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Mohammed-Karikaturen
"Satirisch gemeint, letztendlich aber vorurteilsgetrieben"

Karikaturen gegen den sakralen Kern einer Religion könnten als fremdenfeindlich interpretiert werden, sagte der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez im DLF. Dadurch entstehe ein seltsamer Schulterschluss zwischen links orientierter Aufklärung und rechtspopulistischen Bewegungen.

Kai Hafez im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 20.01.2015
    Die erste Ausgabe von "Charlie Hebdo" nach dem Anschlag zeigt eine Karikatur Mohammeds auf dem Titel
    Die erste Ausgabe von "Charlie Hebdo" nach dem Anschlag zeigt eine Karikatur Mohammeds auf dem Titel (imago stock&people)
    Religion sei eine sensible Angelegenheit in der islamischen Welt. Allerdings sei seine Erfahrung, dass solche Ausschreitungen wie jetzt gegen die Mohammed-Karikaturen von uns auch übersteigert würden. Die Aufregung sei in der islamischen Welt in der Regel nicht ganz so groß, wie wir sie machen würden, so Kai Hafez im DLF.
    Solche Karikaturen würden in einem Kontext erscheinen, der vielleicht nicht ganz umsonst Muslime errege. Denn die Islamfeindlichkeit sei in Europa statistisch hoch. Was uns als Meinungsfreiheit erscheine, sei in einem Kontext der Einwandergesellschaft zu sehen mit ihren Islamophobien. Da werde eine gesunde Provokation auch mal als fremdenfeindlicher Angriff interpretiert. Außerdem sei der Westen in den letzten Jahren als Kriegsakteur in der Region aufgetreten. In diesem Kontext sei eine satirisch gemeinte, letztendlich aber vorurteilsgetriebene Provokation, ganz anders interpretierbar. Man solle alles sagen können, aber nicht alles, was gesagt werde, sei auch vernünftig und gesellschaftlich sinnvoll, so Hafez.
    Satire habe auch einen gesellschaftlichen Auftrag. Karikaturen gegen den Religionsgründer, gegen den zentralen sakralen Kern einer Religion, halte er deshalb nicht immer für sinnvoll, weil sie hier fremdenfeindlich interpretiert werden könnten, auch von rechtsextremen Kreisen. Hier sei ein ganz seltsamer Schulterschluss von früher einmal links orientierter Aufklärung einerseits und rechtspopulistischen Bewegungen zu beobachten. Mehr Sensibilität sei hier sinnvoll. Wir wollten ja auch nicht, dass Muslime Deutsche pauschal als Rechtsradikale bezeichnen, nur weil es hier die NSU-Morde gegeben habe, sagte Hafez.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon begrüße ich zu diesem Thema jetzt Professor Kai Hafez, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Dialog zwischen dem Islam und der westlichen Welt und im Jahr 2001 war er der Leiter der Konferenz Medienethik im islamisch-westlichen Kontext unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. Guten Morgen, Herr Hafez.
    Kai Hafez: Schönen guten Morgen.
    Heckmann: Haben die neuen Mohammed-Karikaturen das Zeug, einen neuen Konflikt zwischen dem Islam und der westlichen Welt heraufzubeschwören?
    Hafez: Na ja, Religion ist eine sensible Angelegenheit in der islamischen Welt. Das stimmt soweit schon. Die Religion hat eine Funktion in solchen Entwicklungsgesellschaften als häufig das letzte psychologische Residuum in sonst problematischen Umfeldern. Das führt zu Sensibilität. Allerdings ist meine Erfahrung, dass solche Ausschreitungen von uns medial auch vergrößert werden. Ich war bei der Karikaturenkrise 2006 in Kairo. Das hat dort unten im Grunde niemanden interessiert. Das heißt, die Aufregung ist in der islamischen Welt in der Regel nicht ganz so groß, wie wir sie machen. Und wir müssen natürlich sehen, dass solche Karikaturen und auch solche Provokationen wie die von Houellebecq in einem Kontext stattfinden, der nicht ganz umsonst vielleicht Muslime erregt. Stichwort Islamfeindlichkeit in Europa. Die ist statistisch hoch. Wir haben gerade eine Studie gemacht für die Bertelsmann-Stiftung, die das erneut zeigt. Wir haben ein Problem mit Islamfeindlichkeit.
    Heckmann: Im Westen, auch in Frankreich, da gehen die Menschen auf die Straße, um für Freiheit zu demonstrieren, für die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, also für positive Werte aus Sicht derer, die da auf die Straße gehen. Und in der muslimischen Welt auf der anderen Seite, da gibt es Proteste gegen die Beleidigungen des Propheten durch Abbildungen. Die Menschen gehen auf die Straße, um für den Schutz der Religion zu demonstrieren, also ebenfalls für einen positiven Wert, kann man ja sagen. Beide Seiten fühlen sich im Recht. Ist das das Problem, dass sich niemand in die Lage des anderen versetzt?
    Hafez: Provokation als fremdenfeindlicher Akt interpretiert
    Hafez: Das kann man, glaube ich, so sagen. Was uns als Meinungsfreiheit erscheint, als gesunde Religionsprovokation, als Ausleben unserer liberalen Gesellschaft, ist natürlich in einem Kontext zu sehen der Einwanderungsgesellschaft mit ihren Islamophobien, mit unseren Restbeständen von Fremdenfeindlichkeit. Da wird eine gesunde künstlerische Provokation von Muslimen dann eben auch mal als fremdenfeindlicher Angriff interpretiert.
