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Norbert Walter: Griechenland ist so diszipliniert wie seit Jahrzehnten nicht mehr

In der Debatte über eine Lösung der Schuldenkrise hält Norbert Walter den Zweifel an Griechenlands Reformfähigkeit für gefährlich, weil er das Vertrauen der Märkte weiter untergrabe. Gerade jetzt komme es darauf an, dass Europa Athen nicht im Stich lasse. Es sei fatal für die europäische Integration, "wenn man jemanden, der im Berg ausgerutscht ist und am Seil hängt, das Seil abschneidet".

Norbert Walter im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.09.2011
    Jasper Barenberg: Scheitert der Euro, scheitert Europa. So rief es Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche im Bundestag vor allem den eigenen Abgeordneten zu. Doch schon eine Woche später macht ihr Vize, Wirtschaftsminister Philipp Rösler von der FDP, dunkle Andeutungen über eine Staatspleite Griechenlands, droht die CSU damit, Athen aus dem Kreis der Euro-Länder hinauszubefördern. Längst verhallt scheint da der Ruf nach mehr Europa, nach mehr Zusammenarbeit als Antwort auf die Krise und natürlich auch der Ruf nach mehr Geschlossenheit in der Bundesregierung. Stattdessen wachsen allenthalben die Zweifel, ob ein Bankrott Griechenlands noch verhindert werden kann, und ob er verhindert werden soll. Am Telefon begrüße ich jetzt den Publizisten und früheren Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Einen schönen guten Morgen, Norbert Walter.

    Norbert Walter: Ja guten Morgen.

    Barenberg: Herr Walter, steht Griechenland auf der Kippe?

    Walter: Griechenland hat einen so hohen Schuldenstand, und das Vertrauen der Finanzmärkte ist so gravierend, dass zu den jetzigen Finanzierungskonditionen selbst ein sehr tüchtiges Land, ein Land, das sich zusammenreißt, seine Verpflichtungen nicht bezahlen kann. Was sich nun ändert, weiß man nicht. Ob die Märkte ihr Urteil ändern – das ist das, was ich mir wünsche - oder ob es tatsächlich zu einer Hilfeleistung durch Nachbarn, durch diejenigen, die in der europäischen Gemeinschaft solidarisch sich erklärt haben, kommt und was es braucht, das ist eine offene Frage.

    Barenberg: Welche Hoffnung haben Sie denn, dass die Märkte ihr Urteil ändern? Die Finanzkontrolleure, die unterwegs sind in Athen, stellen dem Land, stellen auch der Regierung ja ein sehr schlechtes Zeugnis aus.

    Walter: Ich bin darüber überrascht. Ich halte den derzeitigen griechischen Ministerpräsidenten für einen Sozialdemokraten von ganz besonderer Qualität, und er hat eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich, natürlich aber auch eine Minderheit, die sehr aggressiv vorgeht, die gegen die Sparmaßnahmen ist. Griechenland ist im jetzigen Zustand so diszipliniert, wie es seit Jahrzehnten nicht war, und ich wäre sehr dankbar, wenn nicht nur sozialdemokratische Partner in Europa ihn, Papandreou, unterstützten, sondern wenn sie auch mithelfen würden, die Grundprobleme Griechenlands zu lösen. Dort wird von vielen Reichen keine Steuer gezahlt, und es gelte, Steuerstrukturen zu entwickeln, damit die Steuereffizienz in Griechenland größer wird. Es gelte, diese wunderschöne historische Landschaft besser zu nutzen, für Kunden attraktiver zu machen. Warum können die Spanier nicht helfen, den Griechen eine ähnlich effektive Tourismusindustrie zu entwickeln, wie sie sie selbst haben? Das wären solidarische Leistungen der europäischen Partner.

    Barenberg: Diese Solidarität, Herr Walter, sie würde Zeit in Anspruch nehmen, Zeit, die Griechenland möglicherweise nicht hat. Im Finanzministerium werden schon Überlegungen angestellt, werden schon Rechnungen aufgemacht, was passiert, wenn die Insolvenz kommt. Wie groß ist die Gefahr, dass das tatsächlich schon in den nächsten Wochen passieren kann?

    Walter: Zuerst mal: Der Rettungsschirm ist aufgespannt, und wenn die Zwischenschritte, die Griechenland versprochen hat, eingehalten werden, werden diese Mittel aus dem Rettungsschirm den Griechen auch zur Verfügung stehen. Dann also, wenn sie Leistungen zu erbringen haben für fällige Zinsen und Tilgungen, können sie aus diesen Mitteln erbracht werden. Im Grunde ist es derzeit aber der Zweifel darüber, ob auf der einen Seite Griechenland seine disziplinierte Haltung auch künftig aufbringt, und auf der anderen Seite bröckelt die Bereitschaft der Geberländer, das, was ihre Regierungen versprochen haben, auch dauerhaft und effektiv zu leisten. Und genau das wird an den Märkten derzeit debattiert und darüber wird spekuliert, und deshalb käme es jetzt in der Tat darauf an, nicht nur, dass die Disziplin der Griechen fortgesetzt und bewiesen weitergeht, sondern es käme auch darauf an, dass diejenigen, die Europa für einen wichtigen Fortschritt halten - und nicht nur die in der Politik, sondern auch die in der Wirtschaft, auch die in der Wissenschaft -, ihre Stimme erheben und denen, die nicht verstehen, was sie derzeit fordern, erklären, was es bedeutet, wenn man jemanden, der im Berg ausgerutscht ist und am Seil hängt, das Seil abschneidet.

