Dienstag, 07. Mai 2024

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Plagiatsvorwürfe bei Doktorarbeiten
"Natürlich gibt das zu denken"

Mehr als die Hälfte der inkriminierten Arbeiten bei der Internetplattform VroniPlag sind medizinische. Heyo Kroemer, Präsident des Medizinischen Fakultätentages, sagte im DLF, der Dr. med. entwickele sich zum Teil schon durch die Aktivitäten der Fakultäten, die auch ein genuines Interesse daran hätten, dass vernünftige Qualität geboten werde. Er glaube nicht, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind.

Heyo Kroemer im Gespräch mit Manfred Götzke | 29.09.2015
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nimmt am 09.09.2015 an der Sitzung des Bundestags in Berlin teil. Sie blickt sehr ernst.
    Auch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) steht unter Verdacht bei ihrer Doktorarbeit geschummelt zu haben. (Kay Nietfeld, dpa picture-alliance)
    Manfred Götzke: Ursula von der Leyens Doktorarbeit, die ist bei Weitem nicht die einzige aus dem Fach Medizin, bei der Plagiateforscher, sagen wir mal, Unregelmäßigkeiten gefunden haben. 152 Promotionen kann man bei VroniPlag Wiki mit klaren Namen und Plagiateanalysen anschauen, 80 davon kommen aus dem Bereich Medizin oder Zahnmedizin – teilweise mit Plagiaten von einer Qualität, die selbst zu Guttenberg wie einen ehrenwerten Spitzenforscher erscheinen lassen. Ein Doktorand hat zum Beispiel seine ganze Arbeit vom Kommilitonen aus dem Vorjahr mal eben so komplett abgeschrieben. Heyo Kroemer ist Dekan an der Universitätsmedizin in Göttingen und Präsident des Medizinischen Fakultätentages. Herr Kroemer, mehr als die Hälfte der inkriminierten Arbeiten bei VroniPlag sind medizinische Dissertationen, haben Sie eine Erklärung dafür?
    Heyo Kroemer: Ich bin der Überzeugung, dass man insbesondere in der längeren Vergangenheit, zu der ja auch jetzt die aktuell im politischen Raum stehenden Arbeiten gehören, die Form der Rezitation, der Referenzierung nicht so ernst genommen hat, wie man das hätte tun sollen. Es gibt einen erheblich größeren Anteil Medizinpromotionen auf der VroniPlag-Site, die Gesamtzahl der Medizinpromotionen ist natürlich wesentlich höher. Und ich würde nur sagen, dass man sich das einfach mal angucken muss, inwieweit die höhere Zahl der jetzt aufgefallenen Medizinerarbeiten in Teilen einfach auf die Menge zurückzuführen ist. Dass es da aus meiner Sicht insbesondere in der Vergangenheit ein Problem gibt, ist, glaube ich, nicht abzustreiten. Genauso wenig ist abzustreiten, dass sich sehr viele Medizinfakultäten mittlerweile sehr intensive Gedanken gemacht haben, wie man die Qualität der Promotionen in der Medizin verbessern kann.
    Götzke: Kann denn überhaupt eine Doktorarbeit, die von einem Medizin-Studierenden in drei Semestern neben dem Studium erstellt wird, den gleichen Stellenwert haben wie eine, sagen wir mal, Chemiepromotion, für die der Promovierende drei Jahre nach dem Studium braucht?
    Kroemer: Ich glaube nicht, dass man das so allgemein beantworten kann. Es gibt medizinische Dissertationen, die zu wirklich herausragenden Ergebnissen führen. Das hängt ab von dem Engagement des Promovenden, der ja nicht unbedingt das nur über drei Semester betreiben muss, sondern eventuell auch durchaus längere Zeiten in diese Geschichte reinstecken kann. Das hängt davon ab, wie gut das Labor ist, in dem der ist. Und es würde schon objektivierbare Grundlagen dazu geben, nämlich sich genau anzusehen, in welchem Teil dieser Dissertation aus den Dissertationen wesentliche Publikationen entstehen. Und wenn ich mir das ansehe, dass doch in einem gewissen Ausmaß die Medizindissertationen oft zu signifikant hoch publizierten Veröffentlichungen in internationalen Journalen führen, würde ich nicht generell sagen, dass die wissenschaftliche Arbeit von Medizinern während des Studiums völlig wertlos ist.
    Götzke: Momentan sieht es aber tatsächlich so aus, dass sehr viele Studierende in der Medizin drei Monate promovieren und dass sie dennoch den gleichen Titel bekommen wie ein Chemiker, ein Physiker oder auch ein Geisteswissenschaftler, der nach dem Studium noch mal drei Jahre an sein Studium hintendran hängt. Ist das fair aus Ihrer Sicht, dass der Titel derselbe ist und dass man nicht bei den Medizinern zum Beispiel sagt, das ist eben kein Doktortitel, sondern ein anderer, zum Beispiel ...
