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Menschgemachte Beben
In der Tiefe wird es laut

In der Tiefe wirkt die Erde robust: Wenigstens hier, so scheint es, kann der Mensch nichts anrichten. Doch warum rumort es dann in letzter Zeit so oft und auffallend nah an Tiefenbohrungen oder Stauseen?

Von Karl Urban | 08.11.2015
    Ein Riss im Asphalt einer Straße ist am 24.03.2014 in Landau (Rheinland-Pfalz) vor der Einfahrt zum Geothermiekraftwerk zu sehen.
    Straßenrisse am Geothermiekraftwerk Landau sorgten 2014 für Aufregung. (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Aus vormals ruhigen Landstrichen wurden Erdbebengebiete, in denen der Grund mehrmals am Tag wackelt. Experten sind alarmiert und diskutieren, wie sie die Beben eindämmen könnten.
    Hörtipp: In der Tiefe wird es laut - Menschgemachte Beben - 8. Nov 16:30 Uhr
    Eine Karte induzierter Erdbeben
    Eine Karte induzierter Erdbeben (Swiss Seismological Service)
    Das Manuskript zur Sendung:
    Eine Seilbahn hält an einem Berghotel, knapp oberhalb von Davos.
    Die Schatzalp. Erdbebenforscher aus den USA, Kanada, Europa und Japan steigen aus. Sie wollen hier eine ernste Entwicklung diskutieren. So ernst, dass ich als Journalist zunächst gar keinen Zutritt erhalten soll. Wir einigen uns: Kein Mikrofon im Sitzungssaal.
    "Das ist eines der merkwürdigsten Dinge, die wir bisher gesehen haben: Oklahoma erlebte über die letzten 100 Jahre vielleicht ein oder zwei Erdbeben pro Jahr. Jetzt bebt die Erde plötzlich mehr als einmal am Tag."
    Steckt der Mensch hinter den Erdbeben? Die Frage sorgt derzeit vielerorts für Unruhe.
    "Noch haben wir nicht völlig verstanden, was da unten eigentlich passiert. Aber die Seismizität hat sprunghaft zugenommen. Die Ursachen sind aller Wahrscheinlichkeit nach nicht natürlich. Denn da wird gleichzeitig viel Wasser in die Tiefe gepumpt."
    In der Tiefe wird es laut – über menschgemachte Beben. Von Karl Urban
    Das Innere der Erde: Ein Kern aus festem Eisen und Nickel, umhüllt von einer Schicht aus flüssigem Metall. Dann der Erdmantel: Das Gestein ist hier zwar fest, aber gleichzeitig so heiß und unter so hohem Druck, dass es sich wie Gummi verhält. Auch hier ist es still. Die Erdkruste dagegen ist spröde und von Rissen durchzogen; die Kräfte der Plattentektonik zerren an ihr. Hier spielen sich die Erdbeben ab. Sie zu messen ist Aufgabe eines internationalen Netzwerks aus seismischen Messstationen. Aufgebaut an möglichst ruhigen Standorten, tief in Wüsten, am Grund von Ozeanen – oder in deutschen Mittelgebirgen.
    Rudolf Widmer-Schnidrig betritt ein wissenschaftliches Heiligtum – mitten im Schwarzwald, 120 Kilometer entfernt von den nächsten Großstädten Karlsruhe und Stuttgart.
    "Hier sieht man wirklich den Feldspat, den Quarz, schwarz den Glimmer. Schwarzwaldgranit."
    Die Universitäten beider Städte unterhalten in dem alten Silberbergwerk eine der genauesten Erdbeben-Messstationen der Welt.
    "Und wenn ich begründen muss, warum das so ruhig hier ist, dann ist das das wichtigste Argument: Die Station ist im Granit aufgebaut."
    In diesem Stollen vermessen die Geophysiker Erdbebenwellen.
    "Wenn ein Erdbeben in Neuseeland stattfindet, dann gibt es die Möglichkeit, dass wir hier im Schwarzwald Wellen registrieren, die den Erdkörper bis zum Erdmittelpunkt durchlaufen haben."
    Erdbeben, die der Mensch verursacht hat? Sie spielen in den Messwerten des Schwarzwaldobservatoriums noch kaum eine Rolle. Gut 99,999 Prozent der weltweit gemessenen Erdstöße sind natürlichen Ursprungs. Künstliche, menschgemachte Erschütterungen und Schwingungen mischen sich erst zaghaft in das Grundrauschen der Messgeräte. Die meisten sind so schwach, dass niemand sie wahrnehmen kann. Doch auch die Zahl spürbarer Beben wächst: Von einem von Menschen verursachten Beben pro Jahrzehnt auf mehrere Beben pro Tag.