    Barenberg: Von Ihnen ist ja gerade ein Buch über Europa erschienen, Untertitel "Warum unser Kontinent es wert ist, dass wir um ihn kämpfen". Heißt das denn auch, Griechenland und damit die Währungsunion und damit Europa zu retten um jeden Preis?

    Walter: Nicht um jeden Preis, aber wenn wir wissen, dass derjenige, der da ausgerutscht ist im Berg und im Seil hängt, den festen Willen hat, sich wieder aufzurappeln und aus eigener Kraft mit uns weiterzuklettern, dann ist es jetzt unsere Pflicht, alle Kraft einzusetzen und uns selbst zu sichern und den Freund, der im Seil hängt.

    Barenberg: Und genau darin liegt möglicherweise ja das Risiko, liegt die Gefahr, dass am Ende es darauf hinausläuft, dass die griechische Krise auch die gesamte Währungsunion mit in den Abgrund reißt.

    Walter: Ich glaube, da gibt es merkwürdige Koalitionen. Ich bin davon überzeugt, dass es noch immer schweigende Mehrheiten gibt, die romantische Vorstellungen über die kleinteiligsten Währungen der Welt für sich als beste Lösung haben. Man hat das Gefühl, dass der deutsche Kleinfürstenstaat in den Köpfen der Deutschen noch immer lebendig ist und als die Antwort angesehen wird, wie wir auf Augenhöhe mit Amerikanern und Chinesen in wirtschaftlichen, in wissenschaftlichen, in politischen Dingen verhandeln können. Ich halte eine solche europäische Haltung für verständlich aus unserer Geschichte, aber nicht für klug und nicht für wegweisend für eine gelingende Zukunft.

    Barenberg: Was wäre gewonnen, oder anders gesagt, was würden wir gewinnen, wenn wir weiter helfen in dem Ausmaß, in dem es jetzt notwendig ist?

    Walter: Wir haben die Chance, dass der Integrationsprozess in Europa, der zwei Generationen von Europäern bereits Freizügigkeit, Freundschaft und Wohlstand beschert hat, durch eine Renaissance Europas, durch ein fortgesetztes Zusammenwachsen, durch ein fortgesetztes Nutzen von Komplementaritäten, von unterschiedlichen Fähigkeiten der einzelnen europäischen Länder, uns zu dem macht und zudem in der Situation bleiben lässt, in der wir sind. Wir sind die größte Wirtschaftsmacht der Welt! Wir sind der Raum, der in vielen Dingen, Energieeffizienz, Umweltschutz, in Entwicklung von modernen Medien, mehr bewirkt hat als andere Teile der Welt, die nicht so günstige Voraussetzungen haben. Wir könnten das, was wir bei uns beispielsweise in einer Gesundheitsvorsorge offenkundig besser als alle anderen verwirklichen, wir könnten dies nicht nur bei uns weiterentwickeln, sondern eben auch anderen Teilen der Welt als Modell vermitteln. Warum sind wir nicht stolz über unser Erbe und warum empfinden wir nicht den Wunsch, dieses Ererbte und diese Kompetenz anderen zu vermitteln, um damit Stolz für uns, aber auch Einkommen zu erzielen?

    Barenberg: Gilt der Tadel, den Sie gerade ausgesprochen haben, eigentlich auch für die Bundesregierung, die zu keiner einheitlichen Linie findet?

    Walter: Ich bin mit dem Bundesfinanzminister und mit Frau Merkel viel mehr zufrieden, als die öffentliche Debatte in Deutschland derzeit signalisiert. Ich glaube, dass sie einen interessanten Balanceakt zwischen den notwendigen wahltaktischen Überlegungen und den strategischen Orientierungen einigermaßen hinkriegen. Würden die das sagen, was ich jetzt gesagt habe, würden sie von ihren politischen Freunden in die Schlucht geschickt. Und deshalb wirken sie weder auf Intellektuelle, weder auf diejenigen, die strategisch denken, noch auf die, die populistisch sind, derzeit überzeugend. Sie machen einen Spagat. Ich würde sie gerne und will sie gerne weiter unterstützen. Aber es gibt in den politischen Zirkeln, auch in den politischen Parteien, auch im Deutschen Bundestag Personen, die sich nicht bewusst sind, was sie mit ihrer nationalen Sichtweise an Schaden dem Volke zumuten.

    Barenberg: … sagt Norbert Walter, der Publizist und ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Sein Buch, das gerade erschienen ist, trägt den Titel "Europa: Warum unser Kontinent es wert ist, dass wir um ihn kämpfen". Vielen Dank, Herr Walter, für dieses Gespräch heute Morgen.

    Walter: Gerne geschehen.

    Mehr zum Thema finden Sie auf unserem Sammelportal "Der Euro in der Krise".

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.