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Ozon ohne Schicht

Zum Ende des vergangenen Winters zeigte die Ozonschicht über dem Nordpol erstmals so große Löcher, dass Forscher von einem großen zusammenhängenden Loch sprachen. Das kannte man bisher nur aus der Antarktis. In diesem Winter sieht es an der Ozonschicht über dem hohen Norden etwas anders aus - aber nicht unbedingt besser.

Von Volker Mrasek | 31.01.2012
    Was sich am Anfang dieses Winters in der arktischen Stratosphäre abspielte, war ziemlich beunruhigend. Wie immer bildete sich während der Polarnacht über dem Nordpol ein riesiger Tiefdruckwirbel aus, gleich oberhalb der Wetterschicht, in zehn Kilometern Höhe und darüber.

    Es gibt eine Regel: Je kräftiger und kälter der Wirbel, desto kritischer die Situation für die Ozonschicht. Und da sah es diesmal zunächst sehr übel aus, wie auch Markus Rex erkennen musste, Atmosphärenphysiker beim Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, in der Zweigstelle Potsdam:

    "Der Wirbel hat sich bereits sehr früh gebildet. Ist im Dezember auch bis in den Januar hinein deutlich stabiler und kälter gewesen, als er das normalerweise ist. Ich würde sogar sagen: In den meisten Tagen in diesem Zeitraum war er wahrscheinlich am kältesten in der bisherigen Beobachtungszeitreihe."

    Die Temperaturen im stockdunklen Polarwirbel fielen in den ersten Winterwochen deutlich unter minus 80 Grad Celsius. Und damit auf ungewöhnlich niedrige Werte.

    "Diese Fluorchlorkohlenwasserstoffe, diese Gase, die von den Menschen erzeugt worden sind und das ganze Problem überhaupt erst verursachen, die tun der Ozonschicht an sich erstmal gar nicht viel. Das Schlimme ist: Die Abbauprodukte dieser Substanzen, die werden zu richtig aggressiven Ozon-Killern, wenn die auf große Kälte stoßen."

    Es war so kalt, dass sich reine Eiswolken über dem Nordpolargebiet bildeten. Üblicherweise treten sie nur über der noch kälteren Antarktis auf. An der Oberfläche dieser Eiswolken werden die erwähnten Ozon-Killer besonders wirkungsvoll aktiviert.

    Damit sah zunächst alles nach einem Szenario wie im vergangenen Winter aus, als die Ozonschicht über dem Nordpol am Ende so löchrig war wie nie zuvor seit Beginn der Messungen.

    "Im letzten Jahr hat das tatsächlich dazu geführt, dass der Ozonabbau über der Arktis praktisch genauso ausgeprägt war, wie er das in jedem Jahr über der Antarktis ist. In etwa 20 Kilometern Höhe, da, wo die Ozonschicht normalerweise ihr Konzentrationsmaximum haben sollte, sind 80 Prozent des Ozons zerstört worden. Man könnte also sagen: Da war fast alles weg, so dass wir auch über der Arktis zum ersten Mal ein Ozonloch bekommen haben."

    Doch inzwischen sind Markus Rex und seine Kollegen wesentlich entspannter.

    Die Stratosphäre über der Arktis hat sich nämlich plötzlich erwärmt. Dadurch sind die Eiswolken wieder verschwunden, und der Polarwirbel schwächelt: Er ist in zwei separate Zellen zerfallen. Das zeigen die jüngsten Messungen mit Instrumenten an Bord von Höhenballonen. Die Forscher lassen sie regelmäßig in den Himmel steigen, und das an insgesamt 30 Messstationen

    "Das hat auch zu tun mit dieser stark ausgeprägten Hochdruck-Wetterlage, die wir gerade über Zentraleuropa hier haben. Wellen, die sich von diesen Wettersystemen bis in die Stratosphäre ausbreiten, bremsen dort oben die Luftströmungen ab. Und das führt dazu, dass die Luftmassen Richtung Pol stürzen. Das komprimiert die gesamte polare Luftsäule so stark, dass sie sich dadurch sehr stark erwärmt. Diese Kompression, das ist wie in einer Luftpumpe, mit der wir einen Fahrradreifen aufpumpen. Wenn man Luft zusammendrückt, dann wird sie warm. Und das Gleiche passiert dann auch über der Arktis. Und deswegen diese starke Erwärmung im Moment."

    Bleibt es so, dann ist am Ende des Polarwinters mit keinen ausgeprägten Ozonverlusten über der Arktis zu rechnen. Doch es kann auch sein, dass die Kälte zurückkommt und der Polarwirbel sich wieder berappelt. Dann würde es doch noch einmal brenzlig für die Ozonschicht.

    "Im Jahre 1997 zum Beispiel ist das so gewesen. Da hatten wir nach einem sehr schwachen Polarwirbel bis Ende Februar hinein dann im März, April einen extrem ausgeprägten, starken Polarwirbel und dann auch sehr niedrige Ozonschichtdicken in diesem Bereich."

    Eine Vorhersage will und kann Markus Rex nicht abgeben. Dafür ist der Winter noch zu lang. Doch der Potsdamer Ozonforscher rechnet jetzt nicht mehr mit Hiobsbotschaften:

    "Es sieht im Moment erstmal ganz gut aus für die Ozonschicht. Ich würde intuitiv sagen, es wird nicht mehr allzu viel passieren. Im Dezember ist schon einiges abgebaut worden. Es wird auch noch einiges weitere abgebaut werden, weil die Atmosphäre schon konditioniert ist jetzt für Ozonverlust. Aber dieser Polarwirbel hat einen schweren Schlag erlitten. Und ich glaube nicht, dass er sich wieder vollständig erholen wird und wir ein ähnliches Ereignis wie im letzten Jahr, also ein arktisches Ozonloch, hier zu erwarten haben."