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Nicht nur "Gemüse im Kopf"

Leben mit einer zerebralen Bewegungsstörung, davon erzählt der polnische Film "In meinem Kopf ein Universum". "Cake" beleuchtet das Leben einer Frau, die von Schmerzen gezeichnet ist und in "Der kleine Tod" geht es um Sex. Welche Filme wirklich lohnen, verrät Jörg Albrecht.

08.04.2015
    Anka (Anna Karczmarczyk) und Mateus (Dawid Ogrodnik) in einer Szene des Kinofilms "In meinem Kopf ein Universum".
    Anka (Anna Karczmarczyk) und Mateus (Dawid Ogrodnik) in einer Szene des Kinofilms "In meinem Kopf ein Universum". (picture alliance / dpa / MFA+ FilmDistribution e.K.)
    "In meinem Kopf ein Universum"
    "Hallo, ich bin die neue Praktikantin. Ich werde dir ab heute beim Essen helfen.
    Sie hat auch nicht kapiert, dass es im Sitzen einfacher wäre. Aber ihr könnte ich verzeihen. Ich hatte eine zehnstufige Bewertungsskala. Die schlechteste Bewertung hat meine Schwester von mir bekommen. Sie ist auf der Eins gelandet. Dann war es doch besser "Gemüse" zu sein."
    So ist Mateus, als er noch klein war, einmal von einer Ärztin bezeichnet worden. Er sei "Gemüse" – also ein menschliches Wesen ohne Denkvermögen. Eine fatale Fehldiagnose. Denn was weder die Ärztin noch alle anderen Menschen in seiner Umgebung ahnen: Mateus' Verstand ist hellwach. Daran lässt auch seine innere Stimme, die immer wieder zu hören ist im Film "In meinem Kopf ein Universum", von Beginn an keinerlei Zweifel. Dabei scheint sie so gar nicht passen zu wollen zu dem jungen Mann, der mit einer zerebralen Bewegungsstörung auf die Welt gekommen ist und nicht auf normalem Weg mit seiner Umwelt kommunizieren kann.
    Mateus wächst zwar bei Eltern auf, die sich liebevoll um ihn kümmern, aber auch sie erkennen nicht, dass der Junge ausschließlich ein körperliches Handicap hat. Als der Vater stirbt und sich die Mutter nach einem Unfall nicht mehr um ihn kümmern kann, kommt Mateus in ein Heim für geistig Behinderte. Dort wird eine Psychotherapeutin auf ihn aufmerksam.
    "Das hier ist unser Mateus. 26 Jahre lang war keinerlei Kontakt möglich."
    Nach und nach findet die Therapeutin Zugang zu Mateus und Wege, sich mit ihm verständigen zu können.
    "Sehr gut. – In dieser Reihe? Dieses Kästchen? Gemüse. Ich bin kein Gemüse? ... Fragen Sie ihn! – Wolltest du mir etwa sagen, dass du kein Gemüse bist?"
    Selten hat ein Film so bewegend und gleichzeitig doch so leicht, manchmal sogar unerwartet heiter aus dem Leben eines Behinderten erzählt. "In meinem Kopf ein Universum" vermeidet unnötige Sentimentalitäten. Der Film wirbt für ein Leben jenseits der Norm und dafür, sämtliche Facetten des Menschseins zu akzeptieren. Großartig sind die Leistungen der beiden Schauspieler, die Mateus verkörpern.
    Der echte Mateus, der Przemek heißt und auf dessen Lebensgeschichte dieser Film basiert, lebt immer noch in dem Heim für geistig Behinderte. Dass er sich dort Zuhause fühlt, ist die wohl schönste Werbung für die Inklusion. Auch davon erzählt "In meinen Kopf ein Universum".
    Herausragend.
    "Cake"
    "Ich habe sehr starke Schmerzen."
    "Ich weiß."
    "Manchmal habe ich den Verdacht, Sie halten mich für ein unkooperatives altes Miststück, das Ihnen die ganze Zeit nur etwas vormacht."
    "Wollen Sie, dass es Ihnen besser geht?
    "Das will ich."
    Es ist nicht unbedingt ein schauspielerisches Leichtgewicht wie Jennifer Aniston, das einem einfällt, wenn die Rolle einer Schmerzpatientin zu besetzen ist. Julianne Moore wäre eindeutig die bessere Wahl gewesen. Cate Blanchett und viele andere auch. Aber wir wollen nicht unfair sein: Jennifer Aniston macht ihre Sache ordentlich.
    Das Problem ist hier auch weniger die Hauptdarstellerin. Es ist die Geschichte und ihre Inszenierung. "Cake" – der Titel spielt auf eine Szene an, in der eine Torte für die von Aniston gespielte Claire zu einem Befreiungsschlag wird – "Cake" mäandert durch das Leben einer von Schmerzen gezeichneten Frau. Nach einem Unfall, der nicht näher beschrieben wird, hat sie mit ihrer zynischen und verletzenden Art sämtliche Menschen vertrieben. Außer ihrer Haushälterin hält es niemand mehr mit ihr aus.
    Regisseur Daniel Barnz hat offensichtlich geglaubt, die Wirkung der Geschichte würde sich dadurch verstärken, dass man sie nur möglichst sperrig und spröde in Szene setzt. Als Charakterstudie aber ist "Cake" zu unfokussiert.
    Zwiespältig.
    "Der kleine Tod. Eine Komödie über Sex
    "Ich muss doch irgendetwas tun können. Ich will sie doch nur glücklich machen."
    "Was ist nur aus dem guten alten, stinknormalen Sex geworden? ..."
    Eine gute Frage angesichts von sexuellen Spielarten, für deren Erklärung ein Lexikon vonnöten wäre, gäbe es nicht den australischen Filmemacher Josh Lawson. Der leistet in "Der kleine Tod. Eine Komödie über Sex" Aufklärungsarbeit, indem er unter anderem von der Dacryphilie erzählt, der sexuellen Erregung durch das Beobachten einer weinenden Person, oder auch vom Rollenspiel-Fetisch.
    "Entschuldige Dan, ich bin etwas verwirrt."
    "Dan? Es heißt Herr Doktor. Jetzt können wir von vorne anfangen. ... Es wurde gerade interessant."
    "Inwiefern interessant? Wieso habe ich Hepatitis?"
    "Weil ich dachte, deine Figur wäre dann ... ein bisschen nuttig. Ich dachte, das wäre sexy."
    "Aber wenn du so eine Krankheit diagnostizierst, läuft garantiert nichts zwischen uns."
    Fünf Paare – alle Mitte 30. Fünf Geschichten über sexuelle Fantasien. Die sind zweifellos ein unerschöpflicher Fundus für Dramen wie Komödien. Josh Lawson hat sich für die zweite Variante entschieden und damit Erfolg. Seine Versuchsanordnung über vermeintliche Tabuthemen ist unverkrampft, witzig und charmant. Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber garantiert nicht in "Fifty Shades of Grey" zu sehen bekommen haben, bietet "Der kleine Tod. Eine Komödie über Sex".
    Empfehlenswert.