Archiv


Der Herbst der Chimären.

Seit Anfang des Jahres ist bekannt, wer hinter dem Pseudonym Yasmina Khadra steckt: der algerische Schriftsteller und ehemalige Offizier Mohammed Moulessehoul, Ende 2000 nahm der 44jahrlge seinen Abschied aus der / Armee und ging mit seiner Familie ins Exil nach Frankreich. Erst dort gab er seine Identität bekannt. Das Erstaunen war groß, obwohl man schon lange vermutet hatte, dass die beiden Romane aus dem algerischen Bürgerkrieg und die Kriminaltrilogie um den Polizeikommissar Brahim Llob von jemandem geschrieben wurden, der die politischen und sozialen Mechanismen des Landes sehr genau kennt. Als der erste Band der Krimireihe - mit dem Titel "Morituri" - 1997 In Frankreich erschien, erregte er sofort großes Aufsehen. Khadra:

Katharina Döbler |
    Die ersten Reaktionen der Presse waren sehr begeistert, Aber, da die Bücher den algerischen Lesern nicht zugänglich waren, gab es sehr viele Spekulationen. Man hat vor allem sehr viel fantasiert, wer Yasmina Khadra sein könnte: sie sei eine Erfindung der französischen Medien, man hat sie mit mehreren Autoren In Verbindung gebracht. Es hieß auch, Yasmina Khadra sei eine Gruppe von Schriftstellern, es sei ein französischer Journalist darunter, ein Jude und ein Algerier - viele Hypothesen.

    Das Buch beginnt mit einem Satz, der direkt In die Stimmung des Bürgerkriegs hineinführt. Zitat:

    Blutüberströmt liegt der Horizont da und bringt durch Kaiserschnitt einen Tag zur Welt, für den sich die Mühe letztlich nicht gelohnt haben wird.

    Sie heißen zwar Kriminalromane, diese drei Bücher, deren letzter jetzt auch auf Deutsch erschienen ist. Sie tragen auch einige Markenzeichen des roman noir; aber es geht darin weniger um ein Verbrechen, das Comissaire Llob nun aufzuklären hätte, als viel mehr um die Situation und die Umstände, In denen es geschieht. Außerdem setzt es sich Im Verlauf der Geschichte ständig fort. Bärtige Killer aus den elenden Vororten von Algier töten, oft auch im Auftrag einer mafiosen Oberschicht, missliebige Intellektuelle, Beamte und die eigenen Rivalen. Es geht Khadra um die Darstellung seines Landes Im Bürgerkrieg, einer in Korruption und Gewalt dahintreibenden Gesellschaft, deren staatliche Institutionen von Opportunisten beherrscht und der Oligarchie hörig sind. Khadra:

    Die Regierung hat meine Bücher nicht sehr geschätzt, well ich sie darin direkt angegriffen habe, well Ich versucht habe, verständlich zu machen, warum eine Nation, die die Chance gehabt hätte sehr offen, sehr tolerant, sehr fortschrittlich zu werden, dem Obskurantismus und dem Islamismus in die Hände gefallen ist.

    An Yasmina Khadras Büchern gibt es nichts Liebliches; ihr Ton Ist meist der einer rüden und zugleich blumigen Umgangssprache, und selbst die Liebeserklärungen an die Stadt Algier klingen, als hätte Jemand einen Kloß im Hals, der bloß von keinem bemerkt werden soll. Aber das hat nichts von der koketten Schnoddrigkeit, wie man sie von den Protagonisten der Schwarzen Serie gewohnt ist; die Figur des Ermittlers, der Comissaire Llob, ist ein Mensch, der versucht, seinen eigenen moralischen Ansprüchen zu genügen, die oft größer sind als er selbst:

    Es ist eine Gestalt, die mir wahrend des Krieges moralisch sehr geholfen hat. Er war mein Freund, er hat die Mitternacht erträglich gemacht. Ich konnte nicht mehr schlafen, denn es gab keinen Schlaf ohne Alptraume, Ich habe damals jeden Tag Freunde verloren. Ich war traumatisiert von Szenen, die ich erlebt hatte, Massaker, zerstückelte Kinder... .all das hat mich tief getroffen. Trotzdem bin Ich Soldat geblieben. Man musste kämpfen. Wenn ein Kind getötet wird, kann der Erwachsene nicht sagen, er hat Angst oder er ist entsetzt. Nein, er muss zuerst das Kind beschützen. Erst wenn die Bedrohung vorüber Ist, kann man weinen.

    Es gibt In diesen Büchern Szenen von lakonischer Grausamkeit, die einen auch lange nach dem Lesen nicht loslassen:

    Manchmal bringen sie eine Mutter um, nur um am Tag der Aufbahrung den Sohn in die Falle zu bekommen...

    Eines der zentralen Themen der Yasmina Khadra Ist das Leben im Ausnahmezustand der ständigen Bedrohung. Einmal wird der algerische Schriftsteller Tahar Djaout zitiert;

    Wenn du redest, stirbst da. Wenn du schwelgst, stirbst du. Also rede und stirb. Djaout wurde 1993 ermordet. Eine Gefahr, die für Khadra trotz des schützenden Pseudonyms, ebenfalls stets bestand und ihm auch bewusst war:

    Das was ich meinen Soldaten Immer gesagt habe, muss für mich genauso gelten. Ich habe Ihnen wiederholt gesagt, dass die Angst der Lebensraum des Terrorismus ist. Man darf keine Angst haben, denn man riskiert sonst vor Angst zu sterben. Wenn man sich entschlossen hat zu schreiben, dann muss man bis zum Ende gehen mit dieser Entscheidung.

    In einem Buch, das bislang nur auf Französisch erschienen ist, hat sich Khadra auch mit den Innenansichten des islamistischen Terrorismus beschäftigt:

    Der Istamismus kann nur in der Unbedingtheit existieren. Das sind Leute, die definitiv dem Leben entsagt haben. Die Welt, die Erde, der trügerische Tand, die Träume, das Interessiert sie nicht mehr. Alles, was sie wollen. Ist sterben. Und für einen Islamisten Ist der schönste Tod der, bei dem er am meisten Opfer mit sich nimmt. Nur auf diese Welse kann er seine Eintrittskarte Ins Paradies bezahlen. Und das Glück für Europa Ist es, dass In Algerien gegen die Islamisten gekämpft wird. Denn der Hass, der den Leuten, die dem Islamismus anhängen, eingeflößt wurde, bedeutet Selbstverneinung, um das Andere zu zerstören: Euch, den Westen. Verstehen Sie? Das sind Menschen, die Nihilisten geworden sind, um die Welt in ein Nichts zu verwandeln. Vernichten. Das Programm dieser Leute ist einfach: die größtmögliche Verwüstung. Die Erde zu martern, die in ihren Augen ein Nichts geworden Ist, eine Sünderin verloren Ihm All.

    In Khadras Büchern wird die algerische Tragödie, mit ihrem alltäglichen Schrecken und ihren verheerenden Folgen, auf eine Weise greifbar und deutlich In unsere Nähe gerückt, dass man sie nicht ohne Weiteres wieder In die hinteren Winkel des Bewusstseins verbannen kann.