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Patente auf Leben

Biotechnologie. - Der Bonner Stammzellen-Forscher Oliver Brüstle hat ein Verfahren entwickelt, mit dem er embryonale Stammzellen in Nervengewebe verwandeln kann. Vor sieben Jahren ließ sich Brüstle seine Methode patentieren. Seitdem läuft die Umweltorganisation Greenpeace Sturm gegen das umstrittene Patent. Sie befürchtet die kommerzielle Nutzung geklonter menschlicher Embryonen. Jetzt muss das Deutsche Patentgericht in München über die Klage entscheiden. Dr. Ingrid Schneider vom Forschungsschwerpunkt Biotechnologie, Gesellschaft und Umwelt der Universität Hamburg erläuterte den Streit im Gespräch mit Ralf Krauter.

Interview mit Dr. Ingrid Schneider, Expertin für Technikfolgenabschätzung in der Medizin | 05.12.2006
    Krauter: Frau Schneider, inwiefern ist das Brüstle-Patent ein Präzedenzfall?

    Schneider: Das Brüstle-Patent ist ein Präzedenzfall für Deutschland, weil damit eine grundsätzliche Entscheidung darüber getroffen wird, ob menschliche embryonale Stammzellen und Verfahren, etwas damit herzustellen, in Deutschland patentierbar sind oder nicht patentierbar sind.

    Krauter: Also eine Entscheidung mit weit reichenden Folgen, so oder so?

    Schneider: Auf jeden Fall. Zumindest betrifft diese Grundsatzentscheidung dann nicht nur andere embryonale Stammzellpatente, die von deutschen Forschern angemeldet werden, sondern auch die europäische Ebene, weil auch in Europa noch nicht ganz grundsätzlich entschieden wird, wie man mit solchen Patenten umgeht.

    Krauter: Was genau sind denn die strittigen juristischen Punkte an diesem Patent?

    Schneider: Es gibt in jedem Patentrecht eine Klausel, dass Patente, die gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten verstoßen, nicht erteilt werden dürfen. In Europa gibt es auch eine Biopatent-Richtlinie, die 1998 verabschiedet wurde, die noch mal konkretisiert hat, Verfahren zum Klonen von menschlichen Lebewesen dürfen nicht patentiert werden und die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen und kommerziellen Zwecken ist auch von der Patentierung ausgeschlossen. Herr Brüstle selbst hat in seinem Patent beansprucht, Verfahren, Vorläuferzellen von Nervenzellen herzustellen, aus embryonalen Stammzellen und diese weiter zu entwickeln und zukünftig vielleicht zur Behandlung von Kranken einzusetzen.

    Nun ist die juristische Frage, wie weit oder wie eng diese Patentierungsverbote, die gesetzlich festgelegt sind, ausgelegt werden. Herr Brüstle stellt sich auf den Standpunkt, dass er selbst ja keine Embryonen zerstört, nach dem deutschen Gesetz ja auch nicht darf, sondern dass er nur solche Stammzellen aus dem Ausland verwendet. Die Frage ist eben, legt man das ganz eng aus oder sagt man, das Verfahren von Herrn Brüstle setzt aber voraus, dass ein Mal Embryonen zerstört werden mussten. Und wenn man diese Verfahren therapeutisch einsetzt, muss man auch weiterhin Embryonen dafür verbrauchen. Also die Frage ist, ob man es ganz eng auslegt oder ob man dieses Patent in dem weiteren Gesamtprozess einordnet.

    Beim Europäischen Patentamt wurde das Patent von Herrn Brüstle erheblich eingeschränkt, also es wurden die Ansprüche auf geklonte Embryonen gestrichen und die auf andere Zellen auch nur erteilt unter der Maßgabe, dass das Verfahren nicht die Zerstörung von menschlichen Embryonen einschließt. Also die Frage grundsätzlich dabei ist natürlich auch, soll man die industrielle und kommerzielle Verwendung von Embryonen mit einem Patent belohnen und damit rechtliche und ökonomische Anreize für eine Zerstörung von Embryonen setzen oder soll man es nicht tun. Und da hat der Gesetzgeber eben eine klare Entscheidung getroffen.

    Krauter: Und das Patentgericht ist jetzt in der unangenehmen Lage, diese moralischen Vorgaben eigentlich in juristisches Recht umsetzen zu müssen?

    Schneider: Ja, beziehungsweise diese generellen Klauseln auszulegen. Man muss dazu sagen, dass das Patentrecht ja niemals ganz wertneutral ist, sondern auch immer gesellschaftliche Wertentscheidungen bei der Patenterteilung mitschwingen. Patentämter sind zwar keine Moralwächter, aber sie dürfen sich auch nicht immun machen gegen diese demokratisch getroffenen Wertentscheidungen. Das heißt, sie sollen diesen Gesetzen jetzt eigentlich auch folgen. Es wäre problematisch, wenn durch eine ganz enge Auslegung der Patentierungsverbote der politische Wille des Gesetzgebers letztlich ausgehebelt würde.

    Eine weitere Frage, die auch heute beim Deutschen Patengericht nicht diskutiert wurde, aber die in Zusammenhang mit diesen embryonalen Stammzellpatente oder generell biomedizinischen Patenten relevant ist, ist die Frage, ob die ärztliche Therapiefreiheit eingeschränkt werden kann durch Patente und ob solche Patente möglicherweise auch zu hohen Kosten für die Gesundheitsversorgung führen und das letztendlich zu einer 2-Klassen-Medizin beiträgt. Also dass nur begüterte sich bestimmte Behandlungen privat leisten können. Das sind allgemeinere gesellschaftspolitische Fragen, die aber in dem Zusammenhang auf den Tisch gebracht werden müssen und auch der politischen Gestaltung bedürfen.