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Nazi-Mitgliederwerbung unter Hip-Hoppern in der Uckermark

Der geläuterte Rechtsextremist, der Antifa-Aktivist und eine afrodeutsche Antirassismustrainerin treffen in dieser Dokumentationsinszenierung aufeinander. Und zeigen deutlich, wie stark verankert Rechtsextremismus auch nach den aufgedeckten NSU-Morden noch ist.

Von Maximilian Großer | 22.02.2013
    "2008. In einer Garage in der Uckermark. Vor mir 20 bis 30 junge Leute. Meine Aufgabe war es, der Jugend den nationalistischen Gedanken nahezubringen. Und ein Kameradschaft aufzubauen."

    Kevin Müller. Erst Hip-Hopper, später Punk, dann NPD-Funktionär in Berlin. Mit Anfang 20 schickt ihn die Partei zur Rekrutierung orientierungsloser Jugendlicher in die Uckermark. Im Gepäck: Landser-Musik und Parteiausweis. Neue Mitglieder findet er schnell. Denn: Bomberjacke und Schnürstiefel gehörten damals nicht mehr zum Propagandarepertoire der Neonazis.

    "Wir wollten auch auf diejenigen attraktiv wirken, die keine Glatze trugen oder zum Beispiel Hip-Hip hörten. Finanziert haben wir uns mit 35 Euro, die jedes Mitglied bezahlte. Ansonsten bekamen wir auch Geld vom Verfassungsschutz."

    Mit dem Staatssalär vom Verfassungsschutz finanzierte die Kameradschaft ihre verfassungsfeindlichen Aktionen – so erzählt es der Ex-Nazi Kevin Müller, der seine Vergangenheit auf einer gekippten Spielfläche in der Mitte einer Theaterbühne des Potsdamer Hans-Otto-Theaters dokumentiert.

    Hinter ihm liegen edle BMX-Räder, den Bühnenrand umlaufen Fahrradrampen aus Holz – eine Atmosphäre wie in einer Skaterhalle. Hier, nach seiner dritten Wandlung, gibt Kevin Müller einen erschreckend nüchternen Einblick in seine Kaderarbeit, seine Faszination für rechtsextreme Ideologie. Und in die Hintergründe seines Ausstiegs. Ohne den würde er nicht im Theater stehen, schon gar nicht neben Manuela Ritz, einer afrodeutschen Antirassismustrainerin.

    "Als das vorgeschlagen wurde, das Kevin mein Konterpart ist, war ich schon so: OK, will ich das, will ich das nicht? Und dann ging es darum, einfach zu gucken. Ich finde es sehr spannend, dass wir uns wirklich nah gekommen sind, über die Proben hinweg. Ich würde jetzt nicht dauernd mit Kevin um die Häuser ziehen, aber das ist schon ein freundschaftliches Verhältnis. Und was für mich spannend ist, aus persönlichen Erfahrungen noch mal zu erleben, wie rechte Jugendliche catchen."

    Auf der Bühne macht Manuela Ritz die eigenen Erlebnisse - rassistische Übergriffe zum Beispiel - erfahrbar und zeigt, wie tief verwurzelt fremdenfeindliches Denken in Deutschland ist.

    Die Psychologin Renate Kreibich Fischer und die Fernsehjournalistin Lea Rosh haben gemeinsam mit Regisseur Clemens Bechtel das Dokumentartheaterstück "Mit Tötungsdelikten ist zu rechnen" entwickelt. Der brisante Titel stammt aus einem aktuellen BKA-Dossier über Rechtsterror. Die Suche nach geeigneten Mitspielern für diese schockierende Theaterarbeit über Rechtsextremismus begann allerdings schon vor der Aufdeckung des NSU. Lea Rosh:

    "Wir sind zu Aussteigerorganisationen gegangen, also Exit, Reach Out und so weiter, auch zu den türkischen Verbänden. Wir dachten, es müsste doch ganz einfach sein, Mitspieler zu bekommen. Die haben uns gar niemand genannt. Das Argument, was mich dann überzeugt war: Sie haben Angst, in die Öffentlichkeit zu gehen, und über ihre Diskriminierung zu reden. Sie fürchten sich. Lieber sind sie natürlich die integrierten Bürger dieses Landes."

    Auch die sechs mutigen Akteure gegen rassistisches Gedankengut, die jetzt auf der Bühne stehen, müssen Anfeindungen nicht nur aus dem rechtsextremen Spektrum fürchten. Dennoch protokollieren sie detailreich die vorsätzliche Blindheit gegenüber Rassismus, rechten Extremismus und Rechtsterrorismus. Ihre Chronik der Ignoranz, umspannt dabei die vergangenen 20 Jahre. Die sechs Alltagsdokumentaristen sezieren dabei, wie gesellschaftlich etabliert die rechte Szene inzwischen ist, die mittlerweile über Kindergärten und Jugendclubs agiert. Das Versprechen des Bundespräsidenten Joachim Gauck, rassistisch bedrohte Minderheiten könnten bald neues Vertrauen in Deutschland fassen, wirkt vor diesem Hintergrund wenig kraftvoll. Das zeigt auch der Auftritt von SPD-Politikerin Eva Högl, die aus dem NSU-Untersuchungsausschuss berichtet.

    "Wir haben im NSU-Untersuchungsausschuss viele Zeugen, die der Auffassung sind, es sind keine Fehler gemacht worden. Aber es ist völlig klar, dass Fehler gemacht worden sind. 14 Jahre sind die drei untergetaucht gewesen, haben zehn Menschen ermordet. Das heißt, die Bereitschaft, Fehler zu erkennen und daran zu arbeiten, dass das nie wieder passiert, ist sehr gering. Die Behörden sind auf dem rechten Auge blind. Auch das wird angesprochen in diesem Theaterstück."

    Infos:
    "Mit Tötungsdelikten ist zu rechnen" am 23. Februar, 1. März und 5. März 2013 um 19.30 im Potsdamer Hans-Otto-Theater. Eine Tour der Produktion ist in Planung.