Freitag, 29. März 2024

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Musikerin LoneLady
Post-Industrielles aus Manchester

LoneLady alias Julie Campbell stammt aus Manchester. Für ihr zweites Album 'Hinterland' hat sie sich vom architektonischen Erbe der Industriellen Revolution in ihrer Heimatstadt inspiriert worden: ein souveräner, reduktionistischer Mix aus Drumloops, Gitarre und Stimme.

Von Paul Baskerville | 06.03.2016
    Julie Ann Campbell alias LoneLady aus Manchester.
    Julie Ann Campbell alias LoneLady aus Manchester. (ALAIN JOCARD / AFP)
    Musik "Intuition" - LoneLady
    Manchester, die britische Kultmusikstadt schlechthin. Dort ist Julie Campbell alias LoneLady aufgewachsen:
    "I was born here, I never lived anywhere else, it’s in my DNA to some extent."
    Von Manchester-Musik einer vergangenen Ära geprägt:
    "The songs are a lot longer, evoking the dance 12" era"
    Über die Manchester Legende New Order:
    "They’ve got really nice houses while I’m slumming it."
    LoneLady: authentischer Postpunk.
    "My life’s pretty real, there’s nothing soft about my life."
    "Postindustrielles aus Manchester. Die britische Musikerin LoneLady. Eine Sendung von Paul Baskerville.
    Musik "Intuition"
    Der Künstlername passt schon: LoneLady alias Julie Campbell ist eine Eigenbrötlerin: Sie lebt allein, arbeitet allein, hat nur Musiker um sich herum, wenn sie eine Begleitband für Konzerte braucht. Sie etablierte sich sehr schnell mit ihrem Debüt "Nerve up". Das aktuelle Album "Hinterland" ist tanzbar, beinhaltet aber keine klassische Dance-Musik. Dance- und Funk-Einflüsse sind zwar oft im Vordergrund, dennoch ist das aggressive, angespannte Postpunk-Feeling, das man vom Debüt kennt, noch deutlich spürbar. Ihre Texte sind düstere Darstellungen der tristen Landschaft ihrer Heimatstadt Manchester. Campbell bereut es, dass sie fünf Jahre gebraucht hat, bis das zweite Werk "Hinterland" erschien:
    "Ich kann die Uhr nicht zurückdrehen. Ich kann es nicht ändern. Ich bin mit dieser neuen Platte zufrieden, ich möchte fokussiert bleiben und hoffe, dass es nie wieder so lange dauern wird. Die Pause war auf praktische Faktoren zurückzuführen, die mit der Musikindustrie zu tun haben. Das sind Probleme, die für das Publikum nicht leicht zu verstehen sind. Ich hatte das Album Hinterland schon nach 18 Monaten fertiggestellt. Ich möchte unbedingt neue Songs schreiben und ungehindert weiter arbeiten. Gewisse Faktoren haben dieses Album geprägt. Der Kern dieser Platte ist der Drum Computer. Ich wollte, dass der immer und immer weiter läuft. Die neuen Songs sind deutlich länger als beim Debütalbum, und sollen das Feeling der Maxisingle Dancefloor Ära hervorrufen. Die Arrangements sind etwas verspielter. Ich sehe das Album definitiv als eine buntere, verspieltere Angelegenheit, im Vergleich zum Album davor. Bunt wie ein Kaleidoskop. "Nerve up" war vergleichsweise monochrom, die Songs waren eher kurz und bündig. Die Basis des Lieds "Groove it out" auf "Hinterland" zum Beispiel besteht aus zwei Noten und zeigt, dass das Thema Rhythmus bei dieser Platte mehr im Vordergrund steht. Ich bin nie davon ausgegangen, dass die Leute wirklich zu meiner Musik tanzen würden, aber es passiert oft, dass bei den Konzerten viel getanzt wird. Das finde ich erstaunlich, und auch toll. Wenn die Leute sich zu deiner Musik bewegen, ist es eine sehr ehrlich, direkte Reaktion auf die Musik."
    Musik "Groove it out"
    Es gibt genügend Künstler aus Manchester, die es nicht für nötig hielten in ihrer Heimat zu bleiben. Morrissey zog irgendwann nach Los Angeles. Oasis verließen Manchester so schnell wie möglich und wurden in London sesshaft. Aber LoneLady braucht Manchester für ihre Inspiration. Es ist sicher kein Zufall, dass ihre größten Vorbilder Manchester- Musiker sind, die sich so eng mit der Stadt verbunden fühlen, dass sie nie weggezogen wären. Bands, die den sogenannten Sound von Manchester mit geprägt haben:
    "Ich bin halt in Manchester geboren, habe nie irgendwo anders gelebt. Die Stadt liegt mir gewissermaßen im Blut. Aber ich liebe nicht alle Bands aus Manchester, bin schon differenziert. Übrigens habe ich keine Aversion gegen die Manchester Band Simply Red. Ich finde sie ganz gefühlvoll, auch wenn sie Mainstream sind. Aber natürlich liebe ich Joy Division und die frühen New Order. Die Band Section 25 wird oft übersehen. Ihre beiden Alben sind wunderschön, strahlend aber subtil. Ich mag aber nicht ausschließlich Musik aus Manchester. Wenn ich Musik schreibe, dann spontan. Die Klänge entstehen bei mir einfach, aber ich habe mich immer von Musik angezogen gefühlt, die überwiegend aus den späten 70er Jahren und den frühen 80er Jahren stammt. Den Stand der Technologie damals fand ich interessant: Wie die Drum Computer und Mischpulte damals waren. Die Töne, die man damals damit zustande brachte, sind für meine Ohren irgendwie genau richtig."
