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Neue Hoffnung für die Gegner

Der Bau von Stauseen stößt manchmal auf den Widerstand der Anwohner, so zum Beispiel im dünn besiedelten Nordosten Portugals. Dort soll eine historische Eisenbahnlinie einem großen Staudammprojekt weichen.

Von Tilo Wagner | 03.01.2011
    Die Eisenbahnlinie entlang des Flusses Tua im Nordosten Portugals weckt bei vielen Portugiesen die Erinnerung an eine langsamere Zeit. Der Volksmund sagt der Zugverbindung zwischen dem Douro-Fluss-Tal und der Provinzstadt Bragança nach, dass die Reisenden während der Fahrt aussteigen, ein paar Trauben pflücken und problemlos wieder einsteigen konnten, ohne dass der Zug wirklich anhielt. Garciela Nunes wuchs in der Region Trás-os-Montes auf, übersetzt heißt das wörtlich: "Hinter den Bergen". Wie viele andere aus der abgelegenen Gegend verließ sie ihre Heimat, um in Lissabon zu studieren und später dort Lehrerin zu werden. Doch die Bahnfahrt nach Hause gehörte zu den schönsten Momenten ihres Lebens:

    "Die Bahnlinie ist atemberaubend schön. Wenn wir in den Ferien entlang des Flusses nach Hause fuhren, stand wir an den Fenstern, sangen Lieder und waren des Lebens froh. Es kann nichts Besseres geben, als uns dieses Gefühl zu bewahren."

    Jetzt steht die historische Eisenbahnstrecke vor dem Aus. Das enge Tal, das mit seinen Granitfelsen, Brücken aus dem 19. Jahrhundert und dem wilden Flusslauf Eisenbahn- und Naturfreunde gleichermaßen entzückt, soll auf einer Länge von 16 Kilometern von einem Stausee überspült werden. So sieht es der Plan des ehemals staatlichen Elektrizitätsunternehmens EDP vor. Das Projekt genießt den Rückhalt der portugiesischen Regierung. Premierminister José Sócrates erklärte bei der Präsentation einer neuen Energiestrategie für Portugal:

    "Wir müssen Stauseen bauen. Und zwar so schnell wie irgend möglich, um die Fehler auszubügeln, die Portugal in der Vergangenheit getan hat. Wir galten als das Land in Europa, dass sein Wasserkraft-Potenzial am wenigsten genützt hat. Wir haben den Kontroversen immer klein beigeben. Das Land stand still, nur weil es immer hieß: Stauseen bauen, das ist ein Problem. Das geht so nicht weiter."

    In Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrise ist die Energiepolitik das letzte verbliebene Ressort, mit dem die Regierung auch international ihr Ansehen aufpolieren kann. Mittlerweile stammen zwei Drittel der konsumierten Elektrizität in Portugal aus erneuerbaren Energien, 40 Prozent aus der Wasserkraft. Portugal, das über keine eigenen fossilen Brennstoffe und keine Atomenergie verfügt, kann so auch die externe Abhängigkeit von Energieimporten verringern – und das wirkt sich positiv auf die Staatsfinanzen aus. Doch Umweltverbände und die Grüne Partei im Parlament bezweifeln, dass die vom aufgestauten Tua-Fluss produzierte Energie die Gesamtbilanz tatsächlich stark verbessert. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang auch, dass die Regierung riesige Bauvorhaben mächtiger Energiekonzerne unterstützt, aber kein Umdenken im individuellen Personennahverkehr oder in der Energieeffizienz herbeiführt. Graciela Nunes, die mit Freunden und Bekannten eine Bürgerinitiative gegen den Stauseebau ins Leben gerufen hat, findet deutliche Worte:

    "Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Stausee an der geplanten Stelle die Entwicklung der Region fördern soll. Das ist doch die zentrale Frage hier. Denn es wird eine 123 Jahre alte Eisenbahnlinie unterspült, deren historischer Wert international anerkannt ist."

    Hinter dieser Argumentation versteckt sich ein weiteres Konfliktpotenzial: Die Region Trás-os-Montes gehört zu den ärmsten Landstrichen Portugals. Seit Jahrzehnten ziehen immer mehr junge Menschen aus der landschaftlich schönen, aber wirtschaftlich unterentwickelten Bergregion weg. Und mit der schwindenden Bevölkerung zieht sich auch der Staat zurück: Grundeinrichtungen wie Schulen oder Gesundheitszentren werden geschlossen. Graciela Nunes glaubt, dass die Eisenbahnlinie ein enormes touristisches Potenzial hat und die Region wiederbeleben könnte:

    "Wir glauben, dass in fünf bis zehn Jahren viele Menschen wieder zu ihren Ursprüngen zurück möchten. Auch ich möchte zurück. Aber es ist wichtig, dass es dort etwas gibt, das uns Lebensqualität garantiert."

    Das Energieunternehmen EDP wollte eigentlich schon mit den Bauarbeiten des 170 Meter hohen Staudamms beginnen. Im Eilverfahren hatte das Projekt die bürokratischen Hürden genommen. Als die Gegner des Projekts beim zuständigen staatlichen Institut einen Antrag stellten, die Bahnlinie als geschütztes Kulturgut einzustufen, wurden sie erst gar nicht angehört. Der Prozess wird nun neu eröffnet. Und Graciela Nunes und Tausende von Unterstützern, die sich über mehrere Internetblogs organisiert haben, schöpfen neue Hoffnung.