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Philosoph, Moralist und Erforscher der Gerechtigkeit

Kann es Recht ohne Gesetz geben? Die Antwort des Rechtsphilosophen Ronald Dworkin lautete: Ja, unbedingt! Der amerikanische Moralist vertrat die Auffassung: Wenn Menschenrechte nur existieren, weil man sie als Gesetz aufgeschrieben hat - dann kann der Gesetzgeber sie auch wieder wegnehmen. Ein Paradigmenwechsel in der Rechtsphilosophie.

Karin Fischer im Gespräch mit Ottfried Höffe | 14.02.2013
    Der Rechtsphilosoph Ronald Dworkin (1931-2013)
    Der Rechtsphilosoph Ronald Dworkin (1931-2013) (picture alliance / dpa / Guido Montani)
    Karin Fischer: Ronald Dworkin, Amerikas einflussreichster Rechtstheoretiker, ist im Alter von 81 Jahren in London gestorben. Das hat sein deutscher Verlag, Suhrkamp, vor einer guten Stunde mitgeteilt. 1931 geboren, hat Dworkin Jura studiert und als Anwalt gearbeitet, bevor er Professor an der Yale University wurde. Seit Ende der 60er-Jahre lehrte er in Oxford, New York und London. Er war Philosoph, Gerechtigkeitsforscher, Moralist im guten Sinne. Die Frage nach Gleichheit und Gerechtigkeit hat ihn immer beschäftigt, wie hier etwa bei der "Carnegie Lecture 2011" in New York. Berühmt wurde Dworkin für seine Theorie des "law as integrity". Seiner Ansicht nach hätten Menschen nicht nur Rechte, weil diese in Gesetzestexten festgehalten sind. Die Würde des Menschen verleihe ihm gewisse natürliche Rechte, die nicht eigens festgeschrieben sein müssten. Als Kampf gegen einen kruden "Rechtspositivismus" ist das in die Geschichte eingegangen. - Frage an den Tübinger Philosophen Otfried Höffe: Was bedeutet das? War das eine Art moralischer Paradigmenwechsel in der Betrachtung von Bürgerrechten?

    Ottfried Höffe: Ein moralischer Paradigmenwechsel allenfalls in einer bestimmten anglophonen Debatte, weil in der kontinentaleuropäischen Debatte und wenn wir an John Rawls "Theorie der Gerechtigkeit" denken ein Stück auch in der anglophonen Debatte, die überpositiven Gesichtspunkte immer schon eine Rolle gespielt haben. Aber in der, könnte man sagen, dominanten Rechtstheorie, der letztlich ein wenig auch der berühmte Hart angehangen hat, war dieser Gedanke der den Menschen unabhängig vom positiv geltenden Recht zukommenden Rechte doch mindestens fremd oder fragwürdig.

    Fischer: Hatte das denn Konsequenzen?

    Höffe: Konsequenzen zunächst einmal für die rechtstheoretische Debatte. Wie weit das in die richterliche Entscheidung durchgeschlagen hat, kann ich nicht entscheiden, aber da würde ich zögern, weil sowohl das britische, als auch das amerikanische Recht, soweit es Case law ist, also ein Recht ist, was nach Einzelfällen sich richtet, sich vielleicht ein klein wenig von dem inspirieren lässt, ansonsten aber einer Tradition folgt, die seit vielen Jahren und Jahrzehnten fest etabliert ist.

    Fischer: Er hat sich aber in der Tat mit den drängendsten Fragen der amerikanischen Rechtskultur der Gegenwart auch befasst, zum Beispiel mit der Gefahr durch Terror, mit Folter, mit Guantanamo, mit der Todesstrafe und so weiter.

    Höffe: Das ist ohne Zweifel der Fall und Dworkin gehört zu den US-amerikanischen Philosophen, die dann auch im United Kingdom, also vor allem in England, Oxford und London gelehrt haben und dort sehr einflussreich geworden sind auf die rechtspolitische Debatte, und ist ein vehementer Kritiker des vielleicht da und dort mal auftauchenden Versuches, man könne trotz einer langen Rechtstradition Dinge wie Folter rechtfertigen oder gegen Terroristen, wie soll man sagen, ein Sonderrecht, was eigentlich kein Recht ist, einsetzen.

    Fischer: "Gerechtigkeit für Igel" heißt sein letztes veröffentlichtes Buch. Worum ging es Ronald Dworkin da? Ist das die Fortsetzung seiner Theorie eines "egalitären Liberalismus"?

    Höffe: So eine sanfte Fortsetzung, würde ich sagen, weil er hier einen sehr großen Anspruch erhebt. Er zitiert dieses berühmte Wort eines griechischen Dichters, Archilochos, "Der Fuchs weiß viele Dinge, aber der Igel weiß eine große Sache", ein Wort, das Isaiah Berlin, einer der bedeutenden politischen Denker des anglophonen Raumes, schon aufgegriffen hat, und die Frage ist, was ist eine große Sache. Er sagt, wir müssen uns frei machen von einer zu spitzfindigen detaillierten Debatte über Moral und Gerechtigkeit und wir müssen eine einheitliche Theorie entwickeln. Allerdings ist diese einheitliche Theorie dann doch nicht ganz so einheitlich und überzeugend wie die, die John Rawls schon entwickelt hat, und am Ende doch viel facettenreicher, als dieser Titel schon ankündigt oder vielleicht für sich beansprucht.

    Fischer: Im Jahr 2006 hat Dworkin den Bielefelder Wissenschaftspreis erhalten, und Jürgen Habermas, der die Laudatio hielt, bezeichnete ihn als einen Solitär im Kreis der Rechtsgelehrten und als begnadeten politischen Redner. Wie würden Sie diese beiden Dinge gewichten?

    Höffe: Also ich könnte dem eigentlich nur folgen. Ich kenne Dworkin persönlich seit 1975, als wir zusammen in Paris aufgetreten sind und dort, nachdem ich dann in Deutschland ja schon dem John Rawls zum Durchbruch verholfen habe, die französische Übersetzung seiner "Theorie der Gerechtigkeit", "A Theory of Justice", dann gefeiert haben, und dort kann ich nur sagen: ein liebenswürdiger Mensch, sehr eloquent, aber, was man eben auch sagen muss, eine auf die US-amerikanische Debatte, sowohl die rechtstheoretische als auch die Rechtslage selber, eingeschränkte Person, und das fand ich eben dann doch gegenüber John Rawls, dem großen, von ihm auch hoch geschätzten Vorbild, etwas enttäuschend.

    Fischer: Herzlichen Dank an den Tübinger Philosophen Ottfried Höffe. Er sprach zum Tod von Ronald Dworkin.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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    Der Tübinger Philosoph Ottfried Höffe
    Der Tübinger Philosoph Ottfried Höffe (picture alliance / dpa /Karlheinz Schindler)