    "In den frühen 1960er-Jahren spürten die Leute in der Stadt Denver in Colorado immer wieder Erschütterungen. Und es gab ganz klar keine natürliche Ursache für Beben in dieser Gegend. Das war wirklich irritierend."
    "Wir sollten vorsichtig sein, die Bedingungen unter der Erdoberfläche einfach zu verändern"
    William Ellsworth vom US Geological Survey erinnert sich an den Beginn der neuen Ära. Das Denver-Beben, erzählt er, erreichte eine Stärke von 5,3, mit einer Energie, die umgerechnet sieben Hiroshimabomben entsprach. Die Skepsis unter Seismologen war groß. Aber nach Jahren zeigten Forscher, dass diese Erdbeben vom US Mountain Arsenal ausgelöst worden waren – einer Fabrik des US-Militärs, die enorme Mengen toxischer Chemikalien aus der Waffenproduktion über dreieinhalb Kilometer tief ins Gestein pumpte.
    "Wir haben daraus gelernt, dass Erdbeben eigentlich überall auf der Welt auftreten können. Wir sollten vorsichtig sein, die Bedingungen unter der Erdoberfläche einfach zu verändern. Wir könnten damit zerstörerische Beben auslösen."
    Auch in Europa gab es menschgemachte Erdbeben – wenn auch vorerst nur schwache.
    "Ich bin Joachim Ritter vom geophysikalischen Institut am Karlsruher Institut für Technologie. Ich beschäftige mich in erster Linie mit Seismologie verschiedenster Arten, zum Beispiel auch induzierte, also menschlich gemachte Erdbeben."
    Im Sommer 2009 klirrten in der Pfalz die Gläser in den Schränken. Kurz zuvor hatten Arbeiter drei Kilometer unter der Stadt Landau einen Riss im Gestein angebohrt, um hier heißes Wasser zu fördern. War das Beben nun von der Erdwärmebohrung verursacht oder natürlich? Seismologische Detektivarbeit.
    "Es konnte dann gezeigt werden, dass die Erdbeben vom Sommer 2009 – das war Magnitude 2,7 und 2,4, also auch im Reservoir des Geothermiekraftwerks stattgefunden haben. Und daher war eben für uns deutlich, dass es einen Zusammenhang gibt."
    Auch das Ruhrgebiet verzeichnet jedes Jahr Hunderte schwacher Erdbeben, weil alte Kohlestollen nachgeben.

    "Im Ruhrgebiet sind induzierte Erdbeben eine schon fast normal ertragene Sache von der Bevölkerung dort, weil sie eben wissen: Solche Erdbeben passieren im Steinkohlebergbau. Es gibt auch klare Mechanismen, wie kleinere Schäden kompensiert werden."
    Drei Kumpel  vor einem Förderturm
    Drei Kumpel vor einem Förderturm (AP)
    Pro Jahr entschädigt der Bergbaukonzern RAG rund 35.000 Hausbesitzer für erlittene Sachschäden. Forscher dagegen haben das Thema in den letzten Jahrzehnten fast vergessen. Jetzt diskutieren sie wieder, über einstürzende Stollen aus dem Kohlebergbau, Stauseen mit ihren ins Gestein drückenden gewaltigen Wassermassen und – wie in den USA – über die Folgen von Erdgas- und Ölförderung.
    Auf der Schatzalp in den Schweizer Bergen hat der sechste Vortrag gerade begonnen. Justin Rubinstein projiziert eine Folie an die Wand: Der mittlere Westen, erfährt man da, sei bekannt für Naturkatastrophen in Gestalt von Wirbelstürmen. Jetzt sei er "home of the quakenado": Heimat für Erdbeben und Tornados. Früher zählte man hier eine spürbare Erschütterung pro Jahr, 2009 waren es 20, 2014 schon über 500.
    "In unseren Seismogrammen sehen sie aus wie normale Erdbeben – wir können natürliche und diese induzierten Beben nicht unterscheiden."
    Was genau die neue Erdbebenserie hervorruft, lässt sich nicht eindeutig beweisen. Aber es gibt eine Vermutung.
    "Wir machen uns seit einiger Zeit Sorgen um neue Fördertechniken für Erdöl und Erdgas. Dabei fallen riesige Mengen Wasser an, die entsorgt werden müssen."
