Montag, 13. Mai 2024

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Phonographen
Das goldene Zeitalter der Musikbox

Ihr charakteristischer dumpf-scheppernder Klang untermalt von mechanischen Geräuschen ist heute, im digitalen Klangzeitalter, pure Nostalgie. Die Musikbox ermöglichte Generationen von jungen Leuten Tanz und Unterhaltung für wenig Geld. Heute vor 125 Jahren, am 23. November 1889, wurde sie in San Francisco der Öffentlichkeit vorgeführt.

Von Monika Köpcke | 23.11.2014
    Ein historischer Phonograph, Vorläufer des Grammophons, aufgenommen im Juni 1998 in einer Ausstellung in Helsinki zur 120-jährigen Geschichte der Schallplatte.
    Ein historischer Phonograph, Vorläufer des Grammophons, in einer Ausstellung in Helsinki (picture-alliance / dpa / Lehtikuva Oy)
    "Mary had a little lamb, whose fleece was white as snow and everywhere that Mary went, the lamb was sure to go."
    Der amerikanische Erfinder Thomas Alva Edison persönlich sprach diesen Kinderreim. Mit seinem Phonographen hatte er die erste Maschine erfunden, die es möglich machte, Töne aufzunehmen und wieder abzuspielen. Als Tonträger benutzte Edison Wachswalzen. Im Juli 1879 wurde seine Erfindung patentiert. Noch hörte sich alles recht blechern an.
    In den folgenden Jahren kursierten in den Vereinigten Staaten immer wieder Pläne, eine sogenannte "Musiktankstelle" zu eröffnen. Die Kunden könnten dort je nach Musikwunsch eine entsprechende Wachswalze wählen, die der Betreiber dann für sie in den Phonographen einlegen und abspielen würde.
    Verwirklicht wurde diese Idee allerdings nie. Und so beschränkte sich das Bestaunen dieses neuesten technischen Wunderwerks zunächst auf Rummelplätze. Bescheiden blieb auch das Walzenrepertoire: Es gab Shakespeare rezitierende Schauspieler und vor allem - Märsche.
    Größtmögliche kommerzielle Ausnutzung als Ziel
    Das Palais Royal-Restaurant in San Francisco war eine gute Adresse. Man speiste in feiner Garderobe, an der Decke funkelten riesige Kristallleuchter. Nur zwei Straßenblocks entfernt lag das Büro der Pazifischen Phonographen-Gesellschaft. Ihr Direktor hieß Louis Glass. Für ihn war das Palais Royal genau der richtige Ort, seine so einfache wie geniale Erfindung vorzuführen.
    Die größtmögliche kommerzielle Ausnutzung des Phonographen lag in der Natur von Louis Glass' Job. Nicht teures Personal also sollte die Walzen in Gang setzen, wie es noch bei der "Musiktankstelle" gedacht war, sondern ein durch Münzeinwurf ausgelöster Mechanismus.
    Erster münzbetriebener Phonograph
    Am 23. November 1889 führte Louis Glass persönlich seinen münzbetriebenen Phonographen vor. Der Automat beherbergte vier Wachswalzen, je ein Durchlauf kostete 20 Cent. Um unbezahltes Mithören zu verhindern, gehörte zu jeder Walze ein Hörschlauch, den man sich ans Ohr pressen musste. Es ist leider nicht überliefert, welches Repertoire diese erste Musikbox bot. Was man weiß, ist, dass Louis Glass in den folgenden Monaten insgesamt 15 münzbetriebene Phonographen in San Francisco aufstellen ließ: In mehreren Restaurants der Stadt und im Warteraum für die Oakland-Fähre. Mit ihnen konnte er innerhalb nur weniger Monate den für die damalige Zeit beachtlichen Gewinn von über 4.000 Dollar einfahren.
    Die Erfindung des Grammophons und der Schellackplatte steigerten die Musikauswahl einer Box enorm. Die Schallplatte war robuster, handlicher und klangvoller als die Edison-Walze. In den Zwanzigerjahren kam noch die elektrische Tonverstärkung hinzu. Sie läutete das goldene Zeitalter der Musikbox ein.
    Humorvoll obszönes Tanzen
    Während der Prohibition in Hinterzimmern, danach in den Bars, die es an jeder Straßenecke gab: Überall blinkte und dröhnte eine Musikbox. Sie bot Unterhaltung und Tanz, ohne eine teure Kapelle bezahlen zu müssen. Seit den 40er Jahren setzte sich auch der Name Jukebox durch: Er stammt von dem kreolischen Wort 'to jook', was so viel bedeutet wie humorvoll obszönes Tanzen.
    Die amerikanischen GIs brachten die Jukebox nach dem Zweiten Weltkrieg mit nach Deutschland. Doch es war ihr nur noch eine kurze Blütezeit beschieden. Seit den sechziger Jahren wurden der eigene Plattenspieler, die eigenen Schallplatten für die Jugendlichen erschwinglich. Und zum Tanzen ging man bald nur noch in die Disco.