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"Operation Zucker"

Bordellbesitzer, die Kinder kaufen und zur Prostitution zwingen: In dem ARD-Fernsehfilm "Operation Zucker" mit Nadja Uhl und Senta Berger zeigt der Regisseur Rainer Kaufmann mit nüchternen, fast dokumentarischen Bildern, dass es Kinderhandel und Kinderprostitution auch in Deutschland gibt.

Von Silke Lahmann-Lammert | 16.01.2013
    Im Arm seiner Großmutter tritt ein Mädchen aus einem heruntergekommenen Bauernhaus. Draußen liegt Schnee, ein grauer Himmel taucht die Szene in kaltes, bläuliches Licht. "Mach dir keine Sorgen, Mutter", sagt ein Mann zu der alten Frau. Er trägt eine zerschlissene Strickjacke und sieht aus, als hätte er schon morgens getrunken. "Wir haben einen Vertrag mit Deutschland. Die Kleine wird eine Berufsschule besuchen".

    Dann hebt er das Mädchen auf den Rücksitz und schlägt die Autotür zu. Einen Moment lang sehen wir das verstörte Gesicht der Zehnjährigen durch die Scheibe. Dann setzt sich der Wagen in Bewegung und fährt davon.

    "Es ist kein Film, der mit Brutalität und Grausamkeit erzählt. Sondern die Brutalität und die Grausamkeit findet mehr im Kopf statt."

    Rainer Kaufmann zögerte zunächst, die Regie von "Operation Zucker" zu übernehmen. In seinem preisgekrönten Drama "In aller Stille" hatte er sich schon einmal intensiv mit Gewalt auseinandergesetzt, die Menschen Kindern antun. Ihm war klar, dass man ein solches Thema nicht am Ende eines Drehtags am Set zurücklässt.

    Trotzdem: Kaufmann hat zugesagt. Und sein ganzes Herzblut in den Film gesteckt. Er wollte, dass in jeder Szene gegenwärtig ist: Hier geht es um Kinderhandel, um Zehn-, Elf-, Zwölfjährige, die zur Prostitution gezwungen werden.

    "Dieses Thema durfte nicht ausgebeutet werden für ein geschicktes, dramatisches Erlebnis. Sondern umgekehrt. Der Film sollte dem dienen. Und dadurch entstand vielleicht eine gewisse nüchterne, dokumentarische Erzählweise, die dieser Film hat."

    Das eisige, blaugraue Licht begleitet uns durch die Geschichte des Mädchens, das Fee heißt und auf einer grotesken Versteigerung - irgendwo in Rumänien - zum Kauf angeboten wird.

    "Un applaus pentro Fee!"

    Nüchtern, fast dokumentarisch erzählt Rainer Kaufmann, wie Fee und Bran - ein Junge, den sie unterwegs kennenlernt - nach Deutschland gebracht werden. In einem Berliner Club müssen sie Pädophilen sexuelle Dienste leisten. Szenen, die hinter verschlossenen Türen stattfinden, die Kaufmann nicht zeigen will - und nicht zeigen muss, um ihre unerträgliche Brutalität spürbar zu machen. Die Gewalt bleibt präsent, auch wenn die Perspektive wechselt und wir die Geschichte aus Sicht einer Polizistin erleben – gespielt von Nadja Uhl.

    "LKA Wegemann. Wir haben den konkreten Verdacht, dass in oder bei einem Club in der Friedrichstraße Kinderprostitution betrieben wird. Anträge auf Observationsbeschlüsse bitte auf diesen Stapel."

    Die Arbeit der Kommissarin droht an der schwerfälligen Bürokratie zu scheitern – an Vorgesetzten, die lieber wegsehen, als durch Ermittlungen in einflussreichen Kreisen die eigene Karriere zu gefährden, an überlasteten Juristen wie der Staatsanwältin Dorothee Lessing, gespielt von Senta Berger.

    "Ich glaube das nicht, ich kann das nicht glauben."

    Alle Darsteller, auch die Kinder, verkörpern ihre Rollen so wahrhaftig, so überzeugend, dass ihre Angst, ihre Wut und ihre Ohnmacht physisch spürbar sind. Diese schauspielerische Kraft, verbunden mit Rainer Kaufmanns sachlichem Erzählstil und den kühlen Bildern von Morten Söborg – bekannt als Kameramann der Oscar-Preisträgerin Susanne Bier – machen das Drama zu einem aufwühlenden Erlebnis.

    "Operation Zucker" ist nicht nur einer der besten Filme, die seit Langem im Fernsehen zu sehen waren, er ist auch einer der härtesten und unversöhnlichsten. Über die Tatsache, dass solche Verbrechen in Deutschland möglich sind, gibt es nichts Versöhnliches zu sagen.

    Mehr zum Thema auf der BR.de-Themenseite:

    Hintergründe und Interwiews zum Spielfilm"Operation Zucker", der am Mittwoch, 16.01.13 um 20:15 Uhr in der ARD zu sehen ist.