpferin, Muse, Seelenverwandte. Zu Beginn freilich noch aus höflicher Distanz.
Seinen Januar-Brief eröffnet der damals 22-jährige mit der Anrede Gnädige Frau! Und beendet ihn mit einem Pseudonym aus der nordischen Mythologie. Ingurd nennt er sich. Und damit ist der Ton zwischen dem Studenten und der Society-Dame etabliert. Einerseits wird ergebenst die Ungleichheit der Briefpartner betont: Alter, Stand und Status trennt sie voneinander. Andererseits sind Bettine und Julius aus dem gleichen Holz geschnitzt: Das Streben nach einer höheren Wahrheit im Medium der Dichtung macht sie zu Gleichen unter Ungleichen. Zu Antiphilistern. Sichtbar geschmeichelt davon, dem jungen Mann ein Role Model zu sein, antwortet Bettine nur wenige Tage später:
"Sie schreiben mir dass Sie weder Hochwohl noch Wohlerzogen seien, und fürchterlich Unhöflich sein können; Auch ich bin auf Erziehung nicht angewiesen sondern auf Natur, von der ich jedoch nicht wie Sie mit Der Waffe Der Unhöflichkeit begabt, mich genöthigt fühle mit Höflichkeit um den Sieg zu ringen."
Döring ist von dieser Antwort verzückt. Die große Bettine nimmt ihn als Briefpartner nicht nur ernst. Sie sucht mit ihm die Augenhöhe. Auf der Ebene ihres Existenzbegriffs sind sie ebenbürtig. "Werden Sie mich nun als Jünger der neuen, unsichtbaren Kirche aufnehmen?", fragt Döring jetzt ehrfürchtig. Und fügt an:
"Ich weiß gewiß, dass Sie mir antworten werden. Sie haben ja auch einst die Schmerzen des Alleinseins gefühlt, und ich habe Keinen, dem ich so vertraue, wie Ihnen. – Sie sollen mich ganz, und für Sie durchsichtig erblicken. Die letzte Maske falle von Ihrem Waffenträger und Jünger J. Döring."
Anleitung zur Selbstverwirklichung
Nun ganz in die Rolle der Gönnerin gedrängt, rügt Bettine den jungen Galan sogleich. Sie will ihm eine Lehrerin im Gebären des eigenen Genius sein. Heute würde man vermutlich sagen: ihn zur Selbstverwirklichung anleiten. Ihm zu predigen ist ihr zu gering. Sie will ihn in Gang setzen!
"Denken Sie wie das Licht sich nur durch sich selber bricht, so fühlt auch der Geist, sich nur Durch sich selber. Also dem Gefühl Ihres eigenen Geistes gehen Sie nach, und alles andre suchen Sie nicht, wenn es nicht von selber auf Sie zukömmt das ist auch ein Vorurtheil dass Sie wollen Durch mich ans Licht geboren werden, Sie müssen sich selber ins Licht erzeugen."
Wenig später gibt sie aber zu, dass die Sache für sie durchaus nicht nur geist- sondern auch lustbetont ist. Nach einer kleinen Missstimmigkeit schreibt sie unumwunden:
"Du bist mir wieder gut, ich mag deine Gunst nicht wieder verscherzen, und will mich zusammennehmen dass ich einst sagen kann, der ist mein! – Das reizt mich.
Döring, der im Laufe dieses Briefwechsels zwischen 1839 und 1846 immer unabhängiger wird, gibt sich anfangs noch devot. Er kündigt Bettine im nächsten Brief an, sich "wie eine Trauerweide", sehnsüchtig hinab zum "klaren See ihres Geistes" zu beugen. Ab da regieren die Metaphern. Es ist die Zeit der Spätromantik. Die Zeit der Blauen Blume. Und so liefern sich Bettine von Arnim und ihr Verehrer aus Wolmirstedt bei Magdeburg einen philosophisch-theologischen Schlagabtausch in Tropen:
"Sie haben mir neuen Muth gemacht, den Tempel meines Herzens wieder herzustellen."/ "Du wolltest nur zu mir hingehen, an Den Ort wo der offne Kelch deines Herzens zufällig einen Thautropfen auffing der vom Frühlingswind mit süssem Saamenstaub geschwängert."/ "Und doch, welchen Köder werfen Sie dem scheuen Vogel vor: mit Ihnen allein zu sein, vor Ihnen sich aussingen zu dürfen!"/ Wüßten Sie, wie Ihre Blumen allein im Garten meines Herzens blühen und duften! Aber die blaue Blume, die letzte: ich weiß nicht, sollt’ ich sie pflanzen, sollt ich sie auf der Brust tragen? Sie duftet mir, wie ein Märchen."