    Es ist nicht das massive Hydraulic Fracturing selbst, das im mittleren Westen unter Verdacht steht. Viel mehr hat die Bebenserie mit der Art und Weise zu tun, wie das Fracking-Abwasser entsorgt wird. Für jede geförderte Tonne Öl entstehen gut zehn Tonnen Abwasser. Laut der US-Umweltbehörde müssen pro Jahr fast drei Milliarden Kubikmeter davon beseitigt werden – etwa der Inhalt des Zürichsees. Das Abwasser wird in vielen Regionen der USA kurzerhand in die Tiefe gepumpt.
    "Es ist der einzig praktikable Weg, dieses Wasser zu entsorgen. Manchmal kann es zwar gereinigt werden, um dann noch zur Bewässerung in der Landwirtschaft verwendet oder in Flüsse und See geleitet zu werden. Aber die anfallenden Wassermengen sind einfach zu gigantisch."
    Es steht mehr auf dem Spiel als die wenigen Häuser, die in der dünn besiedelten Region der USA bisher beschädigt wurden. Denn das Wasser wandert entlang von Störungen, also von Rissen im Gestein. Die längste davon durchquert mehrere Bundesstaaten und passiert nicht weit entfernt die Großstadt Oklahoma City. Käme diese Störung über einige Dutzend Kilometer in Bewegung, könnte das laut einer Studie einiger US-Seismologen wirklich schwere Erdbeben mit Milliardenschäden verursachen.
    Im Messstollen im Schwarzwald macht sich Rudolf Widmer-Schnidrig an einigen Geräten zu schaffen. Nichts darf die empfindlichen Messgeräte stören, die noch ein Auf- und Abschwingen des Erdbodens um Bruchteile eines Millimeters wahrnehmen können. Selber gespürt hat der Geophysiker in seinem ganzen Berufsleben noch nichts.
    "Ich werde dafür in meiner Familie ausgelacht, dass ich durch sämtliche Erdbeben durchschlafe."
    Aber er weiß, dass es nicht angenehm ist. Selbst wenn der Boden nur leicht schwankt und die Wände klingen.
    "Wenn Sie in einem Haus sind, in einem alten Fachwerkhaus wie hier im Schwarzwald, dann knirschen die Balken. Was viele Leute bemerkt haben, ist, dass wirklich Schallwellen kommen, die den Erschütterungen des Erdbodens entsprechen. Das kommt daher zustande, dass eine ganze Häuserfassade schwingt mit dem Erdboden und als Lautsprechermembran wirkt."
    Es ist Wahlkampf in den Niederlanden. Der amtierende Wirtschaftsminister Henk Kamp sitzt in einer Talkshow des Fernsehsenders VARA , umringt von Journalisten und Aktivisten. Er muss ein schwieriges Kapitel seiner Politik verteidigen. Denn in Groningen vibrieren die Hauswände immer wieder lautstark – und bekommen dabei Risse.
    "Ich weiß ja auch nicht, ob wir die Zahl und Stärke der Erdbeben noch anders reduzieren können. Das muss ich auch erst prüfen."
    Direkt neben Groningen liegt das größte Erdgasfeld Europas. Hier lagert mehr Gas als unter der gesamten Nordsee. Seit 50 Jahren wird es ausgebeutet. Jetzt erst bebt die Erde immer häufiger. Hollands Regierung ließ die Förderung in den letzten Jahren mehrfach drosseln. Doch viele Bürger fordern, die Gasförderung ganz einzustellen. Längst ist Groningen auch ein Fall für Bernard Dost, den leitenden Seismologen am Königlich-Niederländischen Meteorologischen Institut.
    "Die ersten Erdbeben gab es 1986, fast 30 Jahre nach Bohrstart. Es ist also ein relativ junges Phänomen. Seitdem beobachten wir allerdings ständig neue Ereignisse, besonders in den letzten Jahren."
    Bernard Dost formuliert vorsichtig – denn in den Niederlanden hängt der Wohlstand am Erdgas. Die Gasförderung anzugreifen, könnte die anstehende Regionalwahl beeinflussen. Und seine Behörde soll sich politisch neutral verhalten.
    "Am Anfang hatten wir noch gedacht, die Gasförderung kann niemals Erdbeben hervorrufen. Dann gab es in den 90er-Jahren Modellrechnungen zu dem Thema. Die ergaben: Die Gasförderung kann nur schwache Erdbeben auslösen. Aber die größtmögliche Magnitude war wirklich schwer vorherzusagen."
