Montag, 13. Mai 2024

Archiv


Mission Zivilcourage

Wie man mit Gewalt-Situationen umgeht oder Konflikte vermeidet - das lernen die meisten Studierenden an der Uni kaum. Obwohl es für den späteren Berufsalltag wichtig sein kann. Das bundesweite Projekt "Netzwerk Q" will dem entgegenwirken und bildet Anti-Gewalt-Trainer aus.

Von Conny Raupold | 07.04.2011
    "Also ich für mich persönlich find´s halt fürs Lehramt total sinnvoll. Gerade weil das Thema Gewalt an Schulen immer vorhanden ist. Und auch weil wir einfach als Leiter Schlüsselqualifikationen lernen, die man in keiner Uni sonst lernt. Das lernt man in keinem Seminar: Wie gehe ich mit bestimmten Konfliktsituationen um, was kann man da machen?"

    Tatjana Polotzek studiert in Wuppertal Kunst und Germanistik und will Lehrerin werden - und dazu Trainerin für Gewaltprävention und Zivilcourage. Die entsprechenden Blockseminare kann sie in ihr Studium integrieren - 18 Creditpoints werden ihr dafür angerechnet. Insgesamt drei Semester dauert die Zusatz-Ausbildung. 24 Studierende nehmen in Wuppertal teil - auch Jasmin Striboll.

    "Wenn ich später mit Menschen arbeite, hab ich eine weitere Kompetenz erworben und später auch die Möglichkeit, meinem zukünftigen Arbeitgeber eine Qualifikation anzubieten, die es mir hoffentlich erleichtern wird, in den Beruf einsteigen zu können."

    Erziehungs- und Sozialwissenschaften sind ihr Fachgebiet. Sie will beruflich im sozialen Bereich arbeiten - aber nicht als Lehrerin. Die Teilnehmer im Projekt sind aus den verschiedensten Fachbereichen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie nach dem Projekt einen Teil zu einer Gesellschaft mit weniger Gewalt und mehr Zivilcourage beitragen, sagt einer der Initiatoren, Lothar Jansen:

    "Zivilcourage heißt, dass wir eben auch Menschen dafür bereit machen wollen, sich mit Konfliktsituationen auseinanderzusetzen und auch mal Partei zu ergreifen. Und alles zusammen ist ja ein Beitrag zur Zivilisierung dieser Gesellschaft und zu ihrem humanen Fortschritt."

    Das Projekt ist eine Kooperation zwischen den Hochschulen und "Arbeit und Leben": ein Bündnis zwischen VHS und DGB. Es steht für politische Bildung. In den Seminaren testen die Teilnehmer in Rollenspielen, wie sie sich zum Beispiel in bestimmten Konflikt-Situationen fühlen. Tatjana sagt: Am Anfang findet man´s oft albern, später machen solche Spiele aber Sinn - wie das Ausgrenzungsspiel, das sie mitgemacht hat.

    "Alle standen in einem Kreis. Und ich musste mich außerhalb dieses Kreises mit dem Rücken zu den Leuten stellen. Und dann wurden mir von jedem Beleidigungen ins Ohr geflüstert. Und es ging halt darum, dass man guckt: wie fühlt man sich."

    Und auch: Wie reagiert man? Die verschiedenen Situationen und Reaktionen analysiert die Gruppe hinterher. Daraus lernt man mit schwierigen Situationen umzugehen und auch über sich selbst, erzählt Jasmin Striboll:

    "Während dieser Übungen stellt man doch auch dann erschreckt fest: meine Güte, da hab ich aber jetzt gar nicht auf andere Rücksicht genommen. Und das einmal bewusst zu machen, das ist ein ganz wichtiger Ansatzpunkt."

    Sensibilisieren für das, was um einen herum passiert - wichtiges Ziel des Projekts - und beste Voraussetzung dafür, dass es erst gar nicht zu Gewalt kommt. Nach der Reflexionsphase starten die Teilnehmer nächstes Semester in die Abschlussphase. Sie müssen in kleinen Gruppen selbst ein Konzept für ein Anti-Gewalt-Training entwerfen. Und das ausprobieren, zum Beispiel an einer Schule oder in einer Jugendgruppe. Eine Vorstellung, die Tatjana Polotzek leicht nervös macht:

    "Wenn ich mir jetzt vorstelle, ich fange an, so ein Seminar zu machen und merke auf einmal: da ist ein totales Mobbingopfer in der Klasse. Dann hätte ich erst mal ein Problem, weil ich ja erst mal gar keinen Erfahrungsschatz habe, wie man mit so einer heiklen Situation dann umgeht. Ich trau mir das zu, wir sind auch gut vorbereitet worden. Ich bin aber auch froh, dass wir dann zu zweit oder dritt sind, dass man die Verantwortung nicht alleine trägt."

    Nur, wer auch den Praxistest besteht, bekommt am Ende das Anti-Gewalt-Trainer-Zertifikat. Die Teilnehmer können das Gelernte dann in ihrem zukünftigen Beruf nutzen, oder aber selbst Seminare zum Anti-Gewalt-Training geben. Vieles nützt ihnen aber auch einfach jetzt schon - im Alltag.

    "Schon allein, wenn es darum geht: wie trage ich etwas vor, wie gehe ich mit anderen um, wie kann ich richtig kommunizieren..vor Gewalt geht´s ja oft darum: wie kommunizier´ ich - da läuft´s ja schon oft schief." "Verhalten ist eine Interaktion - und dass ich da auf bestimmte Blicke oder Gesten einfach achte - das ist mir auf jeden Fall bewusst geworden."

    Bundesweit acht Unis bilden Studierende im Moment zu Anti-Gewalt-Trainern aus. In Wuppertal startet das Projekt nächstes Semester in die Abschlussphase.

    Mehr Infos zum Thema:

    Internetseite Netzwerk Q