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Nicht zufällig, aber auch kein Kurswechsel

Für den Politikwissenschaftler Everhard Holtmann ist es kein Zufall, dass SPD-Vize Peer Steinbrück zehn Tage vor der Bundestagswahl auch offen über die Fortführung der Großen Koalition nachdenkt. Der Spielraum für die SPD sei relativ gering und die Große Koaltion habe solide Arbeit geleistet.

Everhard Holtmann im Gespräch mit Bettina Klein | 16.09.2009
    Bettina Klein: Wir blicken auf die Sozialdemokraten hierzulande und den deutschen Wahlkampf. Wie will die SPD bei der Bundestagswahl stärkste Kraft werden, um den Kanzler zu stellen, und mit wem wird sie dann definitiv regieren und mit wem nicht? Den ganzen Wahlkampf über haben wir gehört, was man verhindern will, nämlich schwarz-gelb, und einen Wunsch, der nach den allgemeinen Regeln der Wahrscheinlichkeit – legt man die Umfragen zugrunde – als nahezu ausgeschlossen gilt, nämlich in einem rot-grünen Bündnis.

    Umso mehr wachten nun alle auf, als SPD-Vize Steinbrück eine realistische Variante, Fortführung der Großen Koalition, als "kein Unglück" bezeichnet hat. War es der SPD nicht bisher darum gegangen, das Bündnis zu beenden? Selbst wenn es klingt wie eine Binsenweisheit, vor dem Hintergrund der bisherigen Wahlkampfstrategie der SPD ist die erweckte Aufmerksamkeit kein Wunder, die jetzt auch den Äußerungen zweier anderer SPD-Granden gilt, welche sich erstmals in dieser Deutlichkeit und etwa zehn Tage vor der Bundestagswahl für eine Ampel-Koalition ausgesprochen haben, unter Einbeziehung des bisherigen, wenn man so will, Hauptgegners im Wahlkampf: der FDP.

    Am Telefon begrüße ich Professor Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg. Ich grüße Sie, Herr Holtmann.

    Everhard Holtmann: Guten Tag, Frau Klein.

    Klein: "Eine Große Koalition ist kein Unglück." Mit dieser nicht sehr spektakulären Aussage von Peer Steinbrück nahm die gegenwärtige Diskussion gestern ihren Anfang. Alle wissen, dass es diese Option gibt, dass es auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit gibt. Nun spricht sich Steinbrück versehentlich dafür aus und damit das, was vermutlich viele denken in der SPD?

    Holtmann: Ich denke, vor dem Hintergrund dessen, dass der Spielraum für die SPD, was bestimmte Koalitionsvarianten betrifft, ja enger geworden ist, ist das kein Zufall, was Peer Steinbrück geäußert hat. Auf der einen Seite: Die SPD hat sich im Bund darauf festgelegt, dass eine rot-rote Option, wenn sie denn vom Wähler theoretisch ermöglicht würde, auf absehbare Zeit nicht stattfinden soll, jedenfalls mindestens bis 2013. Auf der anderen Seite, wenn wir die Umfragen anschauen: Sie signalisieren die relative Schwäche der SPD insoweit, als demzufolge Zweierbündnisse, in denen die SPD die führende Position hätte, auf der Bundesebene eher unwahrscheinlich sind.

    Auf der anderen Seite: Man wird sagen dürfen, Peer Steinbrück setzt sich, wenn er jetzt die Große Koalition auch nur als eine Möglichkeit öffentlich ins Spiel bringt, mit der ihm eigenen Unabhängigkeit über das wählerpsychologische Einmaleins des Wahlkampfes hinweg und das lautet ja eigentlich für die SPD, raus aus der großkoalitionären Umarmung durch die Union und die Kanzlerin.

    Klein: Sie halten es also für das, was ja viele jetzt bestreiten, nämlich für Kalkül und für einen bewussten Wechsel in der Wahlkampfstrategie?

    Holtmann: Nein, so weit würde ich nicht gehen, zumal Peer Steinbrück selbst das ja auch sogleich wieder abgeschwächt hat. Es ist sicherlich eine aus der soliden Arbeit und aus der gegenseitigen Verständigung, der parteiübergreifenden Verständigung im Kabinett heraus formulierte Möglichkeit, dass man das nicht als Teufelswerk betrachten würde, sofern die Wählerin und der Wähler eben nach dem 27. September den Korridor der Koalitionsbildungen für die SPD entsprechend verengt. Also: Es ist sicherlich nicht zufällig, aber es ist auch, wenn man so will, jetzt kein Kurswechsel, zumal ja Steinmeier und auch Müntefering eher ihre Präferenz für die Ampel-Variante noch mal bekräftigt haben.