    Ein Demonstrant gegen die Erdgasförderung in Loppersum hält ein Schild hoch mit der Aufschrift "Take, took, taken our gas"
    Ein Demonstrant gegen die Erdgasförderung (picture alliance / EPA / Catrinus van der Veen)
    Solch eine Vorhersage gelingt nur, wenn die Zahl von Erdbeben über die Zeit gleich bleibt. Tatsächlich beobachteten die niederländischen Seismologen über die letzten zehn Jahre eine steigende Zahl. Zukünftig seien Stärken zwischen vier und fünf zu erwarten, lautet die vage Prognose heute. Und die könnten Gebäude erstmals ernsthaft beschädigen.
    Der Trend könnte sich nicht nur in den Niederlanden fortsetzen: Weltweit gibt es Tausende Bohrlöcher, an denen gefrackt wird. Immer neue Stauseen werden geflutet, deren Gewicht darunter liegende Störungen in Bewegung versetzt. Und es wird gebohrt, um Erdwärme zu fördern oder das Treibhausgas CO2 hinabzupumpen. Der Mensch erschließt unaufhaltsam die Erdkruste. In der Tiefe wird es immer lauter.
    "Es gibt nur bei ein paar Dutzend Bohrungen spürbare Erdbeben. Damit will ich nicht sagen, dass die anderen in Zukunft nicht doch Erdbeben auslösen können. Vielleicht bebt es dort heute auch noch zu schwach, um irgendetwas zu messen. Vorerst scheinen uns die meisten Bohrlöcher aber unproblematisch."
    Zur Konferenz in den Davoser Alpen haben sich auch mehrere Vertreter von Versicherungen und Ölfirmen angemeldet. Sie wirken nervös. Und hoffen, dass die angereisten Geophysiker Konzepte vorlegen können, um die wachsende Zahl von Erschütterungen in den Griff zu bekommen. Ideen existieren durchaus. Aber ob sie etwas taugen?
    Option Nummero 1: Weg von den Störungen!
    Unter Druck gesetzte Gesteinsblöcke bauen ihre Spannung entlang von Rissen und Spalten ab. Wirklich stark kann es nur beben, wo es solche geologischen Störungen im Gestein gibt.
    "Wenn ich keine Störung habe, kann ich eben auch kein größeres Beben triggern."
    Das sieht prinzipiell auch William Ellsworth so.
    "Wir müssten wissen, wo diese Störungen sitzen und wie sie unter Spannung stehen. Das ist wirklich der Schlüssel, um das Bebenrisiko einzuschätzen."
    Nur gibt es dabei ein Problem.Die meisten Störungen stecken tief im Gestein und sind somit schwer zu sehen. Außerdem will eigentlich niemand diese Störungen meiden.
    "Nun sind aber oft genug diese Störungen genau das Ziel von solchen Operationen, weil man da schon natürliche Wegsamkeiten hat, um zum Beispiel ein Gas oder ein heißes Fluid zu fördern."
    Und die Anlagen fernab besiedelter Gebiete bauen? Für Horst Kreuter ist auch das keine Option. Er ist Geschäftsführer von GeoThermal Engineering in Karlsruhe. Seine Firma plant den Bau neuer Erdwärmekraftwerke im Oberrheingraben.
    "Also Sie finden hier im Oberrheingraben oder in Deutschland oder in Mitteleuropa keine Flächen, die so dünn besiedelt sind, dass Sie nicht mit irgendjemandem Kontakt haben, der ein Erdbeben spüren könnte."
    Option Nummero 2: Erdbeben steuern
    Die Idee, die Stärke von Erdbeben aktiv zu kontrollieren, ist so alt wie die Erkenntnis, dass Menschen Erdbeben auslösen können. Vor allem sehr schnell in die Tiefe gepumpte Flüssigkeit scheint Störungen gewaltsam aufzureißen. Aber wer nur ganz behutsam pumpt – würde der nicht viele schwache Beben auslösen statt eines schweren?
    "In der Theorie geht das vielleicht."
    "Aber wir müssten dafür viel mehr über den Untergrund in Erfahrung bringen. Und dafür bräuchten wir Technologien, über die wir heute noch nicht verfügen."
    Beben kontrollieren. Wie weit Geophysiker von diesem Traum noch entfernt sind, zeigt sich im Jahr 2013 in St. Gallen. Sieben Jahre zuvor hat es in Basel nach der ersten tiefen Schweizer Erdwärmebohrung gebebt – diesmal soll alles besser laufen. Die Großstadt St. Gallen liegt im Nordosten der Schweiz, wo kaum gefährliche Störungen verlaufen. Um dennoch mögliche Schwachstellen frühzeitig zu erkennen, wird der Untergrund mit Vibrations-Trucks untersucht.