    Musik "Horizon" - Section 25
    Es gibt viele Arbeiterviertel in der Innenstadt von Manchester. Die reichen Fußballspieler und Popstars wohnen normalerweise in den Vororten von Greater Manchester im Süden der Stadt. Es gibt ein nettes angesagtes Viertel Chorlton, das aber für viele Menschen unerschwinglich ist. LoneLady wohnt in Ardwick, in einer sozial extrem schwachen Gegend, wo Hausratsversicherungen schwer zu bekommen sind: wegen der zahlreichen Einbrüche. Auf die steinreiche Generation von Musikern vor ihr - darunter ihre Helden New Order - ist sie nicht neidisch.
    "Ich bin New Order nie begegnet. Sie haben ihren Erfolg verdient und wohnen bestimmt in sehr schönen Häusern in den Vororten, während ich noch im Slumviertel wohne, also werden wir uns kaum über den Weg laufen. Ich kann mir auch nicht leisten woanders hinzuziehen. Ich kann es mir nicht mal leisten nach Chorlton zu ziehen, aber so ist es nun mal."
    Musik "If not now" - LoneLady
    Das Titelstück des neuen Albums trägt den deutschen Namen "Hinterland", denn LoneLady mag die deutsche Sprache. Der Begriff "Hinterland" existiert schon als englisches Fremdwort. Wie es sich für ein Titelstück gehört, verkörpert der Song das Feeling des ganzen Albums, aber er zeigt auch die ganze Bandbreite von LoneLady: Sogar ein Cello kommt ins Spiel. Es untermalt die melancholische, aber tanzbare Stimmung der Musik.
    "Weißt Du, ich hatte mich tatsächlich für einen Deutschkurs angemeldet. Ich wollte eine andere Sprache lernen, und vor allem irgendetwas machen, das mit Musik nichts zu tun hat. Mein Zeitplan hat es aber nicht zugelassen. Ich bekomme immer noch von der Fremdsprachenschule Emails zugeschickt, aber ich bekomme es momentan zeitlich nicht hin. Vielleicht komme ich in paar Jahren hierher zurück und kann mit Dir deutsch sprechen. Man weiß es nie. Ich habe mit circa 18 Jahren klassische Musik entdeckt und ich entschied mich dafür Cello zu lernen und bekam Unterricht, aber ich kann es nicht mehr so gut spielen, also bitte mich nicht darum eine Sonate zu spielen. Ich habe Funkmusik schon immer geliebt, Künstler wie Parliament, Betty Davis, Rufus und auch Prince. Ich habe viel von deren Gitarrenspiel gelernt, nämlich die knappe, funky Art des Spiels. Das Stück Hinterland ist so etwas wie ein Grundpfeiler zum Album. Die funky Arrangements treffen auf Texte, die vom Stadtviertel Audenshaw in Manchester-Ost handeln wo ich aufgewachsen bin. Audenshaw ist als Ort wirklich sehr unfunky. Aber diese kontrastreichen Aspekte verleihen der Musik ihren Charakter."
    Musik - "Hinterland"
    LoneLady arbeitet am liebsten allein und verzichtet größtenteils sogar auf einen Produzenten. Dennoch hat sie mit "Hinterland" ein reichhaltiges, vielfältiges Album hinbekommen, und eine mitreißende Stimmung vermittelt. Aber die Basis des Ganzen bleibt intim.
    "Das Album wurde in meinem Heimstudio abgemischt, aber ich habe den Prozess in einem Analogstudio beendet, also ein Linn Drum Computer ist dabei, und weiteres Analogequipment aus den 60er und 70er Jahren. Das rundet den Sound und das Feeling ab. Aber circa 75 Prozent der Arbeit wurde in meinem Heimstudio gemacht. Ein Studio zu Hause schafft eine Intimität, die sehr wertvoll ist. Ich kann Takes immer wieder aufnehmen, niemand kann meine Privatsphäre beeinträchtigen. Es wäre Wahnsinn gewesen, wenn ich das alles für ein steriles professionelles Studio getauscht hätte. Ich hätte nie dieselbe Atmosphäre schaffen können."
