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Permakultur bei Minusgraden

Zurück zur Unabhängigkeit und anbauen, was man selber braucht - diese Idee verwirklichen Studierende der Universität Göttingen derzeit vor den Toren ihrer Stadt: Dort leben sie in einer sogenannten Permakultur, einer dauerhaften und sich selbst erhaltenden Landwirtschaftsform. Dafür bekommen sie sogar Studien-Credits gutgeschrieben.

Von Carolin Hoffrogge | 09.02.2012
    "Hier wohne ich, hier sind wir jetzt eingezogen, das ist unser Bauwagen, der ist acht Quadratmeter groß, mit einem kleinen Ofen."

    Niklas Richelshagen ist ein kerniger Typ. Dick eingemümmelt, mit selbst gestrickter Wollmütze, diversen Pullovern und dicker Cordhose steht der 24-jährige Jurastudent auf einer Obstwiese im Norden Göttingens. Seine neue Wohn- und Wirkungsstätte ist der alte Pflanzgarten der Universität. Wo früher Versuche mit Blattläusen gemacht wurden, liegen jetzt Holzstapel und stehen Bauwagen, Niklas Domizil ist knallrot mit zwei weißen Fenstern.

    "Hier wohne ich jetzt mit meinem Kumpel Philip. Auf acht Quadratmetern, haben einen kleinen Ofen in der Ecke stehen, der uns gerade über den Winter bringt, der funktioniert gut, sind wir sehr zufrieden damit."

    In den vergangenen Tagen mussten sich Niklas und Philip morgens mit viel Überwindung aus ihren vielen Decken pellen, denn sie hatten nicht nur Minusgrade draußen, sondern auch drinnen. Da friert sogar das Trinkwasser ein. Also heißt es nach dem Aufstehen erst einmal Feuer machen.

    "Über dem Ofen haben wir ein kleines Provisorium gestartet, mit einem Wärmekorb, da legen wir unsere Wasserflaschen rein, damit sie nach dem Gefrieren schnell wieder auftauen, nachdem wir den Ofen angemacht haben. Da können wir auch Handschuhe und Schuhe rein legen, damit es schön warm ist, bevor wir den Bauwagen wieder verlassen. Oder zum Trocknen könnte man das auch benutzten."

    Ein einfaches Leben: Bei ihrem Projekt Permakultur wollen die Göttinger Studierenden Kreisläufe nutzen, nichts verkommen lassen, alles verwerten. Ihr ökologischer Fußabdruck soll sich sehen lassen können, sagt Niklas, der seinen Dozenten Uwe Georg Scheibler von der Idee des Permakulturprojektes überzeugt hat. Der promovierte Landschaftsarchitekt Scheibler steht auf einer grünen Wiese, mitten zwischen Wohnheimen, der Diätambulanz und Verwaltungsgebäuden des Studentenwerks. Hier wird es demnächst - dank der Permakultur - wachsen und gedeihen.

    "Sie sehen da vorne, dass für eine große Kräuterspirale der Boden vorbereitet wurde. Wir werden das, was hier steht, die alten Obstbäume noch mal beschneiden, damit sie einen hohen Ertrag abwerfen. Die Studierenden sollen nicht nur hier arbeiten, sie sollen ja auch studieren. Das ist etwas, was sie nebenbei machen, übrigens auch ein guter Kontrast zu den Theorieanstrengungen. Deswegen werden wir nicht sofort die gesamte Fläche verändern, sondern immer step by step."

    Ein Permakulturgarten braucht 20 Jahre, bis er seinem Namen gerecht wird, also dauerhaft wächst und gedeiht. Dabei ist jeder Standort anders, sagt Uwe Georg Scheibler. Die Studierenden sollen ausprobieren; Trial and Error ist erlaubt.

    "Erfahrungen heißt eben gute Erfahrungen und schlechte Erfahrungen. Das heißt, sie müssen auch mal sehen, was ein Misserfolg bringt, müssen die Ursache des Misserfolgs kennen und daraus eben Verbesserungen einleiten. Normalerweise ist es ja so, dass im Studium immer sehr schnell korrigiert wird, hier machen wir es so, dass die Studenten mehr Freiraum haben und dadurch -das ist unsere pädagogische Überlegung - selbstständiger werden und bei künftigen Projekten verschiedene Dinge vorher bedenken."

    Durch das Permakulturprojekt sollen sich viele Plätze in Göttingen nachhaltig verändern, so Uwe Georg Scheibler. Beispielsweise pflanzen Niklas und seine Kommilitonen demnächst duftende Rosenbüsche als Parkplatzbegrünung, aus den Rosen stellen sie dann Rosenwasser her. Oder langweilige Rasenflächen pflügen sie zu Gemüsebeeten um, bauen dort Spinat, Kohl und Möhren an. Die Wochen bis zum Frühling können für die Bauwagenbewohner allerdings noch hart werden, eine Krise hatten die Studierenden bisher aber nicht.

    "Dafür hat man ja vielleicht auch noch Freunde, die in der Stadt leben, sodass man da mal hin kann, aber wir schlafen hier drin, wir leben hier und da kann man auch mal mit Minus acht Grad morgens leben, wenn man warme Decken hat. Ja, es ist alles möglich."