    Diese massiven Lastwagen senden Schallwellen in den Boden, die an tiefen Gesteinsschichten reflektiert werden. Im Rechner entsteht ein Modell des Untergrunds, auch von den geologischen Störungen. Nichts soll mehr dem Zufall überlassen bleiben. Toni Kraft vom Schweizer Erdbebendienst gibt sich im Schweizer Rundfunk zuversichtlich.
    "Wir erwarten nicht, dass größere Erdbeben auftreten als das, was wir auch im natürlichen Rahmen erwarten würden."
    Die schweizer Seismologen installieren mehrere hochgenaue Seismometer um die Bohrung. Sie überwachen jede gerade noch messbare Schwingung des Bodens. Aufgezeichnete Mikrobeben werden allen Verantwortlichen sofort übermittelt.
    "Wir haben heute Morgen um sechs die Anlage in Betrieb genommen, haben noch einen Zug ergänzt und haben um kurz nach sieben angefangen mit Bohren."
    Sollten seismische Signale aus der Tiefe unkontrolliert zunehmen, wollen die Arbeiter die Bohrung umgehend stoppen. Aber es kommt anders. Die Erde wackelt unerwartet stark – als rund vier Kilometer unter St. Gallen Erdgas aus einer Gasblase in die Bohrung einschießt. Das Beben mit einer Stärke von 3,5 hinterlässt zwar kaum Schäden, ist aber weiträumig spürbar. Die Erdwärme von St. Gallen steht vor dem Aus. Ein Jahr später zeigt sich der Direktor des Schweizer Erdbebendienstes Stefan Wiemer im Schweizer Rundfunk demütig – gegenüber der Erde.
    "Die große Unsicherheit für uns und die Leute in St. Gallen war: War's das? Dreieinhalb, ist das das größte? Oder könnte es, wenn es denn dumm läuft, auch noch deutlich größer werden? Ist ein Viereinhalber oder sogar ein Magnitudefünfer sind durch solche Sachen auch noch möglich? Und da tun wir uns immer noch schwer, endgültige Antworten zu geben."

    Dabei erschließen Erdwärmebohrungen ein Gebiet, das noch vergleichsweise überschaubar ist und sich mit vertretbarem Aufwand mit Sensoren bestücken lässt. Fast schon hilflos wirken Forscher dagegen beim größten Gasfeld Europas in den Niederlanden. Denn das Gas wurde fünf Jahrzehnte lang aus einem trogförmigen Becken aus Sandstein gefördert, der nun ruckhaft in sich zusammenfällt. Zwar gibt es auch hier Ideen, die Erdbeben zu begrenzen – aber die sind noch nicht einmal ansatzweise erprobt.
    Seismograph notiert ein leichtes Erdbeben
    Ein Seismograph (dpa / Oliver Berg)
    "Nun ja, es gäbe schon ein paar Maßnahmen. Wir versuchen zum Beispiel, einfach weniger Erdgas zu fördern. Aber das Gestein reagiert darauf sehr zeitverzögert. Es kann Monate dauern, bis die Erde reagiert. Oder sogar Jahre. Wir wissen das vorher nicht."
    Momentan errichten die Geophysiker in Groningen ein Netzwerk aus 125 seismischen Messstationen, dicht verteilt über das Erdbebengebiet – allein zu Forschungszwecken. Ein Messnetzwerk, um Bewegungen des Erdbodens vorherzusehen, müsste vielfach größer sein.
    "Das wäre extrem aufwendig und ist daher kaum realistisch."
    Bernard Dost sieht nur noch eine zweite Möglichkeit – irgendwann, in ferner Zukunft.
    "Vielleicht könnten wir diesen von Erdgas leer gepumpten Raum einfach mit einem anderen Gas füllen. Dadurch könnte es weniger Beben geben, weil das Gestein dann vielleicht nicht mehr so plötzlich absackt. Aber bei dem riesigen Groningen-Feld müssten wir so viel Ersatz für das Erdgas erst mal zusammen bekommen. Das wäre zeitlich wahrscheinlich gar nicht zu machen."
    "Wir können die Erde durchleuchten – für die Erdölsuche funktioniert die Technik gut! Aber am besten klappt es eben in flachen Sedimentgesteinen, während die meisten Erdbeben viel tiefer stattfinden."
