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Olympische Spiele 2016
Deutsches Haus im Naturschutzgebiet

Ein Strandclub wird zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro Treffpunkt für deutsche Athleten, Sponsoren und Medien sein. So weit, so schön - aber: Das Deutsche Haus steht inmitten eines Naturschutzgebietes.

Von Carsten Upadek | 27.12.2015
    Ein Wasserschwein grast vor dem Deutschen Haus für die Olympischen Sommerspiele 2016.
    Eigentlich sollte es Wasserschweinen und anderen seltenen Arten vorbehalten sein: Das Naturschutzgebiet rund um das Deutsche Haus (im Hintergrund). (Carsten Upadek / Deutschlandfunk)
    Nah am weißen Atlantikstrand, weit entfernt vom lärmenden Zentrum Rio de Janeiros, liegt idyllisch das Clubhaus "Blue Barra Beach Point", eingerahmt vom Grün der Natur. Besonders auffällig ist seine offene Struktur mit großen Fenstern, weiten Balkonen und einem Palmendach.
    Anfang September führte Rolf Faber deutsche Journalisten durch das Gebäude im Viertel Barra da Tijuca. Er ist Eventleiter der Deutschen Sportmarketing, ein Ableger des Deutschen Olympischen Sportbundes. Sie verbreitet das gewünschte Image des DOSB und ist auch für das Deutsche Haus verantwortlich.
    "Ich persönlich finde die Unverbautheit extrem charmant und spannend. Das Haus hat einfach einen gewissen Charme, passt in dieses gesamte grüne Ambiente mit rein und für uns ist es ideal, weil es am Strand liegt, da nehmen wir das Strandflair noch mit und hinten dran die Lagune, das ist ein zusätzlicher Punkt und wir haben die Nähe zu den Athleten."
    Heimat seltener Tier- und Pflanzenarten
    Bis zum Olympischen Dorf und dem Olympiapark fährt man bei gutem Verkehr etwa 20 Minuten. Mit dem so genannten "grünen Ambiente" meint Faber das Naturschutzgebiet "Marapendi". Es besteht an dieser Stelle aus Dünen und Küstenvegetation, ist Heimat bedrohter Tiere und Pflanzen, sagt der Biologe Marcello Mello:
    "Diese Dünenvegetation gehört zu den seltenen Resten des Atlantischen Regenwaldes. Hier existieren seltene Spezies wie die Sand-Eidechse, der Strand-Schmetterling, das Neunbinden-Gürteltier, Wasserschweine, Stachelschweine, Kaimane und viele seltene Pflanzenarten. Sie dürfte nicht angerührt werden - nur in extremen Ausnahmefällen zum Nutzen der Allgemeinheit."
    Der Strandclub befindet sich mittendrin. Ist er also ein solcher Ausnahmefall? "Das ist absurd", entgegnet Marcello Mello. "Ein Club ist ein Privatbesitz. Er nutzt nicht der Allgemeinheit! Aber ökonomisch ist dieses ganze Gebiet sehr wertvoll. Die Bauunternehmen begehren es, sie lechzen danach, dort zu bauen."
    Der Strandclub wurde 2005/2006 vom Unternehmen "Gafisa" konstruiert, einem der Marktführer im gehobenen Immobilienbereich in Brasilien. Verwaltet wird der "Blue Barra Beach Point" von einer Gesellschaftervereinigung, deren Präsidentin Mady Araquez ist:
    "Der Blue Barra Beach Point wurde als Freizeiteinrichtung und Versorgungspunkt für den Strand gebaut. Wir haben Fahrradstände, Surfbretthalter, Lounges zum Ausruhen, einen Imbissstand."
    Und man habe auch eine Betriebsgenehmigung, erteilt durch das kommunale Umweltamt, das zu regelmäßigen Umweltkontrollen komme. Grundlage für solch eine Betriebsgenehmigung ist eine Umweltlizenz für den Bau des Beachclubs. Was ist damit? Mady Araquez sagt: "Die gab es damals. Sie bekommen die Autorisierung für den Betrieb nur, wenn die durch alle Organe gegangen ist - Umwelt, Struktur, Stadtverwaltung."
    Wer hat die Umweltlizenz ausgestellt - und wo ist sie?
    Das städtische Umweltamt teilt nach mehreren Nachfragen mit, es habe keinerlei Unterlagen. Zuständig sei aber auch definitiv das staatliche Umweltamt. Doch auch in dessen Archiv: Unterlagen Fehlanzeige! Nach der Suche fällt der staatlichen Behörde ein, dass doch die das städtische Umweltamt zuständig sei. Aber das bestreitet.
    Ein Mitarbeiter gibt dem Deutschlandfunk den Tipp, es beim Stadtbauamt zu versuchen. In deren Betriebsgenehmigung müsste stehen, wer die Umweltgenehmigung erteilt hat. Doch das Stadtbauamt Rio verweigert die Einsicht in Unterlagen. Zurück also zur Anwohnervereinigung, die den von der Deutschen Sportmarketing angemieteten schicken Beachclub verwaltet. Deren Anwalt Rafael Trindade hat eine mögliche Erklärung:
    "Zur Zeit der Konstruktion des Clubs war das zuständige Organ die "FEEMA", das staatliche Institut für Umweltfragen. Die Zuständigkeit wechselte irgendwann zu der Kommune. Weil die Organe oft ihre Archive nicht austauschen und die nur aus Papier bestehen, dürfte das Software-System nicht aktualisiert sein."
    Keine systematische Aufklärung
    Die Auskünfte werden immer verworrener - und führen nun also zum inzwischen geschlossenen staatlichen Institut für Umweltfragen. Das stand in der Vergangenheit immer wieder in der Kritik. Umweltschützer nannten es schon "das Zentrum für Inkompetenz und dubiose Geschäfte". Der Fachreferent der linken Oppositionspartei "PSOL" im Staatsparlament, Jorge Borges, beklagt fehlende Transparenz und Einflussnahme von Politikern bei der Vergabe von Umweltlizenzen:
    "Im Staat Rio de Janeiro hat es nur wenige Ermittlungen im Bereich Bestechung für Umweltlizenzen gegeben. In anderen Bundesstaaten haben wir schon die Verhaftung kompletter Stadträte inklusive Bürgermeister gesehen. Wenn in Rio etwas ans Licht kommt, dann, weil zwischen ihnen selbst etwas schief geht, wenn einer den anderen denunziert. Aber es gibt hier keinen systematischen Prozess der Aufklärung."
    Ist das alles nur Zufall? Oder sind etwa auch Gelder für den "Blue Barra Beach Point" geflossen? Ist die Umweltlizenz für den Bau mitten im Naturschutzgebiet deshalb so schwer zu finden? Oder gibt es sie etwa gar nicht? Auch Monate nach dem ersten Besuch im zukünftigen Deutschen Haus gibt es darauf keine Antworten.
    Fest steht aber, dass der Deutsche Olympische Sportbund einen guten Preis bekommen hat. Der Deutschlandfunk erfuhr, dass die Deutsche Sportmarketing für die zweimonatige Nutzung zwischen einer und drei Millionen brasilianischer Reais bezahlt, das sind zwischen 230- und 690.000 Euro. Vergleichsweise wenig für einen exquisiten Beachclub zwischen Strand und Lagune inmitten von geschütztem Grün.