    Musik "Bunkerpop"
    Für LoneLady kommt nicht infrage, eine extrem kommerziell ausgerichtete Platte zu veröffentlichen, wie es New Order mit "Technique" vorgemacht haben. LoneLady will die verbissenen Prinzipien des Indie-Rocks nicht über Bord werfen.
    "Nein, nicht in absehbarer Zeit. Ich glaube, so was hängt davon ab, in welcher Lebensphase man sich befindet: Ich habe das Gefühl, dass ich noch so viel tun muss, ich möchte beträchtliche Werke schaffen. Es ist nicht lange her, dass mein Studio noch sehr einfach ausgestattet war. Als ich anfing, war das Grundequipment ein vierspuriges Kassettendeck. Ich bin inzwischen zwar deutlich weiter, aber meine ersten musikalischen Erfahrungen setzten einen Maßstab für mich. Ich begriff, dass ich die Arrangements gerne sparsam halte. Das entspricht meinem musikalischen Instinkt. Ich fühle mich eher zu Lo-fi Klängen hingezogen. Ich behaupte nicht, dass alle das so machen müssen, aber so entsteht die Musik bei mir. Ich habe allerdings nur zwei Alben gemacht, wer weiß was noch kommt. Ich habe nie ein potenzielles Publikum im Kopf, wenn ich was schreibe. Es geht um meine eigene Fantasiewelt. Ich hoffe, dass es dabei bleibt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, sich in der Situation von New Order zu befinden. Sie haben bedeutende Werke hervorgebracht und sind sehr berühmt, also ist ihre Perspektive ganz anders als meine. Ich würde es zwar sehr begrüßen, wenn sie wieder ein Album wie ihr Debüt "Movement" machen würden, aber so läuft es nicht."
    Musik "Ceremony” - New Order
    Lonelady’s Musik wirkt bodenständig, authentisch. Auch ihre zurückhaltende Persönlichkeit trägt dazu bei.
    "Ich mache ich mir keine Sorgen um Authentizität. Mein Leben ist ganz schön echt. Ich bin nicht gerade weich gebettet. Meine Musik ist wie der Sound der industriellen Zertrümmerung, das ist der Sound meines Lebens. Ich glaube, dass introvertierte Menschen wie ich eine Menge zu bieten haben, und zwar genau so viel wie Menschen, die sich offensichtlich auf einer Bühne wohl fühlen. Introvertiertheit verbirgt Qualitäten, die aber durchaus wichtig sind. In der Mainstreammusik gibt es das kaum, da sind eher Leute vertreten, die sich sehr wohl auf einer Bühne fühlen. Wir hatten das Thema New Order schon, und ich liebe es ganz alte Videoclips von der Band zu sehen, weil sie so introvertiert ‚rüberkamen. Jedes Bandmitglied befand sich anscheinend in seiner eigenen einsamen Welt. Sie hatten aber auf ihre Weise genau so viel Spaß wie andere Menschen, aber auf ihre eigene private intime Art. Das ist genau so ein gültiges Kunst-Statement wie normale Popmusik. Gerade diese Schüchternheit lenkt meine Aufmerksamkeit auf New Order und fesselt mich. Ihre alten Clips trösten mich irgendwie. Ich weiß, ich bin nicht entspannt auf der Bühne, aber es ist völlig ok so."
    Noch vor fünf Jahren, hatte LoneLady im Interview geklagt, dass sie Live-Auftritte hasst, weil sie einfach ungerne im Rampenlicht steht. Ist das nun im Laufe der Zeit besser geworden? Vielleicht entwickelt sie sich allmählich zum extrovertierten Popstar wie Florence & The Machine.
    "Es ist ein bisschen besser geworden. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Du hast die Erlaubnis mich zu erschießen, falls ich jemals wie Florence werde aber das wird schon nicht passieren. Ich habe nicht die seelische Struktur, um so werden zu können."
    Musik "Immaterial" - LoneLady
    LoneLady könnte sich nie vorstellen, überhaupt mit anderen Musikern im Studio zu arbeiten, oder sogar Co-Autoren für ihre Songs zu gewinnen.
    "Ich wüsste nicht, wie ich anstellen sollte. Ich habe so viele neue Songs, die ich veröffentlichen möchte und Platten, die ich machen will. Ich möchte einfach loslegen und nicht abgelenkt sein. Ich möchte, nicht, dass ein anderer sich da einmischt. Aber ich habe nie anders gearbeitet. Es wird manchmal ein bisschen einsam. Die Gefahr ist halt, dass man sich zu sehr in seine eigene Fantasiewelt vertieft. Als ich mit diesem Album fertig wurde, war es sehr schwierig mich wieder in die normale Gesellschaft zu integrieren. Der Prozess ging nur stufenweise."
    Nach zwei Alben hat LoneLady alias Julie Campbell sich künstlerisch entwickelt und an Ansehen gewonnen. Die Zukunft leuchtet hell für die eigenwillige Dame.
    Postindustrielles aus Manchester. Ein Porträt der britischen Musikerin LoneLady. Eine Sendung von Paul Baskerville
    Musik "Sievering"