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Neuroleptika können Sterberate steigern

Demenzkranke bekommen zur Behandlung häufig sogenannte Neuroleptika. US-Wissenschaftler haben nun die Daten von 75.000 verstorbenen Heimbewohnern mit Blick auf diese Mittel ausgewertet. Ein Ergebnis: Vor allem das Medikament Haldol bzw. Haloperidol führt bei vielen Patienten früher zum Tod.

Von Michael Engel | 06.03.2012
    Nicht immer ist es im Pflegeheim so entspannt wie hier. Vor allem in der Nacht. Demenziell erkrankte Menschen sind dann häufig sehr unruhig, laufen auf den Gängen umher, ein Horror für die Nachtwache:

    "Das ist natürlich in Pflegeheimen unerwünscht",

    sagt Prof. Klaus Hager – Chefarzt der Klinik für Geriatrie im Diakoniekrankenhaus Henriettenstift in Hannover.

    "Man will ja, dass sich der Patient ordentlich und ruhig verhält. Und um Ausbrüche zum Beispiel zu vermeiden, versucht man mit Neuroleptika das etwas zu verbessern, zu verhindern oder zurückzudrängen."

    Neuroleptika indes sind gefährlich. Amerikanische Wissenschaftler stellten nach der Analyse von 75.000 Krankenakten fest, dass die Medikamente das Sterberisiko stark erhöhen. Insbesondere Haloperidol fiel negativ auf. Im Vergleich zu Risperidon – einem milderen Neuroleptikum – war die Sterberate doppelt so hoch. Für den Geriater Professor Klaus Hager ist die Studie keine Überraschung:

    "Unter Experten ist bekannt, dass die ihre Nebenwirkungen haben, dass sie ihre kardiovaskulären Risiken haben. Das müsste eigentlich dem Psychiater, dem Neurologen und auch dem Geriater bekannt sein."

    Neuroleptika lösen vermehrt Schlaganfall und Herzversagen aus. Bei älteren und vorgeschwächten Patienten in Alten- und Pflegeheimen ist das eine ernst zu nehmende Gefahr. Doch nicht Psychiater oder Geriater verordnen die Tropfen, sondern Hausärzte, die ihre Patienten auch im Pflegeheim weiter betreuen und dem Wunsch der Heimleitung nach Ruhe nachkommen. Hier – so Professor Hager aus Hannover – sollten die Verantwortlichen umdenken:

    "Also je mehr sich ein Pflegeheim auf den Bewohner einstellt, desto weniger Neuroleptika muss gegeben werden. Man sagt als Faustformel: Wenn ein Pflegeheim sich darauf einstellt, kann man mindestens die Hälfte der Neuroleptika einsparen. Und dann natürlich auch die Hälfte der Nebenwirkungen. Und es gibt Pflegeheime – Spezialheime für Demenzpatienten – die haben ein Nachtcafe. Dort steht dann nachts ein bisschen was zu trinken und ein Kuchen. Dort können sie sich hinsetzen. Irgendwann werden sie dann doch müde, gehen in ihr Zimmer zurück und schlafen dann ein. Dann braucht man keine Neuroleptika, da reicht ein Stück Kuchen vielleicht."

    Gleichwohl gebe es natürlich auch Fälle, wo es ohne Neuroleptika nicht geht. Bei Panikattacken zum Beispiel mit dem Risiko einer Selbstgefährdung. Haloperidol – auch "Haldol" genannt – verwendet der Geriater in seiner Klinik schon seit zehn Jahren nicht mehr. Ärzte sollten in jedem Fall kritisch mit dieser Medikamentengruppe umgehen:

    "Wichtig ist, dass die Hausärzte fortgebildet werden, und nicht das, was sie im Studium vielleicht mit Haldol und Eunapan gelernt haben, weiterführen. Sondern dass sie zu den neueren, allerdings auch teureren Neuroleptika – atypischen Neuroleptika – greifen. Die sind in der Regel etwas kostenintensiver."

    Mittlerweile können Mediziner auf sogenannte "Atypika" zurückgreifen. Das sind moderne Neuroleptika mit deutlich weniger Nebenwirkungen. Aber: ein Risiko für Herz- und Kreislauf haben auch diese Präparate. Deshalb ist größte Vorsicht bei entsprechend vorgeschädigten Patienten immer angebracht. Was die Mediziner auch noch bedenken sollten: Alle Neuroleptika können die Muskeln mehr oder minder versteifen. Mitunter tappeln die Betroffenen dann nur noch über den Gang:

    "Wir hatten den Eindruck, als wir bestimmte Neuroleptika bei uns abgeschafft haben, dass die Sturzrate bei uns auch zurück gegangen ist. Und mit den neueren Neuroleptika stürzen natürlich auch gelegentlich Patienten. Aber aus unserer Erfahrung weniger."