Schon wenige Wochen nach Dörings unerhörter Kontaktaufnahme ist man beim vertraulichen Du angekommen. Blaue Blume hin oder her. Jetzt wird Klartext gesprochen. "Wann darf der Student kommen?", fragt Döring unumwunden am 14. März. Vier Tage später antwortet Bettine etwas zerknirscht:
"Lieber Blonder! – zu Füssen wolltest Du mir fallen und dann ans Herz? – Ach! – frühere Gelübde verhindern dies. – Wie gerne wollt ich sonst!
Acht Jahre zuvor war ihr Gatte Achim von Arnim verstorben. Bettine fühlt sich an ihr Treueversprechen gebunden – und ziert sich. Nach mehreren Besuchen Dörings im März 1839 geht man allerdings zielstrebig zu Zärtlichkeiten über. Der Romantikforscher Wolfgang Bunzel, dem diese erste vollständige Publikation des Briefwechsels unter dem Titel "Letzte Liebe" zu verdanken ist, zitiert Bettine von Arnim im Nachwort. Sie habe im März 1839 einer Bekannten im hessischen Idiom ihrer Herkunft mitgeteilt: "Sehe Sie mir nichts an? Ich hab’ mich soeben in eine Studente verliebt."
"Dichter laß mich sein!"
Am 21. März ist Julius Dörings Abreise aus Berlin geplant. Er soll seine juristische Ausbildung in Magdeburg fortsetzen. Die frisch gebackenen Schwärmer müssen sich also schon wieder voneinander trennen. Deswegen überreicht Bettine ihrem Verehrer einen Ring mit Gravur. Damit wiederholt sie eine in "Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde" festgehaltene Szene. Der greise Poet verehrt der blutjungen Bettine – damals noch Brentano –– einen Ring zum Zeichen seiner Wertschätzung. Jetzt wird auch zwischen Bettine und Julius ein Pakt besiegelt. Allein im Jahr 1839 werden 60 der insgesamt 97 erhaltenen Briefe zwischen den beiden hin und her gehen. Nachdem die ersten beiden Etappen genommen sind – die der Anbahnung und die der Eroberung – steuert Julius sein innerstes Ziel an: der vorbestimmten Philisterkarriere durch eine gelingende Dichterkarriere zuvorzukommen.
"Dichter laß mich sein und werden; nur in der Welt der Dichtung fühl’ ich mich heimisch; sie hat auch eine Wahrheit, wenn sie der gemeine Verstand auch nicht ahnt und begreift."
Bettine soll ihm dabei helfen. Und so liegen Dörings Briefen etliche mehr oder weniger gelungene Verse bei. Die Bettine weitgehend unkommentiert lässt. Wenngleich sie sich ansonsten redlich bemüht, den jungen Verehrer in die literarischen Kreise der Zeit einzuführen. Etwa durch eine gemeinsame Reise zu den Brüdern Grimm nach Kassel im Sommer 1839. Wilhelm Grimm bereitet gerade die Gesamtausgabe sämtlicher Werke Achim von Arnims vor und kann unter Umständen Unterstützung gebrauchen. Eigentlich, so Wolfgang Bunzel, diente diese Reise aber vor allem dazu, den Bund zwischen den Liebenden zu vertiefen. Bonny-und-Clyde-artig reisen sie auf heißen Kutschenrädern durchs Land. In einem Brief an Karl Hartwig Gregor von Meusebach schreibt Bettine später:
"In Magdeburg kam ich (...) an, (nachdem) (...) ich die Nacht durchgereist, gabelte am anderen Tag zwei Stunden von da einen jungen deutschen Sprößling auf, entführte ihn dem Philisterthum des Gerichtspersonals allwo er Referendenstelle vertritt, und fuhr bei geöffneten Fenstern und aufgesperrten Mäulern der guten Stadt Wolmirstädt mit dem entführten Liebling davon."