    Eine zweite Komponente kommt hinzu. Wir können das Ganze nicht nur in kulturell-religiösen Bahnen interpretieren. Der Westen ist in der islamischen Welt als Kriegsakteur aktiv unterwegs gewesen in den letzten zehn Jahren. Viele tausend auch Zivilisten sind gestorben durch amerikanische Angriffe. Das heißt, in diesem Kontext ist natürlich eine satirisch gemeinte, letztendlich aber sehr vorurteilsbeladene Provokation ganz anders interpretierbar. Ich glaube, wir machen uns diesen Kontext, der Muslimen sehr viel klarer, die Situation der Migration, aber auch die außenpolitischen Verwerfungen, nicht immer hinreichend klar und wären möglicherweise etwas sensibler. Man soll alles sagen können rechtlich, bin ich der Meinung, aber nicht alles, was gesagt wird, ist auch vernünftig und gesellschaftlich sinnvoll.
    Heckmann: Nach dem Terroranschlag in Paris, da wagte ja kaum jemand, diese Frage aufzuwerfen, ob es in Ordnung ist, Mohammed-Karikaturen zu veröffentlichen, allein schon, um nicht in Verdacht zu geraten, diese Morde zu legitimieren. Mittlerweile wird darüber intensiver diskutiert. Und es gibt ja unterschiedliche Traditionen, Herr Hafez, wenn man sich Deutschland anguckt im Vergleich zu Frankreich oder auch Großbritannien und die USA. Wie ist denn Ihre Meinung? Muss Satire alles tun dürfen?
    Hafez: Satire hat auch gesellschaftlichen Auftrag
    Hafez: Sie muss alles tun dürfen, sie muss aber nicht alles tun, denke ich mal. Satire hat auch eine gesellschaftliche Funktion, hat einen gesellschaftlichen Auftrag, und Karikaturen gegen den Religionsgründer, sozusagen auch in gewisser Weise den sakralen Kern einer Religion, halte ich nicht immer für sinnvoll, weil sie wie gesagt in einem fremdenfeindlichen Kontext entstehen und als Angriffe auf alle Muslime auch interpretiert werden können, auch von rechten Kreisen. Hier ist ja ein ganz seltsamer Schulterschluss zwischen im Grunde früher mal links orientierter Aufklärung einerseits und rechtspopulistischen Bewegungen, die wir gerade in Form von Pegida auch in Deutschland sehen. Also eine ganz seltsame Mischung, glaube ich, wo wir noch mal drüber nachdenken müssen, ob das, was wir als Meinungsfreiheit bezeichnen, hier tatsächlich immer sozial verantwortlich auch gehandhabt wird. Für rechtliche Verbote bin ich nicht, aber mehr kulturelle Sensibilität in einer multikulturellen Gesellschaft ist, glaube ich, etwas, was uns allen gut täte. Wir wollen ja auch nicht, dass Muslime Deutsche als pauschal rechtsradikal bezeichnen, nur weil es NSU-Morde gegeben hat in Deutschland. Also ich denke, hier möchte niemand mit Vorurteilen belegt werden.
    Insofern ist die Form der gesunden Kritik am Islam noch herauszubekommen. In der islamischen Welt gibt es eine lange Tradition übrigens der Kritik am Klerus. Das heißt, man unterscheidet dort eigentlich sehr zwischen Kritik an den heiligen Kernbestandteilen der Religion einerseits und einer Kritik an der institutionellen Praxis. Die ist erlaubt und die hat auch eine lange Tradition. Es gibt in Ägypten zum Beispiel sehr viele Cartoons, in denen man sich lustig macht über islamische Rechtsgelehrte. Das hat eine lange Tradition. Hier sollte man tunlichst unterscheiden. Papstkritik ist eine Sache, Gotteslästerung ist eine andere wahrscheinlich aus der Sicht vieler Muslime. Und ich denke, wir sollten über sinnvolle Strategien der Kritik auch in Form der Satire nachdenken.
    Heckmann: Ganz kurz noch abschließend. Diejenigen, die sagen, Mohammed-Karikaturen müssen möglich sein, die sagen ja auch, der Koran selber verbietet das gar nicht, sondern das wurde erst im 18., 19. Jahrhundert überhaupt durchgesetzt, diese Interpretation.
    Hafez: Absolut! Wir vergessen häufig, dass die islamische Welt ja nicht so restriktiv immer gewesen ist, wie sie heute im Kleide des Fundamentalismus daherkommt. Ganz im Gegenteil! Sexuelle Freiheit, zum Teil sogar Meinungsfreiheit und intellektuelle Auseinandersetzungen sind der islamischen Welt ja historisch überhaupt nicht fremd gewesen. Der Koran lässt sich in sehr unterschiedlichster Weise lesen und auch der Religionsgründer Mohammed war keineswegs lebensfremd, sondern ein recht lebensfreudiger Mensch in vielerlei Hinsicht. Insofern: Hier ist auch aus der islamischen Tradition selbst durchaus das Recht zur Kritik, Meinungsfreiheit und zur Auseinandersetzung angelegt und gefordert. Wie gesagt, aber mit der Unterscheidung erstens wer kritisiert, sind wir es, die starken Akteure aus dem Norden, ...
    Heckmann: Das Thema wird uns erhalten bleiben, wir müssen leider zum Schluss kommen, Herr Hafez. - Wir haben gesprochen mit Kai Hafez, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Uni Erfurt. Danke für das Gespräch!
    Hafez: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.