    Und so landet man notgedrungen bei einer Lösung, der geradezu radikal und fatalistisch wirkt:
    Option Nummero 3: Mehr Erdbeben wagen
    Vielerorts auf der Welt existieren natürliche Erdbebengebiete, in denen Erschütterungen ganz normal sind. In Kalifornien oder Japan hinterlassen selbst mittelschwere Beben kaum Schäden. Das gilt auch für den Oberrheingraben – das aktivste natürliche Erdbebengebiet Deutschlands. Warum nicht einfach das Risiko in Kauf nehmen und sich darauf einstellen?
    "Sie brauchen bloß in die Aufzeichnungen der Seismometer zu gucken. Ob Geothermie oder nicht, Spannungen im Untergrund im Oberrheingraben sind über die aktuellen Bewegungen vorhanden. Und es gibt hier in jedem Jahr hunderte von Erschütterungen, die zum Teil gespürt werden, wie in Darmstadt vor kurzem, wie an anderen Orten. Das ist ganz natürlich, das hat mit Geothermie nichts zu tun."
    Auch in Oklahoma und Kansas mit ihren Bohrlöchern für das Fracking-Abwasser sei man Naturkatastrophen gewohnt.
    Die Menschen dort leben damit. In diesem Teil der Vereinigten Staaten sind Tornados das größte Problem, die Erdbeben dagegen eine kleine Störung, die eben noch dazukommt. Die Bebenverursacher müssten nur verpflichtet werden, die entstandenen Schäden zu begleichen. Das passierte nach den schadensträchtigen Erdwärmebohrungen in Deutschland und der Schweiz ebenso wie bei den einstürzenden Kohlestollen im Ruhrgebiet. Und auch in den Niederlanden, wo die Debatte um das Gas aus Groningen seit der von VARA ausgestrahlten Talkshow immer weiter tobte.
    "Du möchtest über Geld reden und das möchte ich auch. Das Gas bringt 11,5 Milliarden Euro ein. Und wenn diese 11,5 Milliarden nicht verfügbar sind, müssen die Leute mehr Steuern zahlen. Und das sind auch Leute, die sowieso schon Probleme mit der Kaufkraft haben."
    Die Mehrheit ist in den Niederlanden immer noch dafür, möglichst viel Gas zu fördern. Nur in Groningen selbst siegte dann doch die Angst vor den Beben. Bei den Regionalwahlen im April 2015 verloren die Regierungsparteien rund um das Gasfeld ihre Mehrheit – während sie im Rest des Landes so stabil blieben wie der Boden unter den Füßen der weit weg lebenden Wähler.
    Theoretisch ist noch eine weitere Strategie denkbar. Auf der Schatzalp in den Davoser Bergen wird darüber aber nur am Rande geredet.
    Vierte und letzte Option: Aufhören mit dem Bohren
    Wir könnten die Erde in Ruhe lassen, dann sollte sie sich auch wieder beruhigen. Joachim Ritter wirkt aufgeschlossen:
    "Generell muss, denke ich, hier eine gesellschaftliche Diskussion her. Was sind wir eigentlich bereit als Gesellschaft hinzunehmen an Störungen, zum Beispiel für eine gewisse Energieerzeugung oder sonstige Rohstoffförderung."
    Doch die Geologen wissen nur zu genau, dass die Welt ohne Bohrlöcher, Bergwerke oder Stauseen kaum auskommen wird.
    "Natürlich müssen wir das auch wirtschaftlich abwägen."
    Erdbeben sind ein Konzert aneinander scharrender tektonischer Platten, von riesigen Gesteinsblöcken, die mit gewaltiger Kraft aneinander zerren. Das Konzert findet im Inneren der Erde seit Jahrmilliarden statt. Unkontrolliert. Und unkontrollierbar. Immerhin: Geologisch betrachtet wird der Mensch hier wohl auch künftig kaum mehr als ein sanftes Säuseln beisteuern.
    "Wir wissen sehr gut, wie wir Erdbeben auslösen können. Aber wir wissen nicht, wie stark es beben wird. Und ausgerechnet das ist entscheidend."
    In der Tiefe wird es laut. Über menschgemachte Beben
    Von Karl Urban
    Regie: Axel Scheibchen
    Redaktion: Christiane Knoll
    Quellenangaben:
    [1] Sankt Galler Stadtwerke, Geothermie-Projekt der Stadt St. Gallen
    [2] VARA, Niederländisches Fernsehen