Doch Julius Döring sollte nicht der einzige Liebling der berühmten Romantikerin bleiben. Ab Herbst 1839 kommt es zu offenen Rivalitäten zwischen dem Fabrikantensohn Philipp Nathusius, zu dem Bettine ein ähnliches Mentorinnenverhältnis pflegt. Ihm ist anders als Döring die höhere Geburt in die Wiege gelegt. Und schon ein recht beachtliches literarisches Debüt gelungen. Und nun verlangt Bettine auch noch, dass die beiden sich verbrüdern mögen. Als Bettine zur Klärung der Verhältnisse Julius Döring die Abschrift eines langen Briefs an Nathusius zukommen lässt, klagt dieser recht nachfühlbar:
"Als ich meinen kleinen Brief betrachtete und die vielen Bogen des andern sah: da machte mich der Gedanke eigen traurig, dass du mit einer Feder, die du an einem Andern abgeschrieben hattest, einen Brief an mich anfangen konntest."
Als die geliehene Briefkopie erst mit einer Verspätung von vier Wochen wieder an Bettine zurückgeht, ist die Mentorin fuchsteufelswild. Sie zeigt sich enttäuscht von ihrer Schöpfung. Eifersucht, welch niederer Affekt! Die Entwicklung passt ihr nicht.
"Der Philipp der nie mich um Liebe gebeten hat, nie mir welche geschenkt, nur von mir forderte, ich solle mich um dies und jenes bekümmern was ihn angehe der Dies schon 4 Jahre so mit mir macht, der hat mir vom 20ten an wo er auch meine Epistel erst erhalten, zum wenigsten 4 Mal geschrieben."
Es klingt wie eine Warnung, wenn sie Döring dann noch wissen lässt:
"...diese ganze Welt die ich mir noch aneignen werde noch ausser dem Philipp, denn keiner soll mir entgehen da ichs vermag der ganzen Welt zu sagen was ihr Noth ist und sie dadurch meinem Geist einzubürgern so werd ich das nicht bleiben lassen..."
Hierzu passt ein überlieferter Satz Goethes, der das stürmische Werben der blutjungen Bettine Brentano seinerzeit mit geradezu ethnografischem Interesse bestaunte:
"Mehr sage ich nicht, denn eigentlich kann man Dir nichts geben, weil Du Dir alles entweder schaffst oder nimmst."
Bettine holt zum Vernichtungsschlag aus
Die Faszination, die für etliche junge Künstler von Bettine von Arnim ausging, lässt sich sicherlich in diesem Spannungsverhältnis suchen. Sie muss in jeder Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung gewesen sein. Charismatisch, belesen und politisch avanciert. Der Vormärzbewegung und den Ideen des Frühsozialismus zugetan. In der Judenfrage liberal, von großem Wert für die Frauenemanzipation ihrer Epoche. Poetisch tief verwurzelt in der frühromantischen Tradition einer progressiven Universalpoesie.
Ab Frühsommer 1839 kommt es in der Korrespondenz Döring-Arnim immer wieder zu Irritationen. Mal mutmaßt Döring, Bettine sei ihm nicht mehr gewogen. Mal zeigt sie sich beleidigt von solcherlei Anschuldigungen und klagt ihrerseits über briefliche Vernachlässigung. Julius schickt ihr weiterhin Gedichte. Er schlägt sogar deren Herausgabe ihr zu Ehren vor. Im Winter des gleichen Jahres dann holt Bettine allerdings zum Vernichtungsschlag aus.
"Ach! Schon ehe Dir Die Haare gewachsen sind hast du dich den Philistern geweiht."
Sein Genie sei durch die philisterhafte Eigensucht unterdrückt, präzisiert sie. Auch die zeitgenössische Literaturkritik zeigt sich unbeeindruckt von Dörings Publikationen. Für die Deutung fehle ihm der Schlüssel schreibt Karl Gutzkow. Und ein anderer Kritiker rechnet Dörings Ergüsse umstandslos zur "Spreu", die im Jahrgang 1841 des Deutschen Musenalmanachs reichlich vorhanden sei. Im August 1941 schreibt Julius Döring resigniert an Bettine:
"Über mir hängt eine stumme Harfe."