    Kroemer: Das ist ja ein anderer Doktortitel. Das ist ein Dr. med. ausdrücklich, selber hab ich einen Dr. rer. nat. Selbstverständlich gibt es zwischen den Titeln sehr starke Unterschiede, das ist aber nicht auf die Mediziner restringiert. Aber wenn Sie sehen, in den Naturwissenschaften können Sie einen Doktortitel in einem strukturierten Programm in 2,5 bis drei Jahren erwerben, Ingenieure brauchen in aller Regel fünf Jahre, um das zu machen, das heißt, da gibt es in Abhängigkeit von der Fachkultur ohnehin erhebliche Unterschiede. Ich glaube, hier geht die Frage wesentlich darum, ist man in der Lage, während des Studiums eine qualitativ hochwertige Arbeit zu machen. Wenn man das verneint, ist, glaube ich, die nächste Frage, was kann ich als Alternative anbieten und wie verbindet man das mit dem übergeordneten Ziel, Mediziner möglichst früh an Wissenschaft heranzuführen. Und da können Sie eine Linie vertreten und können sagen, dass Sie die Promotion während des Studiums überhaupt nicht wollen, letztendlich in dem momentanen Studium keine direkte Einbindung in wissenschaftliche Aktivität der Studierenden machen und dann hinterher einen naturwissenschaftlichen Doktorgrad anbieten, der dann zwei oder drei Jahre dauert. Das ist ja versucht worden mit häufig überschaubarer Nachfrage, dass viele der Ärzte, insbesondere die, die dann in Richtung Klinik gehen wollen, in Deutschland noch eine sehr lange Facharztausbildung vor sich haben, die letztendlich noch mal zwei oder drei Jahre verzögert würde dadurch, dass sie eine Promotion machen. Vielfach müssen Sie sehen, dass in Deutschland auch die wissenschaftlichen Karrieren, also die Möglichkeiten zur Habilitation und zu nachfolgenden Berufen auf eine Professur damit verbunden sind, dass Sie einen Facharzt haben. Wir haben in Deutschland eine sehr enge Verknüpfung. Mein Plädoyer geht einfach dahin, sich die Dinge sorgfältig anzusehen und jetzt nicht in der allgemeinen Aufregung über Medizinpromotionen eine Situation herbeizuführen, dass junge Ärzte sich möglicherweise überhaupt nicht mehr mit Wissenschaft auseinandersetzen.
    Götzke: Der Europäische Forschungsrat, der beschloss vor fünf Jahren, dass der deutsche Dr. med. nicht ausreicht, um sich auf EU-Fördergelder überhaupt zu bewerben, in allen anderen Fächern reicht die Promotion. Stimmt Sie und Ihre forschenden Kollegen das nicht nachdenklich?
    Kroemer: Natürlich hat das in gewissem Rahmen nachdenklich gestimmt. Wenn Sie die Realität angucken, haben die Leute, die eine Flughöhe erreichen, um sich auf ERC Grants zu bewerben, in aller Regel noch eine zusätzliche Qualifikation und kommen nicht nur mit dem Dr. med. Entweder sie sind dann bereits habilitiert, wenn sie in der Medizin sind, oder es sind zu erheblichen Teilen naturwissenschaftliche Kollegen, die eine sehr lange Postdoc-Zeit hinter sich haben. Das heißt, die Vorstellung, dass jemand einen Nachteil dadurch hat, dass er sich jetzt nicht mit 24 auf einen europäischen Grant bewerben kann, die ist einfach realitätsfern und von daher in der Praxis jetzt nicht so relevant, wie das dargestellt worden ist. Natürlich gibt das zu denken und muss es zu denken geben, wenn bestimmte Qualifikationsformen letztendlich von Externen so bewertet werden, dass sie für Anträge in bestimmten Bereichen nicht ausreichen. Das hat ja auch eine intensive Diskussion ausgelöst, und die Medizinfakultäten in der Bundesrepublik setzen sich ja sehr intensiv mit ihren Promotionsprogrammen auseinander. Da hat sich in den letzten Jahren ja auch sehr viel getan. Es ist auch nicht abzustreiten, dass man, sagen wir mal, in der längeren Vergangenheit diese Geschichte nicht so ernst genommen hat, wie man das hätte ernst nehmen sollen.
    Götzke: Warum ist der Türschild-Doktor in der Medizin immer noch so relevant?
    Kroemer: Das ist doch gar nicht mehr relevant. 40 Prozent machen das ja nicht mehr. Und mein Eindruck ist nicht, dass die schlechtere Berufsaussichten im Moment haben. Es ist ja ein zunehmend geringerer Teil an Leuten, die das machen – der Prozentsatz war früher deutlich höher –, was auch damit zu tun hat, dass die Hürden vor diesen Titeln bei vielen Fakultäten jetzt deutlich höher sind als früher. Und ich sehe das eigentlich nicht, dass sie im Moment in dem allgemeinen Ärztemangel, den wir haben, irgendwelche Nachteile in der Berufsauswahl haben. Wenn sie in Richtung gehen wollen, dann ist klar, dass sie diese Titel brauchen, dann brauchen sie aber in jedem Fall auch eine vernünftige Dissertation, sonst werden sie wissenschaftlich keine Karriere mit machen. Und eine vernünftige Dissertation zeichnet sich dadurch aus, dass sie zur Publikation geführt hat, die dann ja noch mal völlig separat von dem Journal evaluiert werden und mit der ursprünglichen Doktorarbeitsevaluierung nichts zu tun haben.
    Götzke: Soll also alles beim Alten bleiben, beim Dr. med.?
    Kroemer: Nein. Der Dr. med. entwickelt sich zum Teil schon durch die Aktivitäten der Fakultäten, die auch ein genuines Interesse daran haben, dass hier vernünftige Qualität geboten wird. Ich glaube nicht, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind. Generell ändert sich an den medizinischen Fakultäten derzeit sehr viel, und von der Diskussion sind auch die Promotionsverfahren betroffen.
    Götzke: Die Universitätsmedizin hat die Probleme in Sachen Promotion erkannt, meint Heyo Kroemer, Präsident des Medizinischen Fakultätentages.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.