    Klein: Was ist das Signal für die SPD-Anhänger oder –Wähler? Müssen die sich jetzt möglicherweise verschaukelt vorkommen, dass es der SPD gut 10 Tage vor der Wahl einfällt, eigentlich mit so einem Stück Wahrheit rauszurücken?

    Holtmann: Die Situation ist ja ein bisschen für die SPD wie zwischen Zilla und Charyptis. Auf der einen Seite: 57 Prozent nach den Umfragen bescheinigen der Großen Koalition, durchaus gute Arbeit geleistet zu haben. Die SPD-Anhänger sind in dieser Frage gespalten. Ungefähr die Hälfte ist für eine Fortsetzung der Großen Koalition, die Hälfte dagegen, und immerhin auch gut ein Drittel der SPD-Anhänger sind für eine Regierungsbeteiligung auch der FDP, Stichwort Richtung Ampel. Aber auf der anderen Seite: Die Große Koalition ist nicht populär. Sie wird von fast zwei Dritteln der Bürgerinnen und Bürger nach dem jetzigen Zeitpunkt abgelehnt. Nun gut, auf der einen Seite: Es gibt auch sicherlich nach wie vor eine sehr breite inhaltliche Schnittstelle zwischen den Unionsparteien und der SPD. Das mag vor allen Dingen vor dem Hintergrund der anhaltenden Wirtschafts- und Finanzkrise durchaus die Protagonisten der derzeitigen Großen Koalition für eine Weiterführung dieser Variante ermutigen. Aber auf der anderen Seite: Auch die Ampel hätte ja für die SPD, wenn sie denn zu Stande kommen könnte, nicht geringe Vorteile.

    Klein: Lassen Sie uns darauf noch rasch blicken. Einige Tage vor der Wahl wird nun auch mit Blick darauf der Akzent verschoben. Bisher stand die Schelte gegen die FDP ja eher im Vordergrund, jetzt glaubt man, mit dieser Partei gut Inhalte umsetzen zu können. Wie überzeugend und wie werbewirksam ist diese Strategie?

    Holtmann: Es heißt ja nicht, wenn sich die SPD zumal gegen schwarz-gelb und damit auch gegen die FDP im Wahlkampf positioniert, dass man eine Koalition mit der FDP im Rahmen einer Ampel, also SPD, Grüne und FDP, nach dem 27. 9. definitiv ausgeschlossen hätte, auch schon bevor diese Diskussion der letzten Tage losgegangen ist. Das geht auch gar nicht anders in einem Parteiensystem, wo bekanntermaßen durch dessen Auffächerungen das Spielen mit verschiedenen Koalitionsvarianten ja faktisch unausweichlich geworden ist. Auf Länderebene sehen wir es ja auch derzeit. Die CDU an der Saar lotet Jamaika ebenfalls aus und die SPD, wiederum an der Saar und in Thüringen, lotet rot-rot, eventuell auch rot-rot-grün aus. Also das ist gar nicht anders möglich. Für die SPD hätte eine Ampel wie gesagt auch mindestens zwei Vorteile. Sie könnte dann nämlich den Regierungschef stellen und sie kann in einem solchen Bündnis ihr Profil als Sachwalterin der sozialen Gerechtigkeit mutmaßlich wieder mehr schärfen, als ihr das derzeit als Juniorpartner einer Großen Koalition möglich ist.

    Klein: Dazu braucht die SPD natürlich die FDP, die das bisher ausgeschlossen hat. Noch kurz das Wort: Halten Sie es für möglich, dass die FDP dann doch nach der Bundestagswahl in eine Ampel geht?

    Holtmann: Das hängt sicherlich auch von der durch den Wähler herbeigeführten Arithmetik der Wähleranteile ab. Sollte es für schwarz-gelb nicht reichen, dann bleibt der FDP eigentlich gar nichts anderes übrig, als die Ampel ebenfalls ernsthaft auszuloten, denn ansonsten bliebe sie ja ebenfalls bis auf weiteres dann auf den harten Bänken der Opposition.

    Klein: Professor Everhard Holtmann war das, Politikwissenschaftler von der Universität Halle-Wittenberg. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Holtmann.

    Holtmann: Bitte sehr, Frau Klein.