Faszinierend ist das Selbstbewusstsein Bettine von Arnims. Als Romantikergattin gelang es ihr durch eigene Kraft als Künstlerin wahrgenommen und in den Kreis der großen Männer aufgenommen zu werden. In ihrer Wohnung Unter den Linden empfing sie das intellektuelle Berlin jener Jahre. Weibliches Selbstdenkertum trifft hier allerdings auch auf ein gerüttelt Maß Eitelkeit. Etwa, wenn sie in einem Brief an Döring über den Sinn des Philosophierens doziert:
"Wenn mich einer fragte: glaubst du an was Du Denckst? – ich müsste antworten: Nein! – ich hab keine Zeit dazu denn ich muß fortDencken."
Im Oktober 1840 ist die Korrespondenz bereits stark abgekühlt. Jetzt geht Bettine allerdings auf Julius zu. Sie plant einen Band mit den Briefen ihrer jugendlichen Korrespondenten. Der Titel "Meine letzten Liebschaften". Döring soll eine dieser Liebschaften sein. Und er soll Bettine ihre Briefe zwecks Veröffentlichung zurücksenden. Damit war eine Zäsur erreicht. Julius Döring hatte kein privates Material mehr zur Verfügung, das ihm auch in rauer Klimalage vor Augen führte, wie Bettine von Arnim ihn einst gebraucht hatte. Das Werkprojekt sollte sich so wie Bettine es angekündigt hatte, nie realisieren. Erst Jahre später erscheint unter dem Titel "Ilius Pamphelius und die Ambrosia" das Briefbuch mit dem einzigen Briefpartner Philipp Nathusius. Der Titel war ein anagrammatisches Spiel mit dessen Namen.
Antisemitismus führt zum Bruch
Was man in diesem Briefband noch erfährt? Romantikergedanken über Philosophie, Poesie und Göttlichkeit. Aber auch zeitgeschichtliche Details über preußische Zensur- und Sozialpolitik. Ein bemerkenswertes Kapitel, bei dem die Beziehung Döring-Arnim schwer Schlagseite bekommt, ist Dörings Antisemitismus. Als er von Bettines Umgang mit dem Revolutionär Heinrich Bernhard Oppenheim erfährt, kennt er trotz aller Sympathien für die neuen Kräfte im Land keine Zurückhaltung:
"Schand und Schmach über uns, wenn wir die heiligsten Güter des Lebens durch Fremdlinge, die sie nun und immer uns bleiben werden, uns erringen ließen und aus ihren Händen annehmen müssten."
In einem späteren Brief präzisiert er diese Haltung Bettine gegenüber noch einmal. Er fühlt sich von ihr zu unrecht geschmäht. Ein Jude könne nicht für eine Nation kämpfen. Er bleibe seinem abstrakten Gott verpflichtet, sei wurzellos, könne keine "Volkseigentümlichkeit" ausbilden. Die üblichen Gemeinplätze eines damals weit verbreiteten Ressentiments gegenüber der Judenemanzipation.
Was Bettine von Arnim zu Dörings ungelenken Erklärungsversuchen gedacht haben mag, wissen wir nicht. Denn sie schweigt ab September 1841 beharrlich. Gelegentlich klagt Döring darüber. Bis 1846 schreibt er ihr dann und wann noch einen Brief. Einmal bietet er, der inzwischen zu einer Karriere gekommen, juristischen Beistand bei einer Zensursache an. Einmal bittet er sie wiederum um Unterschlupf. Im Zuge der gescheiterten Revolution wird Julius Döring nach Preußisch-Sibirien in die Verbannung geschickt. Nach Posen. Er bleibt dort eine Dekade. Als er wieder in die Hauptstadt zurückberufen wird, ist Bettine von Arnim bereits ein Jahr lang nicht mehr am Leben. Sie hinterlässt ihrer Leserschaft insgesamt sechs Brief- und Gesprächsbücher. Schon im vollen Bewusstsein einer versiegenden Leidenschaft wendet sich Julius Döring im Dezember 1846 noch einmal in romantischer Beschwörung gemeinsamer Seelenkunde an die schweigende Geliebte:
"Ich? Wer ist dieß: Ich? Gewiß wirst du so fragen. Wende dieß Blatt um und du wirst einen Namen finden, der einst einen Klang für dein Ohr hatte. Freilich ist dieses Namens Klang seitdem ein anderer geworden – wie das Ich, das diesen Namen trägt – und auch die Seele, die einst – diesen Klang vernahm –?–"
Bettine von Arnim: "Letzte Liebe. Das unbekannte Briefbuch"
Die Andere Bibliothek, Berlin, 576 Seiten, 42 Euro.