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"Nach zehn Jahren kann ich nicht mehr"

Seit der Amtszeit von Präsident Viktor Janukowitsch, also seit gut einem Jahr, ist die Ukraine im Ranking von "Reporter ohne Grenzen" hinter den Irak gefallen. Dar’ya Horowa, Journalistin aus Kiew, liebt ihren Beruf und will ihn trotzdem aufgeben.

Von Pauline Tillmann | 30.04.2011
    Dar’ya Horowa hat in Lemberg, im Westen der Ukraine, Journalistik studiert – parallel dazu hat sie für die Zeitung "Ukraina Moloda" gearbeitet, und auch fürs Nachrichtenmagazin "Nowynar". In Deutschland war sie zwei Monate beim Goethe-Institut und hat bei der Deutschen Welle hospitiert – beim Radio und beim Fernsehen, also in Bonn und in Berlin.

    "Wenn du mit deutschen Leuten ein Interview machst, das ist schon ein bisschen komplizierter als hier – weil du sollst jedes Wort verstehen. Und zum Beispiel wenn Leute aus Bayern gesprochen haben, das war ziemlich kompliziert alles zu verstehen. Doch du sollst ziemlich schnell reagieren und neue Fragen stellen."

    Am meisten hat sie überrascht, dass alle pünktlich sind, sogar die Minister. In der Ukraine ist das anders. Und auch sonst ist in ihrem Heimatland einiges anders als in Deutschland. Zum Beispiel gibt es kaum Medienvielfalt. Das heißt, zum einen weniger Masse, aber vor allem auch weniger Klasse. Der Grund dafür: Die meisten Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsender werden von einer kleinen Gruppe von wohlhabenden Geschäftsleuten beherrscht – von den ukrainischen Oligarchen. Die meisten von ihnen stehen der Regierung nahe.

    Eine Untersuchung hat vor kurzem ergeben, dass 86 Prozent der politischen Berichte über Janukowitsch und sein Kabinett handeln, und nur 14 Prozent von der Opposition. Wenn es nach Dar’ya Horowa geht, ist das größte Problem:

    "Ist natürlich Zensur. Und auch dass Politiker Zeitungen haben. Und auch dass nicht sehr viele Leute professionelle Leute im Journalismus arbeiten, weil die Löhne sehr niedrig sind. Und zum Beispiel beim 5. Kanal – habe ich gehört – bekommt man 300 Dollar im Monat. Das ist ein Lohn für Studenten oder ich weiß nicht für wen, für einen Schüler. Auch du Student bist, braucht du doch mehr als 300 Dollar."

    Von 300 Dollar, also umgerechnet 200 Euro, könne man in der ukrainischen Hauptstadt Kiew kaum überleben, meint die 27-Jährige:

    "Man arbeitet sieben Tage pro Woche, man bekommt keine Feiertage und sehr niedrigen Lohn. Und dann bekommt der Besitzer eine neue Idee und sagt: 'Nee, ich möchte jetzt nicht mehr eine Zeitung haben. Auf Wiedersehen.' Und die Leute sind da. Und ich habe das schon zwei Mal überlebt und ich möchte das nicht mehr."

    Deshalb ist Dar’ya hin- und hergerissen – zwischen Weitermachen und Aufhören.

    "Ich bin echte Journalistin. Ich bin neugierig. Und ich mag diese Atmosphäre, diese Kontakte, immer irgendwohin reisen, neue Themen zu finden und den Leuten helfen mit diesem Material und den Artikeln. Aber ich bin satt. Nach zehn Jahren kann ich nicht mehr."

    Obwohl sie nicht über Politik berichtet, sondern über Kultur und Tourismus, sitzt der Frust tief. Gründe dafür gibt es viele: Dass man es in der Ukraine mit dem Urheberrecht nicht so genau nimmt, ist einer. Oder auch dass die Meinung der Zeitung oder des Fernsehsenders vom Inhaber diktiert wird, also vor allem Selbstzensur stattfindet. Und nicht zuletzt dass sie das Gefühl hat, durch ihre Artikel und Beiträge im Land selber kaum etwas bewegen zu können.

    "Das heißt nachdenken, so ruhig halten und alles im Kopf in Ordnung bringen. Und auf das Herz hören und sagen: 'Was möchtest du, Dar’ya? Wenn nicht Journalistik nicht, dann was?' Und dann bekomme ich die Antwort."

    Dar’ya sagt, sie wollte schon immer etwas Nützliches machen. Lange Zeit hat sie geglaubt, dass das mit Journalismus möglich sei. Am liebsten würde sie lange Artikel schreiben: Analysen, Meinung, Hintergrund. In Deutschland ist das gefragt. In der Ukraine weiß man damit offenbar nichts anzufangen.