Donnerstag, 25. April 2024

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Paul Chan in Basel
Das Netz und die Vernetzung

Der Documenta-Künstler Paul Chan ist ein smarter, medienkompatibler, intellektueller Künstler, der viel schreibt - die Schrift spielt eine Hauptrolle in seinem Werk, das jetzt im Schaulager in Basel in der Schweiz zu sehen ist. Die neueren Arbeiten beeindrucken dort nicht so sehr wie sein bisheriges Schaffen.

Von Christian Gampert | 13.04.2014
    Miteinander verkabelte Schuhe liegen auf dem Boden einer Museumshalle. Ein schwarz gekleideter Mann läuft durchs Bild.
    Die Installation "Master of Arguments" des Hongkonger Künstlers Paul Chan in der Ausstellung "Selectes Works" im Schaulager Basel. (picture alliance / dpa/ Walter Bieri)
    Die obere Etage ist perfekt inszeniert, der Unterstock ist dann doch eine Enttäuschung. Das mag auch, ganz griechisch, mit Ober- und Unterwelt zu tun haben, mit Basis und Überbau, mit gewachsenen Strukturen und noch unbegriffenen Mächten. In der ersten Etage resümiert Paul Chan die ganze beeindruckende Vielfalt seines bisherigen Werks, unten sind neuere Arbeiten zu sehen, die zwar ausladend und programmatisch daherkommen, aber nicht annähernd das Geheimnis und die Sogkraft vor allem der Video-Installationen haben.
    Der mäandernde Kabelsalat jedenfalls, der im unteren Foyer eine pathetisch ausgelegte Vielzahl von Schuhen verbindet, stößt zwar einiges an Assoziationen an und produziert einen theatralischen Raumeindruck, aber er ist eben nur ein Bühnenbild, eine große Geste, die eine KZ-artige Schuhsammlung mit der digitalen Welt der Postmoderne kurzschließt. Aber wozu? Dass wir irgendwo verloren sind und auf der Strecke bleiben in der Massengesellschaft, in den Hirnströmen des Internet, läuft nicht unbedingt auf Massenvernichtung hinaus, wie die Installation suggeriert.
    Paul Chan ist jedenfalls gut vernetzt, und um seinen Aufenthalt im Irak zu Beginn des Irak-Kriegs ranken sich einige gut gepflegte Mythen. Wahr ist offenbar, dass Chan mit anderen Aktivisten Medikamente ins Kriegsgebiet brachte und dort recherchierte, was der US-Regierung wenig gefiel; innerhalb der politisch superkorrekten New Yorker Künstlerszene macht sich das aber gut. Chan ist ein smarter, medienkompatibler, intellektueller Künstler, der viel schreibt – trotzdem wirken die Ergebenheits-Adressen, die während der Pressekonferenz unter anderem von dem einflussreichen Daniel Birnbaum dargeboten wurden, ein bisschen peinlich.
    Drei Kuratoren umschwirren den heiligen Chan
    Inklusive Birnbaum drei Kurator(inn)en umschwirrten am Schaulager den heiligen Chan, was irgendwie mit den Preisen am Markt korreliert. Sei's drum – die Schrift spielt eine Hauptrolle bei Chan, der im Foyer die volle Anzahl von 1005 bemalten Buchrücken präsentiert, die teilweise schon auf der letzten Documenta zu sehen waren. Das ist hübsch bunt und gleichzeitig monumental, aber auch leer – der Inhalt wird in den zum Teil abgedunkelten und labyrinthischen Räumen der Ausstellung nachgeliefert, Schreibtische voller Manuskriptblätter, geheimnisvoll gezeichnete, ausformulierte Alphabete, E-Books und Tastaturen, die wie Miniatur-Friedhöfe aussehen.
    Kann man die Geschichte der Menschheit als animierten bunten Breitwand-Comic erzählen? Chan kann. Der Film „Happiness" aus dem Jahr 2003 bezieht sich auf die Kinderwelten des amerikanischen Außenseiter-Künstlers Henry Darger und die Sozialutopien des Charles Fourier. Eine ländliche Mädchen-Idylle auf Blumenwiesen kippt dabei in Brand, Krieg und Sadosex-Orgien, Bilder der klassischen Moderne werden zum Videospiel, die Musik reicht von Bach bis zum Rap, und nach dem Sieg des angeblich Guten fängt alles wieder von vorn an.
    Schon hier ist Chans Hang zum Zitieren und Adaptieren augenfällig, der Film ist wie das Gesamtwerk voller subtiler Verweise: am Kreuz wird gevögelt, Grabsteine und Denkmäler steigen zum Himmel auf, der Engel der Geschichte wird als Comicfigur rückwärts über die Schlachtfelder geblasen.
    Starkes Interesse am Theater
    Das seltsame Gezucke der offenbar ewig kopulierenden Menschheit setzt sich auch in den Schattenspielen fort, in denen marionettenhafte Figuren zwanghaft dauererregt übereinander herfallen: ein verstörender Blick in Platons Höhle, wo Erkenntnis wieder beim ganz Animalischen landet. Paul Chan beherrscht eine Vielzahl grafischer, vor allem zeichnerischer Techniken, aber er hat eben auch ein starkes Interesse am Theater: 2007, zwei Jahre nach dem Hurrikan Katrina, hat er mit dem Classical Theatre of Harlem "Waiting for Godot in New Orleans" auf die Bühne gebracht und das in der zerstörten Stadt gespielt. Es gibt leider nur ein paar Sequenzen davon zu sehen, ein schlammiger Einkaufswagen mit Plastiktüten erinnert an das Desaster.
    Somnambuler Höhepunkt der Ausstellung aber sind jene Lichtschneisen, in denen dunkle Figuren, Tiere, Gegenstände an uns vorüberschweben. Sind es die Fallenden aus dem World Trade Center? Sind es Lemuren, Angstfantasien, Halluzinationen, Fragmente des Erkennbaren und der Weltgeschichte? In einer der Lichtbahnen ist eine Art Opfertisch aufgebaut. Wohlgemerkt: Dies ist keine politische Kunst. Aber Paul Chan öffnet in seinen besten Momenten einen dunklen, magischen Assoziationsraum, der uns vom fleischbestückten "Carousel" des Bruce Nauman zurückführt zu den Schatten in Platons Höhle, vom Blut der Gegenwart zu den Möglichkeiten des Erkennens überhaupt.